Christliche Demokratie. Ein Zukunftsmodell im Zerfall

31. August 2021 in Kommentar


Wenn die sozialliberalen Bischöfe immer brav lernen, was ihre Bistumsmedien ihnen auftischen, dann werden sie, zu Fulda versammelt, bald singen: "Mit uns zieht die Neue Zeit ..." - Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Vor gar nicht allzu langer Zeit, noch um die Jahrhundertwende 1900, galt die konstitutionelle Monarchie als die ideale Staatsform, als historischer Kompromiss zwischen Volksinteresse und legitimer Obrigkeit. Knapp 20 Jahre später sah die Welt schon anders aus. In der Zwischenkriegszeit zeichneten sich sogar Scheinkonvergenzen der katholischen Staatslehre mit autoritären Modellen ab (Franco, Mussolini, Salazar...), wobei das Einschreiten von Papst Pius XI. gegen die "Action française" seit 1926, zugunsten der französischen Republik, bereits eine Grenzlinie zog. Pius XII. befürwortete dann 1944 die Demokratie als heute vorzugswürdige Regierungsform, nur 30 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, der die Ordnung des alten Europa zerstörte. In der zweiten Nachkriegszeit erschien die "democrazia cristiana" als das plausible Erfolgsmodell, eindeutig antikommunistisch orientiert, aber dem Gemeinwohl verpflichtet, sogar dem Weltgemeinwohl aller. Das christliche Menschenbild inspiriert und limitiert hierbei das demokratische Prinzip. Maßgebliche christliche Wertentscheidungen stehen nicht in der Verfügungsgewalt der Mehrheit. Was aber, wenn die Mehrheit das anders sieht? Dann stößt die christliche Demokratie an Grenzen: Es wird deutlich, dass sie Erfolg nur haben kann aus der Mitte des christlichen Volkes heraus. Zu den starken Initiativen der Nachkriegszeit zählte auch der Pax Christi-Gedanke, als Anstoß für die Völkerverständigung in Europa. Zur Zielsetzung gehörte ein institutioneller Pazifismus, der durch die politische Verknüpfung der Nationen den Krieg unmöglich macht und Wohlstand für alle umso mehr ermöglichen will. Auch das Europas des Friedens hat seine besten Chancen allerdings dann, wenn es ein Europa des Glaubens ist. Wenn uns "Europa" heute ganz etwas anderes predigt, was dann?

Das ehemalige Zukunftsmodell des christlich-demokratischen Europa zieht nicht mehr. Das italienische Zugpferd namens D.C. ist um 1994 zerfallen, als die antikommunistische Klammer obsolet geworden war. Sebastian Kurz hat die ÖVP zu neuen Erfolgen geführt, aber ganz bewusst umdekoriert von "schwarz" auf "türkis", was eine blau-grün schillernde Farbe ist. Für die politische Lagerbildung in Frankreich war die Christdemokratie nie ernstlich bestimmend, wenn auch ihr Einfluss in der IV. Republik größer war. Spanien sortiert sich grundsätzlich immer noch entlang den Bürgerkriegsparteien, weshalb eine starke Mitte ausfällt. Ausschlaggebend für den Niedergang des christlichen Humanismus in Europa, mittelbar also auch für den Zerfall der daran anküpfenden Gesellschaftsidee, ist allerdings die Tatsache, dass nachkonziliar, trotz oder wegen Gaudium et spes und der unermüdlichen Anstrengungen der Päpste bis 2013, in Europa keine relevante Bewegung katholischer Erneuerung das christliche Volk ergriffen hat. In leeren Kirchen müssen keine Hirtenbriefe mehr verlesen werden, um "richtig" zu wählen.

Die jüngere Generation wird den Verlust an Humanität, der auf die Entchristlichung zwingend folgt, kaum mehr verspüren, denn man denkt bereits planetarisch oder global und nicht vom Menschen her. Als "Maß aller Dinge" wird der Mensch nur noch bezeichnet, um religiöse Ansprüche abzuwehren. Würde noch ehrlich vom Menschen her gedacht, dann auch von der Weitergabe des Lebens her, also von der Ehe und der Familie her, im alten Sinn. Das war nie "Familismus", sondern die zentrale Grundentscheidung des christlichen Menschenbildes. Humanität zielt immer auch auf die nächsten Generationen, sonst ist sie keine. Da aber die Vermehrung kein Selbstzweck ist, auch kein Staatszweck, sondern zuerst Gott verherrlichen will, folgten manche Christen dem Ruf in die Ehelosigkeit um desselben Himmelreiches willen. Der Zölibat war dabei nie als Freibrief zur anderweitigen Triebabfuhr zu verstehen, weder in homosexuellen Priestercliquen noch für den Pfarrer als potenziellen Ehebrecher.

