Sanguis martyrum: Christen in Nordkorea

15. November 2012 in Weltkirche


Die aktuelle Situation der Christen in Nordkorea ist verzweifelter als je zuvor - Sanguis martyrum Teil 4 - Ein Gastkommentar von Olaf Tannenberg


Pjöngjang (kath.net/Elsas Nacht(b)revier)
Yodok ist ein Landkreis in der nordkoreanischen Provinz Süd-Hamgyong. Seine Besonderheit: Auf einer Fläche von etwa 375 Quadratkilometern liegt hier das berüchtigte Straflager Nr. 15, eines von sechs großen Internierungs- und Arbeitslagern für politische Gefangene des Landes. Der Komplex besteht aus drei Umerziehungslagern mit je 15.000 Inhaftierten, bei denen es sich meist um zu übermäßig langen Haftstrafen verurteilte Gesetzesbrecher handelt, und aus zwei Strafkolonien mit jeweils 30.000 Insassen. Letztere, als ›Unzuverlässige‹ bezeichnete Häftlinge, sollen lebenslang in den Lagern interniert bleiben, für immer aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Ein Verbrechen haben sie freilich nicht begangen. Zahlreiche Menschen sind allein deshalb in den Lagern eingepfercht, weil sie Christen sind. In Yodok sind es geschätzte 6.000 Personen - Männer und Frauen, Kinder und Greise. Ganze Familien leben und sterben hinter den drei bis vier Meter hohen, von mehr als 1.000 Soldaten und einigen Hundestaffeln bewachten Elektro- und Stacheldrahtzäunen

In den von der Außenwelt streng abgeschirmten Straflagern gibt es kein Gesetz. Die Inhaftierten sind der Willkür der Aufseher hilflos ausgeliefert. Es herrschen katastrophale hygienische Verhältnisse, die Gefangenen hungern permanent. Dennoch muss vom frühen Morgen bis zum späten Abend unter Schlägen Sklavenarbeit geleistet werden, unter anderem in Steinbrüchen und Bergwerken. Grausame Folter steht auf der Tagesordnung, auf Fluchtversuche der Tod. Immer wieder kommt es zu heimlichen Exekutionen, Vergewaltigungen, Zwangsabtreibungen; es finden medizinische Versuche statt. Die Christen, so die Aussage von Augenzeugen, werden besonders brutal behandelt.

Dass Nordkorea seit nunmehr neun Jahren immer wieder den ersten Platz auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors einnimmt, kann nicht verwundern. Die traurige Realität findet ihre Ursachen im politischen Gefüge des abgeschotteten Landes. Schließlich handelt es sich um eines der wenigen verbliebenen kommunistischen Regimes weltweit, in dem überdies jede religiöse Aktivität als Angriff auf die vorgegebenen Prinzipien der politischen Machthaber gewertet wird. Christen haben in diesem System des gegen Andersgläubige und Andersdenkende gerichteten staatlichen Terrors keinerlei Daseinsberechtigung. Trotz der verfassungsmäßigen Garantie der freien Religionsausübung wird diese nicht mal im Ansatz gewährt, denn sie ist durch eine besondere Klausel außer Kraft gesetzt worden: der Abwehr von Bedrohungen des Staates. Christen sind ständig mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden zum Nachteil des Staates konspirative Kontakte zu den USA und Südkorea unterhalten. Damit wird nicht nur das Verbot religiöser Betätigung gerechtfertigt, sondern auch die Verfolgung der Christen.

