"Es gibt kein bequemes Christentum"

28. Jänner 2023 in Spirituelles


"Die Kirche wird überleben, doch ob auch in Westeuropa, das ist nicht sicher" - Von Kardinal Philippe Barbarin


Paris (kath.net/http://vision2000.at)

Die Kirche wird immer wieder neu errichtet, denn sie hat die Worte des ewigen Lebens, aber dieses Wiedererstehen kann sich anderswo ereignen. Nichts ist am Fortbestand des Glaubens und der Kirche in einem Land abgesichert.

Es gibt kein bequemes oder abgesichertes Christentum. In seiner Apostolischen Ansprache über die Kirche in Afrika hat Papst Johannes Paul II. das sehr gut ausgedrückt. Er beschreibt die Kirche wie eine Ehefrau, die sich in den Gebieten der neuen Evangelisation farbenfroh kleidet mit Kleidern, die man vorher nie an ihr gesehen hat. Sie ist wie eine Gemahlin, die Christus ohne Unterlass immer wieder neu entstehen lässt. Eine beträchtliche Anzahl von afrikanischen Exegeten und Theologen beginnen zu publizieren.

Ich kenne welche in Benin und im Kongo. Auf Madagaskar habe ich auch diese erste Generation von Theologen getroffen. Wie oft habe ich ganz erstaunliche Auslegungen des Wortes Gottes gehört und Predigten, wie man sie in Frankreich kaum hört. Dabei verändern die Priester nicht die christliche Botschaft, aber sie lassen uns Dinge hören, an die wir nie gedacht haben. Das ist das ewig Neue dieser unerschöpflich schönen Offenbarung. Die Iraner überraschen uns. Eine große Zahl bittet um die Taufe und wartet auf den Tag, an dem alle, die dies wünschen, ihre Wahl der Taufe frei treffen können. Mehrere haben zu mir gesagt: „Sie werden sehen, wenn dieses Regime fallen wird, wird es Hunderttausende Taufen geben. In unserem Land gibt es eine Faszination für Jesus und das Evangelium.“

Kurz zusammengefasst: Es genügt, ganz klar zu sagen: Die Kirche hat nicht die Worte des ewigen Lebens in Frankreich! Sie hat die Worte des ewigen Lebens. Punkt. Wir wissen, dass sie niemals untergehen wird bis zur Wiederkunft des Herrn. Der Glaube ist nicht gebunden an ein Gebiet oder in Steine geschrieben. Er wohnt im Herzen der Kinder Gottes, oder er wohnt nicht dort. Aber ja, die Kirche kann hier und dort untergehen, wie das im Laufe der Jahrhunderte in vielen Ländern geschehen ist. Die Entwicklung der gegenwärtigen Welt kann und muss uns zu denken geben. Und gleichzeitig erstaunt und beruhigt uns die Entwicklung in zahlreichen anderen Ländern. (S. 184f)

Wir haben nicht die Aufgabe, eine Institution zu retten; wir haben einfach die Sendung, den Menschen zu sagen, dass sie tatsächlich geliebt sind und dass diese Liebe siegreich sein wird, was auch immer kommt. An diesem Sieg mitzuarbeiten, ihren Herzen zu helfen, dass sie sich dem Erbarmen des Vaters öffnen können, das ist unser Ziel. Ich denke, dass übrigens viele Menschen die Kirche verlassen haben oder entmutigt worden sind, weil ihnen der Glaube wie ein Regelwerk oder eine Verbotsliste gezeigt wurde.

Mein großer Wunsch ist es, dass man die Gebote wie Versprechungen unterweist. Wie das Wort eines Vaters, der seine Kinder liebt und ihnen versichert: Ich verspreche dir, du kannst mir glauben. Lass dieses Licht in dich hinein, und du wirst sehen, dass du nicht lügen wirst, dass du nicht stehlen wirst ... - das verspreche ich dir. Ich hätte gerne, dass man diese Nähe den Kindern und Jugendlichen erklärt, nämlich als ein Wort der überzeugenden Liebe. Das wäre befreiend und ermunternd zugleich. (S. 188f)

Das Wichtigste ist, dass man in der Hand Gottes bereit ist für das, was Er will, und dass ich den richtigen Moment erkenne, ohne genau zu wissen, durch wen. Mir selbst miss­trauen und diesem Herzen, das zur Liebe geschaffen ist und um geliebt zu werden, aber das Gefahr läuft, schwerfällig zu werden, wie Jesus vorgewarnt hat. Vor allem: Vertrauen haben. Jeden Abend vor dem Einschlafen wiederhole ich seit Jahrzehnten wie alle, welche die Komplet beten, diese letzten Worte Jesu am Kreuz: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" (Lk 23,46). Dass mein Leben in Seinen Händen bleibe, das ist die Gnade, die ich wünsche für mich und natürlich für alle. (S. 205)

Der Glaube ist eine innere Kraft, die ernährt werden muss, so wie man seinen Körper ernährt. Ich nähre ihn durch das Wort und die Stille, um hinzuhören auf das, was das Wort in mir bewegt. Ein Mitbruder mit einem reichen Schatz an Glaubenserfahrung hält sich in meiner Nähe auf. Ich betrachte ihn als meinen „geistlichen Vater“ nach mehreren anderen, die mir auf meinem Weg geholfen haben und für die ich eine große Dankbarkeit bewahre. Ich tausche mich mit ihm aus, indem ich ihm erzähle, was ich erlebe und wie ich die Dinge sehe in meinem „inneren Forum“. Und ich höre ihm zu mit seinem kostbaren Blick von außen, der mich erleuchtet und mir rät und hilft, bei meinen Entscheidungen vorwärts zu kommen. (S. 206f)


Auszüge aus seinem Buch Nach bestem Wissen und Gewissen. Der Fall – die Kirche – die Wahrheit eines Menschen.


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