„Rothäute in der Phantasie eines alten weißen Mannes“

6. Juni 2023 in Kommentar


„Als kleiner weißer Junge, zu meinem Leidwesen als Bleichgesicht auf die Welt gekommen, wollte ich nichts sehnlicher als eine Rothaut sein und zwar zwischen dem Ohio und den großen Seen.“ Gastbeitrag von Helmut Müller


Düsseldorf (kath.net) „Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ will NRW-Familienministerin Josefine Paul nun künftig protokollieren lassen: Dafür sollen vier neue Meldestellen im Bundesland geschaffen werden: eine für „Queerfeindlichkeit“, eine für „antimuslimischen Rassismus“, eine für „Antiziganismus“ sowie eine, die „anti-Schwarzen, antiasiatischen und weitere Formen von Rassismus“ protokollieren sollen.

Gut, dass ich jetzt erwachsen bin, auch wenn ich dem äußeren Erscheinen nach ein alter weißer Mann bin und immer mehr auch so aussehe. Vermutlich falle ich in meinem Alter nicht mehr unter das Ressort einer „Familienministerin“ – was auch immer zur Arbeitsplatzbeschreibung einer solchen gehört. Als kleiner weißer Junge, zu meinem Leidwesen als Bleichgesicht auf die Welt gekommen, wollte ich nichts sehnlicher als eine Rothaut sein und zwar zwischen dem Ohio und den großen Seen. Da bewegten sich nämlich meine Vorbilder, die Indianerhäuptlinge Tecumseh, ein Shawano und Chingachgook, ein Mohikaner. Irgendwie hat mich nämlich Fritz Steuben mit seinem Häuptling Tecumseh und J. F. Cooper mit seinem Häuptling Chingachgook mehr beeindruckt als Karl Mays Winnetou, vermutlich deshalb weil in der Borromäus-Bibliothek unserer Pfarrei die Tecumseh-Bücher Steubens und die Lederstrumpf-Bücher Coopers mit ihren Wäldern und Flüssen mehr unserem Garten entsprachen als Winnetous Prärie.

Ich schlich in unserem Garten herum, las Spuren und Fährten. Aber was sage ich: Das war nicht unser Garten, sondern die paar Bäume waren die Wälder zwischen dem Ohio und den großen Seen, wobei der Ohio und die großen Seen die Nachbargärten waren. Dazu gehörte eine noch größere Phantasie als aus den paar Bäumen unseres Gartens, die dichten Wälder und Flüsse zu denken. Meine Phantasie konnte sich durchaus an der von Don Quichotte messen. Ich jagte nämlich in unserem Garten Adler – der arme Hahn musste dafür herhalten – denn wo sollte ich sonst Federn für meinen Kopfschmuck herholen? Ich war ja immerhin Indianerhäuptling. In unserem Dorf konnte man sich nichts kaufen, keinen Kopfschmuck und weder Pfeil noch Bogen. Das alles konnte man sich aber an unserem Dorfbach aus Haselnussruten schnitzen, wobei der Bach wohl wegen der Entfernung nicht der Ohio, sondern der Mississippi gewesen sein muss. Zwischen dem Ohio und den großen Seen wehrt sich der „Hausadler“ jedenfalls kräftig und hieb mir seine Sporen in den Fußrücken. Aber klar, als Indianer hatte man es ohnehin schwer. Und es war einfach ein Unding, dass ich den Hahn am Boden jagen musste und er nicht auf den Baum flog, wo ich wenigstens aus einem Adlerhorst seine Federn auf sammeln und dann unter Lebensgefahr hätte abstürzen können. Es war schon schwer damals ein abenteuerliches Leben zu führen wie meine Helden, und zu allem Übel bin ich jetzt ein alter weißer Mann, der ich nie werden wollte. Und jetzt ist mir auch die Phantasie meiner Kindheit abhanden gekommen, sonst wäre ich bestimmt der letzte Mohikaner wie ein Buchtitel Coopers hieß.

All das sage ich natürlich heute nicht mehr, das habe ich damals gedacht und geträumt, als ich noch strafunmündig und nicht politisch korrekt denken konnte. Sprachpolizisten waren noch nicht unterwegs, eine Sprachpolizeischule hatte ich auch nicht besucht und in NRW waren noch keine Meldestellen eingerichtet für Strafmündige wie mich jetzt, auch wenn sich das, was ich schreibe, unterhalb der Strafbarkeitsgrenze bewegen sollte.

Aber eines juckt mich noch zu sagen: Es ist schon schwer genug sich mit der harten Realität einer Bundesregierung aus Ampelmännchen:weibchen, die in der Zeit meiner Kindheit nur in einer gruseligen Phantasie möglich gewesen wäre, abzufinden. Und jetzt noch diese Äußerung aus einem schwarz-grünen-Landeskabinett! Vielleicht erklärt das auch den gegenwärtigen großen Zuspruch der AFD? Wenn alles so weit nach links rückt, sogar in einer Schwarz geführten Landesregierung – erklärt sich vielleicht auch ein Rechtsruck. Jedenfalls wird die Mitte immer leerer.

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