Bischof von Odessa: "Wir kämpfen weiter, wir haben keine andere Wahl"

29. Februar 2024 in Weltkirche


Bischof Szyrokoradiuk : Ukraine auf "Kreuzweg" - Fraglich, ob Verhandlungsfriede mit Russland unter Putin möglich wäre


Kiew/Wien (kath.net/KAP) Als "Wunder" sieht der Bischof von Odessa, Stanislaw Szyrokoradiuk, den nun schon im dritten Jahr fortdauernden Widerstand der Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg. "Ich denke, Gott ist mit uns, sonst hätten wir uns nie so lange halten können. Wir kämpfen weiter, da wir keine andere Wahl haben", sagte der Bischof am Dienstag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Trotz jüngster Probleme an der Front sehe er die Ukraine "stärker geworden", jedoch unter unermesslichem Leidensdruck. "So viele sind in diesen zwei Jahren gestorben, acht Millionen in andere europäische Länder geflohen, Zigtausende sind nach Russland deportiert worden", bemerkte der Bischof.


Szyrokoradiuk verwies auf die Papstworte vom Sonntag, als Franziskus bei seinem neuerlichen Friedensaufruf für die Ukraine zur Schaffung der Voraussetzungen für eine Verhandlungslösung des Krieges aufrief. "Der Papst hat recht, dass natürlich die Diplomatie der beste Weg zum Frieden wäre. Fraglich ist aber, ob ein solcher Weg mit Putin möglich ist." Die ganze Welt habe durch den Krieg verstanden, "wofür Russland und sein Imperator steht", so der Bischof. Wenn der Papst dies nicht ausspreche und auch keinen Schuldigen am Krieg benenne, erscheine ihm dies "ein bisschen naiv" - wiewohl Franziskus in seinem Amt wohl die Hände gebunden seien. Für Szyrokoradiuk ist Friede jedoch "nur mit einer ungeteilten Ukraine denkbar" - und wäre andernfalls nicht von Dauer.

Hinsichtlich der aktuellen Situation berichtete der Bischof, dass in Odessa inzwischen wieder ein großes Maß an "Normalität" eingekehrt sei, trotz ständig wiederkehrender Bombardierungen mit Raketen und Drohnenterror. "Alles funktioniert - die Eisenbahn, der Transport, die Wirtschaft. Die Stadt lebt und ist voller Menschen, sichtbar auch an den vielen Verkehrsstaus". Probleme mit Strom und Wasser gebe es keine mehr, das Sicherheitsgefühl sei weitgehend wiederhergestellt. Dazu beigetragen hätten neben der funktionierenden Raketenabwehr für die Stadt insbesondere die Stromgeneratoren, welche im vergangenen Jahr - unterstützt von den europäischen Nachbarn - angeschafft worden seien.
Hafen für Flüchtlinge

Angesichts dieser Positiv-Entwicklung für Odessa seien inzwischen viele vormals Geflüchtete in die Schwarzmeer-Metropole zurückgekehrt. Doch auch die Zahl der dort Zuflucht nehmenden Binnenflüchtlinge sei in den letzten Monaten stark gestiegen. "Gab es bei uns vor einem Jahr noch 100.000 Geflüchtete aus anderen Regionen der Ukraine, sind es jetzt bereits 300.000." Deren Situation sei "furchtbar" - auch wenn es staatliche Unterstützung, Wohnraum sowie Arbeitsmöglichkeiten gebe und viel Solidarität in der Gesellschaft spürbar sei.

Dass die Flüchtlingszahl steigt, begründete Bischof Szyrokoradiuk mit der weitaus schwierigeren Lage in den östlichen Gebieten seiner Diözese, die weite Teile des Südens der Ukraine umfasst. Etwa in Mykolajiw und Kirowohrad, ganz besonders jedoch im nach längerer russischer Okkupation befreiten Oblast Cherson sei die Situation weiterhin sehr schwierig. "Dort gibt es tagtägliche Bombardierungen mit enormem Schaden und vielen Toten. Viele Dörfer dieser Region sind inzwischen Ruinen." In der Stadt Cherson seien besonders die Wohngegenden an der Dnjepr ständigem Beschuss ausgesetzt, sodass für die Bewohner ein längerer Verbleib undenkbar sei.

Materielle und geistliche Hilfen

Auch wenn die römisch-katholische Kirche in der Ukraine im Vergleich zur Orthodoxie wie auch zur griechisch-katholischen Kirche sehr klein ist, leistet sie mit ihrem Hilfswerk Caritas-Spes umfangreiche Hilfen. Von Odessa aus wird laut Szyrokoradiuk wöchentlich mindestens ein Hilfstransport nach Cherson gesandt, oft von ortskundigen Priestern selbst begleitet. Überbracht werden vor allem Lebensmittelpakete und Hilfsgüter von Kampagnen, Diözesen und Privatspendern in Deutschland, Polen und Österreich sowie anderen Ländern Europas. "Gott sei Dank haben wir dadurch immer etwas, das wir den Menschen geben können", sagte der Bischof. Auch am Wiederaufbau beteilige sich die römisch-katholische Kirche aktiv. "Die Caritas-Spes hat bisher allein in Odessa bereits 400 Häuser wieder instand gesetzt - durch die Reparatur von Dächern, Fenstern und Türen"; auch dies geschehe durch Hilfe aus dem europäischen Ausland.

Gefragt sei die Kirche jedoch vor allem in der religiösen Dimension. Das Andauern des Krieges sei eine "große Glaubensprüfung", sagte der Bischof. "Wir haben verstanden, dass das unser Kreuz ist, das wir zu tragen haben. Wir sollen den Kreuzweg gehen." Angesichts des großen Leides machten sich viele Menschen in der Ukraine auf die Suche nach Gott, für den Bischof sichtbar am regen Messbesuch: "An Sonntagen gibt es in der Kathedrale von Odessa sechs Gottesdienste, die alle gut besucht sind - auch oft von Menschen, die zuvor nicht kamen."

Bisher bestens bestanden hätten diese Glaubensprüfung die Priester, seien sie doch trotz der Kampfhandlungen allesamt bei ihren Gemeinden geblieben, sagte Szyrokoradiuk, "sogar in den heute besetzten Regionen". Ihr Willen zum Dienst an den anderen bis zuletzt sei ein großes Wagnis, zeige der Fall ermordeter orthodoxer Geistlicher. Auch für ihn selbst sei die Seelsorge im Krieg eine große Herausforderung, sagte der Bischof, "ganz besonders die Begräbnisse".

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