Während in anderen staatssozialistischen Diktaturen die Christenverfolgung allein aus politisch-ideologischen Gründen stattfand, ereignete sich in Nordkorea eine bizarr anmutende Entwicklung. Zuerst buddhistisch geprägt, setzte sich unter Kim Il-sung die Chuch'e-Ideologie durch. Diesem Sammelsurium aus Buddhismus, Maoismus, Stalinismus und anderen Einflüssen zufolge muss ein Staat politisch, wirtschaftlich und militärisch absolut unabhängig sein, was die vollständige Abschottung des Landes nach sich zog. Chuch'e löste somit die klassische marxistisch-leninistische Ideologie ab. Unter Kim Jong-il, dem Sohn des ersten Diktators und Erben der Macht, wurde diese Ideologie ergänzt - mit dem nordkoreanischen Militarismus. Die friedliebende christliche Religion verlor damit in Nordkorea endgültig jedes Recht auf ihre Existenz.

Obwohl allein etwa 40.000 Christen in Straflagern eingesperrt sind, gibt die Führung Nordkoreas die Zahl der Christen mit 15.000 an, darunter 10.000 Protestanten.
Zu Beginn des Koreakrieges 1950 verzeichnete die Hauptstadt Pjöngjang etwa 30 Prozent christliche Einwohner, auf dem Land betrug der Anteil nur ein Prozent. Der gezielte Kampf der koreanischen Kommunisten gegen das Christentum begann 1948 mit dem Abzug der sowjetischen Armee; unter der Herrschaft Kim Il-sungs wurden zwischen 1949 und 1952 alle Kirchen zerstört, die meisten Priester und Mönche wurden hingerichtet oder starben in nordkoreanischen Straflagern. Ihre Schicksale liegen im Dunkeln. Noch immer, seit 1953, werden die Namen der damaligen drei nordkoreanischen Diözesanbischöfe im Päpstlichen Jahrbuch genannt; wo sie sich befinden oder ob sie noch am Leben sind, weiß niemand. Aus Nordkorea kommt immer wieder die gleiche Antwort auf Anfragen: »Diese Personen sind uns unbekannt.«

Heute gibt es in Pjöngjang ganze vier christliche Gotteshäuser: zwei protestantische, ein katholisches und ein russisch-orthodoxes. In diesen Kirchen finden Schaugottesdienste statt, geleitet von angeblichen ›Geistlichen‹, die keine sind, und besucht von falschen ›Christen‹, die dafür bezahlt werden. Während den wenigen Ausländern, die Nordkorea besuchen dürfen, eine pseudo-christliche Propagandaschau inklusive Lobliedern auf die kommunistische Partei dargeboten wird, muss die tatsächliche Religionsausübung der Gläubigen im Untergrund stattfinden. Denn Glaube kann tödlich sein.

Als Beispiel soll das schreckliche Schicksal der nordkoreanischen Christin Ri Hyon-ok stellvertretend dienen. Hyon-ok wurde laut Berichten von Augenzeugen am 16. Juni 2009 öffentlich hingerichtet, weil sie die Bibel verbreitet hatte. Ihr Ehemann und die drei Kinder der Familie wurden in ein Straflager deportiert. Erinnert werden soll an dieser Stelle auch an die Angehörigen der Benediktinerabtei Tokwon und des Benediktinerinnenpriorats Wonsan. Sie wurden zwischen 1949 und 1952 entweder ermordet oder kamen in Straflagern ums Leben. Am 10. Mai 2007 wurde die Seligsprechung dieser 36 Märtyrer eingeleitet.

Das Blut der nordkoreanischen Märtyrer fließt im Verborgenen, selten wahrgenommen von der weltweiten Öffentlichkeit, in einem Land, dessen jungenhaft anmutender Diktator die Menschheit mit seinen Atomwaffen in Atem hält, in dem die Schreie der Gepeinigten kaum durch den Stacheldraht, der sie gefangen hält, zu dringen vermögen – ein Land, in dem der Glaube an den Gott der Liebe und des Friedens mit staatlich verordnetem Hass und Terror beantwortet wird.

Gedenken wir ihrer. Beten wir für sie. Kaum jemand hat es nötiger!

Der Beitrag stammt aus dem Blog von Barbara Wenz: Elsas Nacht(b)revier)


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