Tunesiens Krise aus Kirchensicht "kein Staatsstreich, aber Notfall"

1. August 2021 in Chronik


Generalvikar von Tunis, Zinzere, erhofft nach Machtübernahme durch Präsident Saied eine "Geste der Erholung".


Tunis (kath.net/ KAP)

Nach der Aufregung über die Entlassung der Regierung Tunesiens und der Machtübernahme durch Präsident Kais Saied ist nach den Schilderungen von Kirchenvertretern vor Ort wieder ein Stück Normalität auf den Straßen der Hauptstadt Tunis zurückgekehrt. Den Eindruck eines "Staatsstreiches" habe man vor Ort nicht, berichtete der Generalvikar von Tunis, P. Leonce Zinzere, am Mittwoch der italienischen Nachrichtenagentur SIR. Wohl aber sei nun eine "Geste der Erholung" von politischer Seite ausständig - wie auch Lösungen für die derzeitige wirtschaftliche Misere des nordafrikanischen Landes.

Präsident Saied hatte am Wochenende überraschend im Staatsfernsehen angekündigt, er wolle mithilfe eines Regierungschefs, den er selbst noch ernennen wird, die Exekutive übernehmen. Am Sonntag waren daraufhin hunderte Demonstranten auf die Straße gegangen, und die oppositionelle islamische Partei Ennahda sprach von einem "Staatsstreich". Auf den Straßen von Tunis seien allerdings keine Soldaten zu sehen, erklärte Zinzere. Der Großteil der Bevölkerung gehe davon aus, der Präsident wolle mit seinem Schritt darauf abzielen, "die Lebensbedingungen im Land zu verbessern".

Dass Tunesiens Bevölkerung derzeit einen "wirtschaftlichen Notfall" erlebe, wie der Präsident als Begründung seines von vielen in Frage gestellten Schrittes anführte, bestätigte auch der aus Burkina Faso stammende Ordensmann. Infolge der Corona-Pandemie hätten sich die Preise verdoppelt, die Einkommen seien jedoch drastisch gesunken, und viele hätten ihre Jobs verloren. Auch wenn sich die Lage der Infektionen entspannt habe, sähen viele keine Perspektiven mehr, worauf auch die Demonstrationen gegen fehlende Arbeitsmöglichkeiten durch junge, gut ausgebildete Menschen deuteten. Wegen der angespannten Lage sei nun eine "Geste der Erholung" wichtig, "egal von welcher Seite sie kommt".

In Tunesien ist laut Verfassung der Islam die Staatsreligion. Nur 30.000 der 9,8 Millionen Einwohner sind Christen, mehr als zwei Drittel davon im Ausland geborene Katholiken.

 

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