Feierliche Heiligsprechungen auf dem Petersplatz: ergriffen von der Liebe

15. Mai 2022 in Aktuelles


Franziskus: dies ist das Testament, das Christus uns hinterlassen hat, das grundlegende Kriterium, um zu erkennen, ob wir wirklich seine Jünger sind oder nicht: das Gebot der Liebe


Rom (kath.net/as) Am heutigen 15. Mai, dem fünften Sonntag der Osterzeit, hat die Kirche zehn neue Heilige bekommen. Im Folgenden die Liste der Seligen:

Lazarus Devasahayam Pillai (1712-1752), Laie.

César de Bus (1544-1607), Gründer der Kongregation der Patres der Christenlehre.

Luigi Maria Palazzolo (1827-1886), Priester, Gründer des Instituts der Schwestern der Armen Frauen und Brüder von der Heiligen Familie.

Justin Maria Russolillo (1891-1955), Priester, Gründer der Gesellschaft der Göttlichen Berufe.

Charles de Foucauld (1858-1916), Diözesanpriester.

Maria Franziska von Jesus (geborene Anna Maria Rubatto, 1844-1904), Gründerin der Kapuziner-Tertiarinnen von Loano

Maria Domenica Mantovani (1862-1934), Mitbegründerin und erste Generaloberin des Instituts der Kleinen Schwestern von der Heiligen Familie.

Titus Brandsma (1881-1942), Professpriester des Karmeliterordens.

Marie Rivier (1768 - 1838), Gründerin der Kongregation der Schwestern von der Darstellung Mariens.     

Maria von Jesus Santocanale (geb.: Carolina, 1852-1923), Gründerin der Kongregation der Kapuzinerinnen von der Unbefleckten Empfängnis von Lourdes.

„Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die beiden wesentlichen Elemente dieses Gebots: Jesu Liebe zu uns - wie ich euch geliebt habe - und die Liebe, die er von uns verlangt - so sollt ihr einander lieben.“

„Erstens: Wie ich euch geliebt habe. Wie hat Jesus uns geliebt? Bis zum Ende, bis zur totalen Selbsthingabe“.

„Die Liebe, die wir vom Herrn empfangen, ist die Kraft, die unser Leben verwandelt: Sie weitet unser Herz und macht uns dazu bereit zu lieben. Deshalb sagt Jesus - und das ist der zweite Aspekt - »wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben«.“

„Dem Evangelium und den Brüdern und Schwestern zu dienen, sein Leben ohne Gegenleistung zu opfern, ohne weltlichen Ruhm zu suchen: dazu sind auch wir aufgerufen.“

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Predigt von Papst Franziskus bei der Messe auf dem Petersplatz zur Heiligsprechung von zehn Seligen:

Wir haben einige Worte gehört, die Jesus an die Seinen richtet, bevor er aus dieser Welt zum Vater geht, Worte, die ausdrücken, was es bedeutet, ein Christ zu sein: »Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben« (Joh 13,34). Dies ist das Testament, das Christus uns hinterlassen hat, das grundlegende Kriterium, um zu erkennen, ob wir wirklich seine Jünger sind oder nicht: das Gebot der Liebe. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die beiden wesentlichen Elemente dieses Gebots: Jesu Liebe zu uns - wie ich euch geliebt habe - und die Liebe, die er von uns verlangt - so sollt ihr einander lieben.

Erstens: Wie ich euch geliebt habe. Wie hat Jesus uns geliebt? Bis zum Ende, bis zur totalen Selbsthingabe. Es ist bemerkenswert, dass er diese Worte in einer dunklen Nacht spricht, wobei die Atmosphäre im Abendmahlssaal von Ergriffenheit und Besorgnis geprägt ist: Ergriffenheit, weil der Meister sich von seinen Jüngern verabschieden will, Besorgnis, weil er ankündigt, dass einer von ihnen ihn verraten wird. Wir können uns vorstellen, welchen Kummer Jesus in seiner Seele trug, welche Düsternis sich über die Herzen der Apostel legte und welche Bitterkeit, wenn Judas, nachdem er den vom Meister für ihn eingetauchten Bissen erhalten hatte, den Raum verließ, um in die Nacht des Verrats einzutauchen. Und gerade in der Stunde des Verrats bestätigt Jesus seine Liebe zu den Seinen. Denn in der Dunkelheit und den Stürmen des Lebens ist dies das Wesentliche: Gott liebt uns.

Brüder und Schwestern, lasst diese Verkündigung im Mittelpunkt unseres Glaubensbekenntnisses und unserer Glaubensäußerungen stehen: „Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt“ (vgl. 1 Joh 4,10). Das sollten wir nie vergessen. Im Mittelpunkt stehen nicht unsere Fähigkeiten und Verdienste, sondern die bedingungslose und unentgeltliche Liebe Gottes, die wir nicht verdient haben. Am Anfang unseres Christseins stehen nicht Lehren und Werke, sondern das Staunen über die Entdeckung, dass wir geliebt werden, noch vor jeder Antwort von unserer Seite. Während die Welt uns oft davon überzeugen will, dass wir nur dann einen Wert besitzen, wenn wir Ergebnisse erzielen, erinnert uns das Evangelium an die Wahrheit des Lebens: Wir werden geliebt. So schrieb ein spiritueller Meister unserer Zeit: »Noch bevor uns ein Mensch sah, wurden wir von den liebenden Augen Gottes gesehen. Noch bevor uns jemand weinen oder lachen hörte, wurden wir von unserem Gott gehört, der ganz Ohr für uns ist. Noch bevor irgendjemand in dieser Welt zu uns sprach, sprach die Stimme der ewigen Liebe bereits zu uns« (Henry NOUWEN, Die innere Stimme der Liebe).

