Für die Weltkirche ist das nur ein Sturm im Wasserglas

17. Mai 2022 in Aktuelles


Zum Rück-, Aus- und Übertritt von Andreas Sturm, Generalvikar des Bistums Speyer - „Wer legt denn fest, ob und wenn ja in welche Richtung und in welcher Form sich die Katholische Kirche überhaupt wandeln MUSS?“ Von Jürgen Henkel


Speyer (kath.net/jh) So so…: Der Generalvikar des Bistums Speyer, Andreas Sturm, legt medienwirksam sein Amt nieder und tritt gleich noch dazu aus der Römisch-Katholischen (Welt-)Kirche aus, um sein Heil künftig in der Altkatholischen Kirche zu suchen. Als Begründung lässt er sich mit den Worten zitieren, er habe „im Laufe der Jahre Hoffnung und Zuversicht verloren, dass die römisch-katholische Kirche sich wirklich wandeln kann“. Die erste Frage, die sich hier stellt, lautet: Wer legt denn fest, ob und wenn ja in welche Richtung und in welcher Form sich die Katholische Kirche überhaupt wandeln muss? Es ist schon schlimm, wenn der Vatikan und die Weltkirche nicht nach der Pfeife der deutschen Reform-, Amts- und Funktionärskatholiken tanzen… Das sorgt seit Jahren für einen echten „Furor teutonicus“ im Lande, vom Rauschen im Blätterwald über Funk und Fernsehen bis hin zu allen möglichen Internetportalen.

Die Agnostiker in unseren linksgrünen und kirchenfeindlichen Medien hierzulande griffen die Nachricht erwartungsgemäß begeistert auf. Sie instrumentalisieren diese zwar sehr persönliche, aber öffentlichkeitsheischend kommunizierte (Ent-)Scheidung wollüstig in der Dauerschleife des von ihnen wesentlich mit erzeugten antikirchlichen Zeitgeistes und nutzen den Vorgang zur Befeuerung des aktuellen antikatholischen Hypes.

„Was für eine Tragik!“, lamentiert da etwa die SWR-Redakteurin Panja Schollbach zu diesem Rück-, Aus- und Übertritt. „Ausgerechnet ein Kirchen-Revoluzzer gibt auf“, heißt es in der Überschrift zu ihrem im Internet abrufbaren Kommentar (https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/ludwigshafen/kommentar-panja-schollbach-generalvikar-sturm-100.html). Selten freilich werden subjektive Motivation, Kriterienabstinenz und fehlendes Hintergrundwissen so offen gezeigt und zelebriert wie bei dieser Autorin, charakterisiert sie sich doch selbst mit den Worten: „Ich bin Protestantin, eher kirchenfern als Kirchgängerin, zahle immerhin Kirchensteuern aus Überzeugung, bin aber keine praktizierende Christin – und mit der katholischen Kirche habe ich ja eigentlich nichts am Hut.“

Bravo, Frau Redakteurin: Beste Voraussetzungen im Blick auf Kompetenz, existenzielle Glaubenserfahrungen und persönliche Betroffenheit, um über die Katholische Kirche in Deutschland und weltweit in einem Kommentar urteilen zu können. Auf gut deutsch hat die meinungsfreudige Autorin also laut eigener Aussage nicht wirklich Ahnung von der Katholischen Kirche und ihrer Lehre und Liturgie, Theologie und Spiritualität oder auch den besonderen Traditionen des Katholizismus in Deutschland und weltweit. Dieses heute offenbar typische „Anforderungsprofil“ für Journalisten, die im deutschsprachigen Raum über die Katholische Kirche schreiben, erfüllt sie also zur vollsten Zufriedenheit des linksgrünen Medienmainstreams schon mal eins zu eins.

Diese „Kernkompetenzen“ teilt sie freilich mit tausenden von Journalisten, die sich in deutschen Redaktionsstuben und Medienhäusern von den Regionalzeitungen bis hin zu den öffentlich-rechtlichen „Staatssendern“ im Land immer wieder zu Richtern und Hinrichtern der Katholischen Kirche aufschwingen. Das Ergebnis ist klar: Geboten werden Stimmungsmache statt Sachinformationen, subjektive Meinungen statt Hintergrund und emotionale Kommentierung statt objektive Berichterstattung, sobald es um (= gegen) die Katholische Kirche geht.

