Wer sind „gute Priester“?

15. Mai 2022 in Kommentar


Der Verhaltenskodex des Churer Bischofs Bonnemain zur Verhütung der Missbrauchsfälle verletzt mehrfach die Lehre und Disziplin der katholischen Kirche. Gastkommentar der Religionspsychologin Martha von Jesensky


Zürich (kath.net) Es ist mir bewusst, dass dieser Titel provozierend tönt. Meine Absicht ist es aber weder zu provozieren noch zu polemisieren, sondern einige Denkanstösse zu geben.

Im Christentum ist der Priester eine Amtsperson, die durch die Weihe (Sacramentum ordinis) befähigt wird, eine Verbindung zwischen Gott und dem Menschen herzustellen. Voraussetzung dafür ist die restlose Veränderungsbereitschaft: sich von Christus umgestalten zu lassen und ihm nachzufolgen. Der Grund zu dieser Entscheidung lässt sich mit dem leidenschaftlichen Willen des Apostels Paulus ausdrücken, der sagt: „Ich weiss, wem ich geglaubt“ (Scio enim cui credidi) Hier geht es also nicht um ein weltlich-herausforderndes Abenteuer für dessen Erlangen sich ein hoher Einsatz lohnt, wie zum Beispiel Ehre und Anerkennung, sondern Gott zu dienen.

Ein historisches Beispiel

Vor hundert Jahren, in der Zeit der grossen Entdeckungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, auch in der Erdkunde, wurden Helden geboren, die den Fortschritt der Menschheit beschleunigten. So auch Roald Amundsen, der am 14. Dezember 1911 als erster Mensch den Südpol in der Antarktis erreichte. Auch andere wollten dorthin. So der Basler Jurist Xavier Mertz (geboren 1882). Er meldete sich auf ein Inserat des Expeditionsleiters Douglas Mawson, das so lautete: „Männer gesucht für gewagte Reise. Wenig Lohn. Bittere Kälte. Lange Monate in kompletter Dunkelheit. Konstante Gefahr. Sichere Rückkehr ungewiss. Ehre und Anerkennung im Erfolgsfall.“ (Metz wurde zur Expedition zugelassen)

Und wie ist das mit Priestern? Auf welches Wagnis gehen sie ein? Ich denke, sie lassen sich auf das grösste Wagnis ein, das ein Mensch machen kann, nämlich auf das Wagnis des Gottvertrauens. Natürlich ist dieses Gottvertrauen auch Schwankungen und Erschütterungen unterworfen, das zeigen auch die vielen Heiligenbiografien. Doch das Gottvertrauen kann immer wieder zurückgewonnen werden.

Dietrich von Hildebrand (1940) sagt in diesem Zusammenhang: Das natürliche Sicherheitsgefühl des Optimisten, der seine Zuversicht auf sein Können und vitale Kräfte baut, muss von dem Gottvertrauen aufs schärfste getrennt werden. Ja, noch mehr. „Diese Sicherheit muss erst völlig zusammenbrechen, soll das wahre Gottvertrauen in uns Raum gewinnen.“
 
Kurz vor Weihnachten 2013 fragte ein Journalist den SPIEGEL-Autor Jan Fleischhauer: „Wünschen Sie sich einen Verkünder wie Johannes der Täufer? Er predigte seinen Zuhörern: Ihr Schlangenbrut! Wer hat euch eingeredet, dass ihr dem kommenden Zorngericht Gottes entgeht?“ (Matthäus 3,7) Fleischhauer antwortete: „In Brasilien habe ich tatsächlich einen solchen Gottesdienst besucht. Ich gebe zu: Es hat mir gefallen. Wer sich selbst gegenüber ehrlich ist, weiss doch, dass er sündigt, dass er lügt und betrügt. Wenn uns nicht mal mehr am Sonntag von der Kanzel ins Gewissen geredet wird, wo dann?“

Papst Johannes II. sagt in diesem Zusammenhang: Die Moral zu lehren bedeutet das Innere des Menschen zu formen. Das Gewissen mit der Wahrheit Christi erhellen, den Willen zum Guten zu stärken, damit sich der Gläubige für das Gute entscheiden kann. In Rahmen dieser Lehre ist viel Platz für Ermutigungen, Ermahnungen, Appelle. Folgt die Kirche, indem sie das tut, nicht ihren Meister? Kann sie nicht mater et magistra sein bis in die Tiefe des menschlichen Herzens hinein, wenn Christus es ihr anvertraut hat? In diesem Sinne greift die Kirche nicht als „ungeeigneter Schiedsrichter“ in den Konflikt eines Gläubigen mit sich selbst ein, wie es oft angenommen wird, nein, sie ist Mittlerin für den Dialog des Gewissens mit Christus. Und darin besteht ihre grosse Würde. (Vgl. Andé Frossard im Gespräch mit Johannes Paul II., 1982, S. 139)

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn der Verhaltenskodex des neuen Bischofs zur Verhütung der Missbrauchsfälle, insbesondere im Umgang mit Homosexuellen, bei Churer Priesterkreis für grossen Unmut sorgt. Denn der Kodex verletze mehrfach die Lehre und Disziplin der katholischen Kirche. Die Lehre besage: „Gestützt auf die Heilige Schrift, die die Homosexualität als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, dass homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung sind. (…) Sie sind in keinem Fall zu billigen. Wer aber die Anweisung im Verhaltenskodex „Ich verzichte auf pauschal negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung“ unterschreibe, dürfe nicht mehr die kirchliche Lehre zur Homosexualität verkünden, wie sie im „Katechismus der katholischen Kirche“ festgehalten ist.

Selbst der Sprecher der Zürcher Landeskirche Aschi Rutz räumt ein, dass es tatsächlich einen Widerspruch gebe zwischen einzelnen Aussagen des Verhaltenkodexes und traditionellen kirchenamtlichen Dokumenten. Rutz: „Ganz sicher wird und muss sie (die kirchliche Lehre) auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte bezüglich Homosexualität berücksichtigen.“ (NZZ, 5. Mai 202)

Das kann die Wissenschaft tun. Nichtsdestotrotz bleibt praktizierende Homosexualität eine Sünde. Sehr oft höre ich: „Gott ist barmherzig, woher können wir wissen, dass es nicht sein Wille ist Homosexualität zu akzeptieren?“ Dann antworte ich: Es stimmt, wir wissen nicht immer was Gott will. Aber wir wissen ziemlich genau aus dem Alten und Neuen Testament, was Gott nicht will.

Der Churer Priesterkreis handelt danach. Das ist lobenswert.

Dr. phil. Martha von Jesensky (Foto) ist Religionspsychologin und praktizierende Katholikin. Die Schweizerin führte lange eine eigene Praxis in Zürich, ihren (Un-)Ruhestand verbringt sie in Matzingen TG.

Foto (c) Martha von Jesensky


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