In den Merkeljahren hat die CDU ihren Kampf um die Familienwerte schon gewaltig abgerüstet, einer vorgeblichen Modernisierung wegen. Die Partei will "jünger und weiblicher" werden, wie die anderen auch. Adenauerzitate zur Berufung der 'Frau und Mutter' werden in den Medien nur noch ironisch zitiert, um zu zeigen, wie sehr dieser Kosmos versunken ist. Kurioserweise musste inzwischen die Zeitschrift der KFD nach dem Apostel Junias umbenannt werden (unter ideologischer Behauptung, er sei eine Frau mit Kirchenamt gewesen): Weil inzwischen auch die zumeist über 80-jährigen katholischen Frauen des früheren Müttervereins dazulernen müssen, dass Mutterschaft gar nicht ihre zentrale Identität hätte sein sollen und "matrimonium" (Ehe) schon gar nicht. Das Leben in Familien war allerdings tatsächlich der Geburtsort des Subsidaritätsprinzips und zugleich Lernort der Solidarität. Nur ohne Ausblendung oder Umgehung dieser konstanten Lebensrealität kann die menschliche Person das Ziel christlich motivierter Politik sein und bleiben, auch links und rechts von CDU oder CSU.

Im Gegenzug bereitet die Atomisierung der Familie, ihre Entgrenzung und Neudefinition, dem Zerfall der christdemokratischen Idee den Weg. In der schönen neuen Welt hat das Individuum eine zufällige Herkunft, einen beliebigen Zweck und eine sinnlose Zukunft. "Es verschlägt einem die Sprache", verkündet Bischof Bätzing angesichts der Flutopfer im Rheinland zwar, nur um dann doch wieder seine inhaltsleeren Seifenblasen aufsteigen zu lassen. Er hat "den Menschen" nichts mehr zu sagen, tut aber so als ob. Das ist keine bischöfliche Verkündigung. Der Verzicht darauf lässt die Menschen "im System" allein. Es wird in Kürze kein Merkelsystem mehr wider den politischen Katholizismus arbeiten, aber die nächste Überraschung könnte dann sein, dass die Unionswähler sich ohne Rest auf AfD, FDP und "Linksgrün" aufteilen werden. Denn möglichst alle zu versammeln, die in Deutschland sicher, sozial und frei leben wollen, das gelang nur unter dem Leitstern, für den "das C" stand. Europa ohne "hohes C" wird ärmer, kälter und gewiss nicht gesünder sein. Aber der Trend geht derzeit dahin, sich gegen den politischen Einfluss der Kirche zu verschwören, trotz oder wegen Papst Franziskus.

Mit "Laudatosifratellitutti" ist kein Staat zu machen. Das Geschwurbel ist im westeuropäischen Sinn nicht eindeutig "links" positioniert. Es finden sich in den Enzykliken auch "unerträglich reaktionäre" Einschübe, gegen Abtreibung und Euthanasie beispielsweise. Allerdings ist in die päpstliche Lehrverkündigung eine Zweideutigkeit der Parolen hineingelangt, welche die zuvor grundsätzlich gegebene Zuordnung der Bereiche nicht mehr gewährleistet: hier Religion, da Politik. Selbstverständlich stand der Petrusdienst immer im Spannungsfeld diesseitiger Mächte, aber seine wichtigste Funktion war stets, inmitten dieser Spannungen den höheren Sinn der kirchlichen Sendung einzuschärfen, den Seelen ein Fenster zur Seligkeit oberhalb der Politik offen zu halten. Das hat zuletzt Papst Benedikt XVI. geleistet, der sich mit vielen politisch-moralischen Sachfragen vertraut gemacht hatte, obwohl oder weil er durch und durch Theologe ist. Es bleibt ihm möglicherweise nicht erspart, den Abstieg der christsozialen Idee in das Reich des Todes noch miterleben zu müssen.

