Missbrauch: Was tun mit Tätern nach verbüßter Strafe?

26. Jänner 2022 in Aktuelles


Kommunikationschef der Erzdiözese Wien, Prüller, in "Presse": Rückfallsgefährlichkeit von Sexualstraftätern erfordert neues kirchliches Disziplinarrecht - Christliche Vergebung ist "kein Modell für den Personaleinsatz"


Wien (kath.net/KAP) Nicht nur die Kirche, letztlich die ganze Gesellschaft das Problem, "dass wir - alle miteinander - immer noch nicht wissen, wie wir mit Tätern nach verbüßter Strafe umgehen sollen". Darauf hat Michael Prüller, der Kommunikationschef der Erzdiözese Wien und Sprecher von Kardinal Christoph Schönborn, in seiner wöchentlichen Kolumne in der "Presse am Sonntag" (23.1.) hingewiesen. Das Recht auf einen Neuanfang stehe im Konflikt mit der Rückfallsgefährlichkeit von Sexualstraftätern. "Zwischen einer naiven Hoffnung auf das reine Herz des geläuterten Täters und dem Ruf nach Wegsperren auf immer gibt es noch keine allgemein anerkannte Lösung." Sie zu finden, wäre laut Prüller wichtiger als die Frage, ob auch Ratzinger damit überfordert war.

Prüller bezog sich auf das Münchner Missbrauchsgutachten, das dem späteren Papst Benedikt ein nicht adäquates Vorgehen als Erzbischof vor 40 Jahren vorwirft. Es sei "wichtig und richtig, Verantwortung einzumahnen". Unabhängig davon, wie viel er in den vier ihm vorgeworfenen Fällen wusste - die Verantwortung für eine inadäquat handelnde Institution habe Ratzinger laut Prüller in jedem Fall getragen, "wie so viele Bischöfe, Landesschuldirektoren, Heimleiter, Sportfunktionäre, Vereinspräsidenten usw. seiner Zeit", in der das Bewusstsein gefehlt habe, dass von Übergriffen Betroffene traumatisierte Opfer sein können.

Offen bleibe im Fall des emeritierten Papstes freilich - wie der Publizist pointiert anmerkte, "wie zutreffend eine Auswertung oft recht dürrer Akten nach Jahrzehnten überhaupt sein kann. Man stelle sich ein Gutachten vor, dass im Jahr 2064 untersucht, wer bei unserer Pandemiebekämpfung versagt hat."

Kirche braucht klares Disziplinarrecht

Seit Ratzingers Zeit als Münchner Erzbischof habe sich vieles verbessert, außer- und innerhalb der Kirche. Prüller erwähnte hier Enttabuisierung und Transparenz, empathisches Hören auf Betroffene, Ombudsstellen, Präventionsbeauftragte, und die "Klasnic-Kommission". Und doch blieben noch Hausaufgaben hinsichtlich der Prävention von Missbrauch. Prüller nannte als Möglichkeit ein kirchliches Disziplinarrecht, wie es schuldig gewordene Ärzte oder Anwälte für einen weiteren Einsatz (oder Nichteinsatz) hätten. Bisher ziele das kirchliche Strafrecht  - in Ergänzung zum staatlichen Strafrecht - fast ausschließlich darauf ab, dass jemand sein unrechtes Tun beendet. "Eine abgeschlossene und bereute Tat ist also so, als hätte sie nie stattgefunden", erklärte der Kolumnist. "Das ist christliche Vergebung - aber kein Modell für den Personaleinsatz."

Gegenüber Kathpress führte Prüller dazu am Montag weiter aus, dass es heute undenkbar geworden sei, jemanden nach einem Missbrauchsfall einfach woandershin zu versetzen. Es sei heute ganz klar, dass etwa der Bischof dafür verantwortlich ist, dass ein Täter nicht mehr in Bereichen eingesetzt wird, wo er weiteren Schaden anrichten kann. "Ein ausgereiftes Disziplinarwesen könnte hier aber klarere Richtlinien geben und damit die Verwantwortlichen unterstützen.

Disziplinarstrafen würden auch abschreckend wirken, weil ein potenzieller Täter dann genauer weiß, was ihn im Fall erwartet. Und sie entsprächen der auch im Münchner Gutachten zum Ausdruck kommenden Erwartung, dass für Untaten auch nach kirchlichem und nicht nur nach staatlichem Recht Sühne geleistet werden muss." In vielen Fällen würde der heutige Umgang mit Tätern zwar solche Strafkomponenten ausweisen - "aber es fehlt eine einheitliche, transparente Richtschnur".  

Prüller wies im Gespräch mit der Kathpress zudem darauf hin, dass es auch im zivilen Recht weiterhin einen Graubereich gibt: "Der §113 im Strafgesetzbuch droht jedem bis zu drei Monate Gefängnis an, der einem Täter eine strafbare Handlung vorwirft, nachdem dieser seine Strafe verbüßt hat oder sie ihm nachgelassen worden ist." Das schaffe, so Prüller, Unsicherheit in der Frage, was man zum Beispiel straflos einem neuen Arbeitgeber eines vormals verurteilten Täters über dessen Vorleben mitteilen darf. Hier haben wir eine gesellschaftliche Herausforderung, die man anderswo zum Beispiel durch allgemein einsehbare Sexualstraftäterlisten zu beantworten sucht. "Ich bin mir nicht sicher, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. Aber der status quo ist es auch nicht."    

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