"Gesund bleiben ist nicht das Wichtigste: Über die Hoffnung in Zeiten der Krise"

19. August 2021 in Kommentar


Chinesische Flüche, die Brüchigkeit irdischer Heilsversprechungen und die rechte Ordnung der Dinge. Ein kath.net-Kommentar von Peregrinus.


Linz (kath.net)

In politischen Sonntagsreden der 1990er-Jahre war immer wieder der Satz zu hören: „Wen die Chinesen verfluchen wollen, dem wünschen sie, er möge in interessanten Zeiten leben.“ Damals war es leicht, in „interessanten Zeiten“ zu leben, weshalb der „Fluch“ auch meistens mit einem ironischen Lächeln quittiert wurde. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa war der Kalte Krieg zu Ende; Demokratie und Marktwirtschaft schienen sich als die Systeme für Politik und Wirtschaft erwiesen zu haben, die allen anderen überlegen seien. Die Welt schien zusammen zu wachsen und der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama orakelte gar, beeinflusst von der Geschichtsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels, vom „Ende der Geschichte“, das die Menschheit nun erreicht habe.

Und heute? Dreißig Jahre später leben wir wieder in „interessanten Zeiten“, aber niemand würde über den eingangs zitierten Satz lächeln. Nach eineinhalb Jahren Pandemie haben wir Covid-19 noch immer nicht hinter uns und niemand weiß, was noch auf uns zukommt. Innerhalb weniger Tage waren wir plötzlich mit Maßnahmen konfrontiert, welche die Grundrechte in einer bisher nicht gekannten Weise eingeschränkt haben. Alltägliche und bis dahin selbstverständliche Dinge wie der Besuch von Verwandten und Freunden, ein Essen im Gasthaus oder der tägliche Einkauf waren in Zeiten des Lockdown nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Jetzt stehen viele vor der Frage, ob sie sich gegen Covid-19 impfen lassen sollen oder nicht. Ich will in dieser Debatte bewusst nicht Stellung für die eine oder die andere Seite beziehen. Ganz unabhängig davon wie man zur Impfung steht und ob man die Maßnahmen für sinnvoll und notwendig oder für übertrieben hält – die Unsicherheit über die weitere Entwicklung betrifft uns alle.

Ein weiteres Thema, das die Medien seit Jahren beherrscht ist der Klimawandel. Auch hier kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Eine Seite fürchtet dramatische Folgen des Klimawandels, die andere überzogene staatliche Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft, die das Leben auf unnötige Weise erschweren. Es geht mir auch hier nicht darum, Position zu beziehen, ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Zukunft auch in dieser Hinsicht nur von wenigen optimistisch gesehen wird.

Ähnliches gilt für die gegenwärtige Verfassung der Katholischen Kirche. Mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI. waren zwei Päpste an der Spitze der Kirche, die in einer zunehmend säkularisierten Gegenwart für Klarheit und Orientierung in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre und Überlieferung sorgten. Papst Franziskus hingegen sorgt bei vielen Katholiken für Verunsicherung.

Bei der Suche nach der richtigen Antwort des Christen auf die hier nur in ganz wenigen Aspekten charakterisierte gegenwärtige Situation in Kirche und Welt wird zunächst einmal deutlich, wie brüchig innerweltliche Sicherheiten sind. Auch für Christen besteht die Gefahr, es sich allzu bequem in den Annehmlichkeiten der westlichen Zivilisation einzurichten. Das gilt nicht so sehr äußerlich, sondern vor allem innerlich, wobei zwischen beiden natürlich ein Zusammenhang besteht. Jede Zeit hat ihre Versuchungen.

Gerät diese Zivilisation in eine Krise, dann kann und soll das eine Einladung zur Umkehr sein, zur Besinnung auf das, was im Leben wirklich zählt. Wir können erneut die Erfahrung machen, wie vorläufig menschliche Errungenschaften und Erfolge sind und uns bewusst machen, dass das Ziel des menschlichen Lebens der Himmel ist. Anders gesagt: Gesund bleiben, ein Satz den man in dieser Zeit oft zu hören bekommt – ist es ein Wunsch oder eine Aufforderung? – ist nicht das Wichtigste. Alles was wir hier haben und erreichen können, hat stets den Charakter des Vorläufigen und erfährt seinen wahren Wert nur im Hinblick auf unser letztes und höchstes Ziel. Enttäuschungen, Fehler und Misserfolge in irdischen Belangen sollten uns deshalb weniger belasten als die Sorge um unser ewiges Heil. Vielleicht hilft diese Perspektive auch, andere Positionen in den Diskussionen leichter zu ertragen, die unsere Gesellschaft dominieren. Das könnte ein Beitrag sein, die zunehmende Spaltung der Gesellschaft zu verringern.

Unser irdisches Leben ist bis zum Schluss geprägt durch das „Noch nicht“ unserer wirklichen Erfüllung. In früheren Zeiten war deshalb gerne die Rede von der Pilgerschaft des Menschen auf Erden. Der heilige Augustinus hat dies auf den Punkt gebracht mit dem Satz: „Denn geschaffen hast Du uns zu Dir, und ruhelos ist unser Herz, bis dass es seine Ruhe hat in Dir.“ (Augustinus, „Bekenntnisse“, I. Buch)

Die richtige Antwort auf diesen Zustand des „unterwegs seins“ ist eine Tugend, die vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten ist: die Hoffnung. Sie ist, wie der Philosoph Josef Pieper schreibt, „die eigentliche Tugend des ‚Noch nicht’.“

Hoffnung bedeutet nun einerseits, dass Verzweiflung nicht angebracht ist. Was auch immer uns auf Erden genommen werden kann, unser letztes Ziel können wir trotzdem erreichen. Den Extremfall zeigen uns Heilige im Konzentrationslager wie P. Maximilian Kolbe, dessen Gedenktag wir am 14. August begehen. Wir wissen, dass Gott immer bei uns ist und unser ewiges Heil will.

Andererseits bedeutet unser unterwegs sein auch, dass wir das Ziel verfehlen können. Es wäre vermessen, wenn wir glauben, der Himmel sei uns gewiss oder wir könnten ihn uns auf irgendeine Weise verdienen. Diese Tatsache soll uns nicht entmutigen, sondern wachsam machen, damit wir den rechten Weg nicht verfehlen. Diesen Weg können wir nicht alleine gehen. Die Hoffnung ist eine theologische Tugend, was bedeutet, dass sie das übersteigt, was der Mensch aus sich heraus erreichen kann. Wir können und dürfen hoffen dank der Gnade Gottes, ohne die wir unser Ziel nicht erreichen.

Das heißt nun drittens, nicht der menschlichen Hybris zu verfallen, die ihr Heil und ihre Rettung ausschließlich in immer verbesserten technischen, medizinischen und sozialen Mitteln und Methoden sucht. Innerweltliche Heilsversprechungen haben stets zu großem Unheil geführt. Damit sollen Medizin und Technik nicht abgewertet, sondern an den richtigen Ort in der Ordnung der Dinge gestellt werden, die auch das Übernatürliche umfasst. Wir sollen, wie es in einem Tagesgebet heißt, die zeitlichen Güter so gebrauchen, dass wir die ewigen nicht verlieren.

Wer diese Gedanken vertiefen möchte, dem sei Josef Piepers Traktat „Über die Hoffnung“ ans Herz gelegt, an dem ich mich hier orientiert habe.

 

Autor Peregrinus ist der Redaktion bekannt.

 


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