Ă–kumenisches Gebet mit Migranten

3. Dezember 2021 in Aktuelles


Franziskus: so spricht Gott durch eure Träume zu uns. Er ruft auch uns auf, uns nicht mit einer gespaltenen Welt und einer gespaltenen Kirche abzufinden, sondern durch die Geschichte zu gehen, angezogen von Gottes Traum


Rom (kath.net) Am Nachmittag, um 16.00 Uhr (15.00 Uhr römischer Zeit), begab sich Papst Franziskus in die Kirche Santa Croce in Nikosia zu einem ökumenischen Gebet mit den Migranten.

Bei seiner Ankunft wurde er vom Patriarchen der Lateiner in Jerusalem, Seiner Seligkeit Pierbattista Pizzaballa, am Altar empfangen, der ihm Weihwasser zum Besprengen reichte. Nach dem Eröffnungslied, der Begrüßung durch den Patriarchen der lateinischen Kirche und den Zeugnissen eines Mitglieds der Caritas Zypern und vier junger Migranten hielt der Papst seine Annsprache.

„Möge diese Insel, die von einer schmerzlichen Spaltung gezeichnet ist, mit Gottes Gnade zu einer Werkstätte der Geschwisterlichkeit werden. Und das kann unter zwei Bedingungen so sein. Die erste ist die tatsächliche Anerkennung der Würde jeder menschlichen Person (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 8): dies ist das ethische Fundament, ein universelles Fundament, das auch im Mittelpunkt der christlichen Soziallehre steht. Die zweite Bedingung ist die vertrauensvolle Offenheit gegenüber Gott, dem Vater aller; und das ist der „Sauerteig“, den wir als Gläubige einbringen sollen (vgl. ebd., 272).“

ÖKUMENISCHES GEBET MIT MIGRANTEN in der Pfarreikirche zum Heiligen Kreuz in Nicosia 

Liebe Brüder und Schwestern,

es ist mir eine große Freude, hier bei euch zu sein und meinen Besuch in Zypern mit diesem Gebetstreffen abzuschließen. Ich danke den Patriarchen Pizzaballa und Béchara Raï Sowie Frau Elisabeth von der Caritas. Ich begrüße von Herzen und mit Dankbarkeit die Vertreter der verschiedenen christlichen Konfessionen, die es in Zypern gibt.

Ein großes, herzliches „Dankeschön“ möchte ich euch, liebe junge Migranten, sagen, die ihr eure Zeugnisse gegeben habt. Ich habe sie vor etwa einem Monat im Voraus erhalten und sie haben mich sehr berührt, und auch heute haben sie mich bewegt. Aber es ist nicht nur ein Gefühl, es ist viel mehr: Es ist das Bewegtsein, das von der Schönheit der Wahrheit ausgeht. Wie die Erregung Jesu, als er ausrief: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen« (Mt 11,25-26). Auch ich preise den himmlischen Vater, denn dies geschieht heute, hier – wie auch in der ganzen Welt –: Den Kleinen offenbart Gott sein Reich, ein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens.

Nachdem wir euch zugehört haben, verstehen wir besser die ganze prophetische Kraft des Wortes Gottes, das durch den Apostel Paulus sagt: »Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes« (Eph 2,19). Worte, die an die Christen in Ephesus geschrieben wurden - nicht weit von hier! - zeitlich sehr weit entfernt, aber auch sehr nah, aktueller denn je, als wären sie für uns heute geschrieben: „Ihr seid nicht Fremde, sondern Mitbürger“. Das ist die Prophezeiung der Kirche: eine Gemeinschaft, die - bei allen menschlichen Grenzen - den Traum Gottes verkörpert. Denn auch Gott träumt, so wie du, Mariamie, die du aus der Demokratischen Republik Kongo kommst und dich als „voller Träume“ bezeichnet hast. Wie du träumt auch Gott von einer Welt des Friedens, in der seine Kinder als Brüder und Schwestern leben.