Es ist ohnehin ein weltweit wohl einmaliges Phänomen, mit welch hemmungsloser Übergriffigkeit sich in Deutschland unkundige, unbeteiligte und unwissende sowie häufig auch ungetaufte Medien- und Kulturschaffende auf der Basis ihrer ganz persönlichen subjektiven Meinungen, der eigenen Glaubensskepsis und ablehnenden Haltung zum Christentum und meist auch ihres religiösen Nihilismus besonders über die Katholische  Kirche äußern und sich dabei aber anmaßen, ganz genau zu wissen, was „die“ Katholische Kirche braucht, zu denken und zu tun hat und Rom weltweit sofort ändern müsste, auch wenn man selbst „mit der katholischen Kirche eigentlich nichts am Hut hat“. Da soll wieder einmal ganz kräftig am deutschen Wesen die Welt genesen. Beim Islam ist man da deutlich zurückhaltender in deutschen Medienhäusern und Redaktionsstuben.

Natürlich erweisen sich hier die „katholischen“ – in Wahrheit eher protestantisierenden – „Reformatoren“ des „Synodalen Wegs“ und ihre GesinnungsgenossInnen_den* an katholischen Fakultäten und im deutschen Funktionärskatholizismus auf ihrem „Synodalen Weg“ in die Reformation 2.0 als ideale Stichwortgeber. Vielleicht bräuchte die Katholische Kirche gerade in Deutschland aber einfach wieder mehr Glauben und weniger Revolte gegen Rom, die eigene Lehre und Tradition, weniger Revoluzzer und mehr Gläubige, die noch wissen, was sie glauben und was die wesentlichen Grundlagen des katholischen Glaubens sind. Genauso wie die Evangelische Kirche wieder mehr Gläubige bräuchte, die an die Heilige Dreifaltigkeit, die Jungfrauengeburt, das Leere Grab und die wirkliche Auferstehung Christi glauben, statt nur an den Klimawandel, die Notwendigkeit grenzenloser Zuwanderung und die Welterlösung durch die Grünen…

Während Papst Franziskus nicht müde wird, in aller gebotenen und biblisch begründeten Deutlichkeit die Neuevangelisation als Ausweg aus der Kirchenkrise in Deutschland und Europa zu fordern, richten sich die Akteure des „Synodalen Wegs“ und seine Adepten maximal selbstgefällig in der Position einer selbsternannten theologischen Avantgarde ein, die die weite Welt und die ganze Weltkirche über den richtigen Weg in die Zukunft-(sfähigkeit) der Kirche zu belehren hat.

Zurück zu Generalvikar Sturm. Die SWR-Redakteurin gerät regelrecht ins Schwärmen und schmilzt dahin bei dem telegenen Theologen und Kirchenmann: „Beeindruckt war ich und hingerissen von diesem Kirchenvertreter – einem, der sich ganz selbstverständlich für Frauen als Priesterinnen einsetzt, dafür, dass das Pflicht-Zölibat abgeschafft wird und dass Priester künftig lieben sollten, wen sie wollen; der das Wort queer fast beiläufig benutzt und die Missbrauchsvorwürfe rückhaltlos aufklären will. Ein charismatischer und moderner Kirchen-Revoluzzer mit an der Spitze des Bistums Speyer – wow! – genau so einen braucht die Kirche, dachte ich!“

Wie war das noch mit dem Diktum der ARD-Legende Hanns-Joachim Friedrichs, dass sich ein Journalist zwecks Objektivität und Berufsethos niemals gemein machen dürfe mit einer Sache, nicht einmal mit einer guten? Wobei die innerkatholische Autoimmunzerstörung in Deutschland ohnehin keine gute Sache ist. Im gegenwärtigen Meinungs- und Kampagnenjournalismus der öffentlich-rechtlichen „Staatssender“ in Deutschland zählt diese Maxime freilich schon lange zu den „tempi passati“. Von der Flüchtlingskrise bis zu Themen wie Abtreibung, Gender und Diversity gibt es schon lange keinen ausgewogenen Journalismus mehr in den klassischen Medien und den Leitmedien in Deutschland.

Die Weltkirche sieht den Rück- und Auszug Sturms wohl gelassener als die schwärmende SWR-Redakteurin. Schöner lässt sich freilich kaum zusammenfassen, warum Theologen wie Andreas Sturm und das Reformprogramm des „Synodalen Wegs“ gegen Rom „Sturm laufen“: All diese Forderungen widersprechen schlicht und ergreifend der authentischen katholischen Lehre, was man sogar als Lutheraner weiß, wenn man sich mit diesen Fragen beschäftigt. Sturm & Co. wollen nach eigenem Gusto eine andere Katholische Kirche ohne lästige Lehre und Lehramt kreieren.