Diese Wahrheit verlangt von uns eine Umkehr in Bezug auf die Vorstellung, die wir oft von Heiligkeit haben. Indem wir manchmal zu sehr auf unseren Bemühungen um gute Werke bestehen, haben wir ein Ideal von Heiligkeit geschaffen, das zu sehr auf uns selbst beruht, auf persönlichem Heldentum, auf der Fähigkeit zum Verzicht, auf der Aufopferung, um einen Preis zu gewinnen. So haben wir die Heiligkeit zu einem unerreichbaren Ziel gemacht, wir haben sie vom Alltag getrennt, anstatt sie im Alltäglichen zu suchen und zu umarmen, im Staub der Straße, in den Mühen des konkreten Lebens und, wie die heilige Teresa von Ávila zu ihren Schwestern zu sagen pflegte, „zwischen den Kochtöpfen“. Jünger Jesu zu sein und den Weg der Heiligkeit zu gehen, bedeutet vor allem, sich von der Kraft der Liebe Gottes verwandeln zu lassen. Vergessen wir nicht den Vorrang Gottes über das eigene Ich, des Geistes über das Fleisch, der Gnade über die Werke.

Die Liebe, die wir vom Herrn empfangen, ist die Kraft, die unser Leben verwandelt: Sie weitet unser Herz und macht uns dazu bereit zu lieben. Deshalb sagt Jesus - und das ist der zweite Aspekt - »wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben«. Dieses so ist nicht nur eine Aufforderung, die Liebe Jesu nachzuahmen; es bedeutet, dass wir nur lieben können, weil Er uns geliebt hat, weil er unseren Herzen seinen eigenen Geist schenkt, den Geist der Heiligkeit, die Liebe, die uns heilt und verwandelt. Deshalb können wir in jeder Situation und bei jedem Bruder und jeder Schwester, denen wir begegnen, Entscheidungen aus Liebe heraus treffen und Taten der Liebe vollbringen.

Und was bedeutet es ganz konkret, diese Liebe zu leben? Bevor er uns dieses Gebot hinterließ, wusch Jesus den Jüngern die Füße; nachdem er es ausgesprochen hatte, opferte er sich am Holz des Kreuzes auf. Zu lieben bedeutet: zu dienen und sein Leben hinzugeben. Dienen heißt, nicht die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen; sich von dem Gift der Habsucht und des Wettkampfs zu befreien; das Krebsgeschwür der Gleichgültigkeit und den Stachel der Selbstbezogenheit zu bekämpfen; die Charismen und Gaben, die Gott uns geschenkt hat, zu teilen. Fragen wir uns konkret: „Was tue ich für andere?“ und leben wir die alltäglichen Dinge im Geiste des Dienens, mit Liebe und ohne Aufsehen, ohne etwas zu fordern.

Und dann das Leben hingeben, was nicht nur darin besteht, anderen etwas zu schenken, etwa ein Teil des eigenen Besitzes, sondern sich selbst zu verschenken. Es geht darum, aus dem Egoismus herauszukommen und das Dasein zu einem Geschenk zu machen, die Bedürfnisse derer zu sehen, die neben uns leben, uns für die Bedürftigen einzusetzen, vielleicht ein wenig zuzuhören, ein wenig Zeit zu haben, einen Anruf zu tätigen. Heiligkeit besteht nicht aus ein paar heroischen Gesten, sondern aus viel täglicher Liebe. »Bist du ein Gottgeweihter oder eine Gottgeweihte? Sei heilig, indem du deine Hingabe freudig lebst. Bist du verheiratet? Sei heilig, indem du deinen Mann oder deine Frau liebst und umsorgst, wie Christus es mit der Kirche getan hat. Bist du ein Arbeiter? Sei heilig, indem du deine Arbeit im Dienst an den Brüdern und Schwestern mit Redlichkeit und Sachverstand verrichtest. Bist du Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter? Sei heilig, indem du den Kindern geduldig beibringst, Jesus zu folgen. Hast du eine Verantwortungsposition inne? Sei heilig, indem du für das Gemeinwohl kämpfst und auf deine persönlichen Interessen verzichtest.« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 14).

Dem Evangelium und den Brüdern und Schwestern zu dienen, sein Leben ohne Gegenleistung zu opfern, ohne weltlichen Ruhm zu suchen: dazu sind auch wir aufgerufen. Unsere Begleiter auf der Pilgerreise, die heute heiliggesprochen worden sind, haben die Heiligkeit auf diese Weise gelebt: Indem sie ihre Berufung - als Priester, Gottgeweihte, Laie - mit Begeisterung angenommen haben, haben sie sich für das Evangelium verausgabt, sie haben eine unermessliche Freude entdeckt, und sie strahlten den Glanz des Herrn in der Geschichte wieder. Versuchen es auch wir, denn jeder von uns ist zur Heiligkeit berufen, zu einer einzigartigen und unwiederholbaren Heiligkeit. Ja, der Herr hat einen Plan der Liebe für jeden einzelnen, er hegt einen Traum für dein Leben. Nimm ihn auf. Und verwirkliche ihn mit Freude.

 


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