Eure Anwesenheit, liebe Brüder und Schwestern Migranten, ist für diese ökumenische Feier von großer Bedeutung. Eure Zeugnisse sind wie ein „Spiegel“ für uns, die christlichen Gemeinschaften. Wenn du, Thamara, die du aus dem Sri Lanka kommst, sagst: „Ich werde oft gefragt, wer ich bin“, dann erinnerst du uns daran, dass auch uns manchmal diese Frage gestellt wird: „Wer bist du?“. Und leider meint man damit oft: „Auf wessen Seite stehst du? Zu welcher Gruppe gehörst du?“. Doch wie du gesagt hast, sind wir keine Nummern, keine objekte zum Katalogisieren. Wir sind füreinander „Geschwister“, „Freunde“, „Gläubige“ und „Nachbarn“.

Wenn du, Maccolins, der du aus Kamerun kommst, sagst, dass auf deinem Lebensweg „vom Hass verletzt“ worden bist, dann erinnerst du uns daran, dass der Hass auch unsere Beziehungen unter Christen belastet hat. Und das hinterlässt, wie du sagst, seine Spuren, tiefe Spuren, die lange Zeit bestehen bleiben. Es ist ein Gift, von dem man sich nur schwer entgiften kann. Es ist eine verzerrte Mentalität, die uns, anstatt uns als Brüder und Schwestern anzuerkennen, dazu bringt, uns als Gegner, als Rivalen zu sehen.

Wenn du, Rozh, der du aus dem Irak kommst, sagst, dass du „ein Mensch auf der Reise“ bist, dann erinnerst du uns daran, dass auch wir eine Gemeinschaft auf einer Reise sind, wir sind auf dem Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft. Auf diesem Weg, der lang und voller Höhen und Tiefen ist, sollten wir uns nicht vor den Unterschieden zwischen uns fürchten, sondern vor unseren Verschlossenheiten und Vorurteilen, die uns daran hindern, uns wirklich zu begegnen und gemeinsam zu gehen. Verschlossenheit und Vorurteile bauen zwischen uns die trennende Wand wieder auf, die Christus niedergerissen hat, nämlich die Feindschaft (vgl. Eph 2,14). Unser Weg zur Einheit kann nur in dem Maße voranschreiten, wie wir alle gemeinsam unseren Blick auf Ihn richten, der »unser Friede« (ebd.) ist, der der »Eckstein« (V. 20) ist. Und er, unserer Herr Jesus, kommt uns mit dem Antlitz des ausgegrenzten und verstoßenen Bruders entgegen. Mit dem Gesicht des Migranten, der verachtet, abgewiesen, eingesperrt wird... Aber auch - wie du sagst - mit dem Migranten, der auf dem Weg zu etwas ist, zur Hoffnung, zu einem menschlicheren Zusammenleben.

Und so spricht Gott durch eure Träume zu uns. Er ruft auch uns auf, uns nicht mit einer gespaltenen Welt und einer gespaltenen Kirche abzufinden, sondern durch die Geschichte zu gehen, angezogen von Gottes Traum: eine Menschheit ohne trennende Wände, befreit von Feindschaft, keine Fremde mehr, sondern nur Mitbürger. Natürlich verschieden und stolz auf unsere Eigenheiten, die ein Geschenk Gottes sind, aber versöhnte Mitbürger.

Möge diese Insel, die von einer schmerzlichen Spaltung gezeichnet ist, mit Gottes Gnade zu einer Werkstätte der Geschwisterlichkeit werden. Und das kann unter zwei Bedingungen so sein. Die erste ist die tatsächliche Anerkennung der Würde jeder menschlichen Person (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 8): dies ist das ethische Fundament, ein universelles Fundament, das auch im Mittelpunkt der christlichen Soziallehre steht. Die zweite Bedingung ist die vertrauensvolle Offenheit gegenüber Gott, dem Vater aller; und das ist der „Sauerteig“, den wir als Gläubige einbringen sollen (vgl. ebd., 272).

Unter diesen Bedingungen ist es möglich, den Traum in einen täglichen Weg zu übersetzen, der aus konkreten Schritten vom Konflikt zur Gemeinschaft, vom Hass zur Liebe besteht. Eine geduldige Wanderung, die uns Tag für Tag weiter in das Land führt, das Gott für uns vorbereitet hat, das Land, in dem du, wenn man dich fragt: „Wer bist du?“, offen antworten kannst: „Ich bin dein Bruder, deine Schwester“.

 


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