Längst wird im katholischen Ausland weltweit heftige Kritik an den kirchenspalterischen Entwicklungen im deutschen Katholizismus geübt. Briefe von Papst Franziskus und der Glaubenskongregation zum „Synodalen Weg“ werden in München und Limburg ignoriert oder mit dialektischer Rabulistik noch zum Zuspruch uminterpretiert. Kardinäle aus der gesamten Weltkirche oder auch Katholische Bischofskonferenzen aus Polen und Skandinavien, die deutlich vor diesen Irrwegen in Deutschland und einer Kirchenspaltung warnen, werden als vormoderne Reaktionäre und Hinterwäldler belehrt, dass sie nur zu rückständig seien, um die hehren kirchenrettenden Aktivitäten und messianischen Ambitionen des deutschen Amts- und Funktionärskatholizismus überhaupt richtig zu verstehen.

Aber warum soll sich die katholische Weltkirche ausgerechnet an der Kirche in Deutschland orientieren und ein Beispiel nehmen, die seit Jahrzehnten – wie die Evangelische Kirche auch – in einem beispiellosen Niedergang begriffen ist? Die Katholische Kirche wächst seit Jahrzehnten weltweit, nur nicht im religiös heute weitgehend analphabetisch gewordenen Deutschland oder Mittel- und Westeuropa mit den heute am meisten säkularisierten Staaten der Erde. Wenige Kilometer weiter östlich – in Ländern wie Polen, Rumänien oder auch der Slowakei – sieht die kirchliche Lage schon ganz anders aus. Warum nehmen sich die Kirchen in Deutschland nicht umgekehrt die vielen Länder zum Vorbild, wo die Kirchen (und oft auch die Klöster) seit Jahren aufblühen?

Der allgemeine religiöse Traditionsabbruch im Land wird von Theologen und Soziologen schon seit Jahrzehnten diagnostiziert, prognostiziert und analysiert. Selbst im laizistisch geprägten Frankreich sind in der multikulturellen und sympathisch bunten Hauptstadt Paris heute immer noch rund 65 Prozent der Menschen getauft, fast alle katholische Christen! Und in der südosteuropäischen Metropole und rumänischen Hauptstadt Bukarest – einer Millionenstadt, in der bis 1989 über vierzig Jahre lang der Kommunismus herrschte – bekannten sich bei der Volkszählung 2002 über 96 Prozent der Gesamtbevölkerung zur Rumänischen Orthodoxen Kirche – Katholiken und Protestanten kommen noch hinzu! Von solchen Zahlen wie in Paris und Bukarest können deutsche Haupt-, Groß- und Bischofsstädte wie Berlin (26 % Christen), München (39 %) und Hamburg (35 %) nur noch träumen (Zahlen nach Wikipedia).

Der Aus-, Rück- und Übertritt von Generalvikar Sturm ist beileibe keine Tragödie für den Katholizismus, sondern eher ein Sturm im Wasserglas der Weltkirche! Es ist inhaltlich eine ehrliche und konsequente Entscheidung, die deshalb durchaus Respekt verdient, die aber auch wesentlich der Tatsache geschuldet ist, dass nach wie vor nicht auf Sitzungen deutscher Funktionärs- und Synodalgremien festgelegt wird, was katholisch ist. Hier haben der Papst, das Lehramt, der Vatikan, die Weltkirche und die Gemeinschaft der katholischen Bischöfe weltweit immer noch ein gewichtiges Wort mitzureden – allen „Striet-Workern“ des deutschen Reform-(ations-)katholizismus zum Trotz! Gott sei’s gedankt! Niemand muss in der Katholischen Kirche bleiben, der die Grundlagen und Lehren dieser Kirche ablehnt und abschaffen will.

Der evangelische Theologe Prof. h. c. Dr. Jürgen Henkel ist Gemeindepfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in Selb (Oberfranken). Er ist Honorarprofessor an der Orthodoxen Fakultät der Babeş-Bolyai-Universität Cluj/Klausenburg in Rumänien und Gründungsherausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit. Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“.


© 2022 www.kath.net