Die Selbstverzwergung insbesondere der noch reichen "deutschen Kirche" wird von der progressiven Front dazu hergenommen, vor "Sektierertum" zu warnen, das seitens der Frommen drohe. Dabei geriert sich das Kollektiv kirchlicher Betriebsangehöriger selber wie eine politreligiöse Sekte, deren "Bekenntnis"-Schriften offenbaren, wie sie exemplarisch in den Auswürfen des so gen. "Synodalen Wegs" zur Welt kommen werden, dass sowohl das überlieferte Christentum als auch die demokratische Staatsidee nur noch zufällig und am Rande in diesem sonderlich aparten Weltbild vorkommen. Man will eine Neue Kirche gestalten, deren Inhalt darin besteht, die aus weltanschaulichen Splittern diverser Provenienz zusammenkomponierte Mentalität derselben diözesanen Lohnabhängigen zu zementieren, als das, was heute "Botschaft Jesu" sei, ohne Dogma, ohne Diakonie, ohne Liturgie. Wenn es aber keine Religion mehr gibt, die etwas zu sagen hat, abgeschichtet von den aktuellen Emotionen politsozialer Empfindsamkeit, dann strukturiert diese die Gesellschaft auch nicht mehr. "Die Kirche" könnte diesen Anspruch lieber heute als morgen aufgeben. Nur als Leerformel, nämlich um etwaige Gehaltsansprüche zu untermauern, muss noch von der Gestaltung der Gesellschaft "aus dem Glauben heraus" geredet werden. Wobei "Glaube" meint, dass man die von anderswoher bezogenen "Überzeugungen" besonders engagiert vertritt. Der Glaube der Kirche ist in diesen Zirkeln nur ein Friedhof toter Ideen, dem man von Zeit zu Zeit noch Reverenz erweist, dem normative Kraft für den momentanen Gestaltungswillen aber fehlt.

Besonders weit reicht dieser Gestaltungswille in Folge der Abwertung der Glaubenssubstanz dann aber doch nicht mehr. Man kann ja aus den Programmen ähnlich motivierter Bewegungen abschreiben. Nur noch zum Lachen reizt, dass Opus Dei + Co. immer noch als Drohkulisse dienen müssen, um vor angeblich rechtskonservativ-elitären Einflüssen zu warnen, die unsere hysterische Gaypride-Spaßgesellschaft gefährden. Es wäre doch schön, wenn die "offene Gesellschaft" so offen wäre, dass sie auch noch ein traditionsbetontes, religiös fundiertes Zusammenleben in ihrer Mitte tolerieren würde. "China erlaubt das dritte Kind", hieß es neulich. Deutschland bald nicht mehr?

Zur christlichen Demokratie gehörte auch die Idee, dass Christen zu unterschiedlichen politischen Optionen gelagen können, wenn auch geeint in den grundlegenden Perspektiven. Die Katholiken versammelten sich in Deutschland seit 1945 weit überwiegend im "Unionslager"; aber immer existierte eine kleine Minderheit rechts davon und eine größere Minderheit links davon. Wenn heute die nationalkatholische Identität so neu gefasst wird, dass nur noch eine bestimmte Meinung zu Gender, Klima, Migration usw. christlich zulässig ist, dann verstößt der konfessionelle Kirchenblock (kirchensteuerfinanziert) das "Unionsmilieu" aus seiner Mitte, also ausgerechnet die Kirchensteuer-Garantiepartei. Das ZdK wird "nach Sternberg" voraussichtlich von einer Sozialdemokratin angeführt werden. Die Mehrheit im Plenum wird dem entsprechend sein. Der zu früh totgesagten Partei der Bahn- und Postpensionäre, der Beamten und Lehrer, könnte es auch noch gelingen, jedenfalls eher als 'Grünlinks', die Deutsche Bischofskonferenz auf ihre Seite zu ziehen. Wenn die sozialliberalen Bischöfe immer brav lernen, was ihre Bistumsmedien ihnen auftischen, dann werden sie, zu Fulda versammelt, bald singen: "Mit uns zieht die Neue Zeit ..." Wohin? Egal. Denn die deutschen Bischöfe zählen sich mehr zum öffentlichen Dienst als zur Hierarchie. Was ist Demokratie ...? Richtig! Das, was Beamte finanziert. Was ist Kirche? Dasselbe? Hoffentlich nicht!

 


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