Unsere Liebe Frau in Jerusalem – die Hingabe

21. November 2022 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: Jesus zeigt seine Liebe zum Tempel als Haus des Gebetes, aber gerade deshalb will er ihn von allem Missbrauch reinigen. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Diese arme Witwe hat mehr hineingeworfen als alle anderen“. An diesem Tag der Einweihung der Kirche „Santa Maria Nuova“ (543), die in der Nähe des Tempels von Jerusalem erbaut wurde, feiern wir gemeinsam mit den Christen des Ostens jene „Hingabe“, die Maria von Kindheit an an Gott vollzog, bewegt durch den Heiligen Geist, durch dessen Gnade sie bei ihrer unbefleckten Empfängnis erfüllt wurde.

Die Episode der Darstellung Marias im Alter von drei Jahren vor dem Tempel in Jerusalem wird im Protoevangelium des Jakobus erzählt, einem apokryphen Text aus dem 2. Jahrhundert. Diese Geste, die vom Gesetz nicht vorgeschrieben ist, zeigt die völlige Zugehörigkeit der Jungfrau zu Gott von Kindheit an. Es ist eines der wichtigsten Marienfeste in der orthodoxen Kirche.

„Er blickte auf und sah, wie die Reichen ihre Gaben in den Opferkasten legten. Er sah aber auch eine arme Witwe, die dort zwei kleine Münzen hineinwarf. Da sagte er: Wahrhaftig, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr hineingeworfen als alle anderen. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, der es am Nötigsten mangelt, hat ihren ganzen Lebensunterhalt hergegeben“ (Lk 21, 1-4).

Benedikt XVI., aus der Predigt zur Eucharistiefeier auf dem Vorplatz der Kathedrale von Brescia, 8. November 2009

Im Mittelpunkt der Lesungen dieses Sonntags (...) steht die Gestalt der armen Witwe, oder genauer gesagt ihre Geste: Sie wirft die letzten Münzen, die ihr verblieben sind, in den Opferkasten des Tempels. Diese Geste ist durch den aufmerksamen Blick Jesu sprichwörtlich geworden: Das »Scherflein der Witwe« ist nämlich gleichbedeutend mit der Großherzigkeit dessen, der ohne Vorbehalte das Wenige hingibt, was er besitzt. Vorher möchte ich jedoch noch die Bedeutung des Ortes hervorheben, an dem diese Episode des Evangeliums sich abspielt: Es ist der Tempel von Jerusalem, das religiöse Zentrum des Volkes Israel und Mittelpunkt seines ganzen Lebens. Der Tempel ist der Ort öffentlicher und feierlicher Gottesverehrung, er ist aber auch Pilgerstätte, Ort traditioneller Riten und rabbinischer Streitgespräche – wie der Gespräche zwischen Jesus und den Rabbinern jener Zeit, von denen im Evangelium berichtet wird, wobei Jesus jedoch mit der einzigartigen Vollmacht des Sohnes Gottes lehrt. Er fällt – wie wir gehört haben – ein strenges Urteil über die die Schriftgelehrten aufgrund ihrer Scheinheiligkeit: Sie stellen nämlich große Religiosität zur Schau und nutzen dabei die armen Menschen aus, indem sie ihnen Gebote auferlegen, die sie selbst nicht befolgen. Jesus zeigt also seine Liebe zum Tempel als Haus des Gebetes, aber gerade deshalb will er ihn von allem Mißbrauch reinigen. Er will seine tiefere Bedeutung offenbaren, die mit der Erfüllung seines eigenen Geheimnisses verbunden ist, dem Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung, in der er selbst zum neuen und endgültigen Tempel wird, zum Ort, an dem Gott und der Mensch, der Schöpfer und sein Geschöpf, einander begegnen.

 


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