Taylor sei mit Euch

22. April 2024 in Kommentar


Aus weltlicher Sicht ist die Idee des Heidelberger Pfarrers genial. Doch es ist gerade diese Kurzlebigkeit, die die Aktion geistlich prekär macht. Der Montagskick von Peter Winnemöller


Linz (kath.net) In der evangelischen Heiliggeistkirche in Heidelberg werden am 12. Mai zwei Gottesdienste mit Musik von Taylor Swift stattfinden. Das ist insofern nicht verwunderlich, als es in der dortigen Kirche regelmäßig Gottesdienste mit säkularer populärer Musik gibt. Spektakulär ist es deshalb, weil diese Gottesdienste zwar durchaus gut besucht sind, doch nie eine solche Welle machten, dass nicht nur nach kurzer Zeit die Kirche ausgebucht war, sondern auch ein zweiter Gottesdienst angesetzt wurde, der ebenfalls innerhalb von Stunden ausgebucht war.

Die 34-jährige Sängerin bricht einen Rekord nach dem anderen. Am Tag nach der Veröffentlichung von „Midnights“ im Jahr 2022 ist das Album bereits das meistverkaufte des Jahres, wenig Tage später belegt sie mit den Liedern des Albums die ersten zehn Plätze der US-Charts. Ihre Verkaufszahlen lassen die Beatles, Elvis Presley und Michael Jackson prekär aussehen. Ihre Shows sind legendär, um noch mehr Fans zu erreichen, hat sie Konzerte eingespielt, die auf Kinoleinwänden weltweit gezeigt wurden und auch damit Rekordeinnahmen erzielt. Taylor Swift ist die erste Musikerin, die es zur Milliardärin geschafft hat. Und auch ein alter Mann muss bei einer Stippvisite auf Spotify feststellen, dass die Musik der jungen Frau so schlecht nicht ist. Wer weiß, vor 30 oder 35 Jahren wäre der Verfasser dieser Zeilen auch Swiftie gewesen, hätte eine Reihe der Songs auswendig gekannt und alles wissenswerte über Taylor parat gehabt. Sie ist hübsch, das darf man ganz neutral so sagen. Ihre Stimme ist hörenswert und die Texte treffen den Nerv ihrer Fans. In der Tat setzen sich die Fans mit den Texten oft in einer Art auseinander, dass jeder Deutschlehrer mit den Zähnen knirscht. Würden sie doch Goethe oder Schiller … Vielleicht sollte Germanistenverband versuchen, Taylor Swift zu überzeugen, die Glocke zu vertonen und auf der Bühne zu performen.

Die Sängerin und Komponistin Taylor Swift stammt aus dem mittleren Westen der USA. Sie hat eine christliche Erziehung und in manchen Liedern schimmert ihr Glaube durch. Reicht das, um ihre Musik in den Mittelpunkt eines Gottesdienstes zu stellen? Der Pfarrer der Heiliggeistkirche in Heidelberg sieht das so. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben, doch was ist am Sonntag danach? Man mag die Idee loben oder tadeln. An einem Tag hat der Pfarrer seine Kirche zweimal gesteckt voll mit Menschen, die vielleicht sonst keine Kirche von innen sehen. Man könnte sagen, er surft auf der Erfolgswelle einer jungen Frau aus den USA. Die Songs werden von einer Professorin live im Gottesdienst gesungen. Auch das ist spannend. Wie interpretiert die Professorin diese Musik, werden die Swifties enttäuscht den Gottesdienst verlassen oder wird man demnächst in Musikseminaren neben Beethoven, Bruckner und Mozart auch Swift studieren? Warum nicht? Auch unsere heutigen Klassiker, insbesondere Mozart waren in ihrer Zeit Popstars.

Ein Gottesdienst, der die Musik einer 34-jährigen jungen Frau mit dem Nimbus eines Superstars der Glitzerwelt in den Mittelpunkt stellt, öffnet zumindest einen Bogen von Fragen. Als Katholik könnte man es sich sehr einfach machen. Hätte Taylor eine Messe vertont, bitte sehr. Popmusik mit säkulärem Inhalt lässt sich nur sehr ausnahmsweise in die Liturgie integrieren, in die Feier der Messe im Grunde gar nicht. Wie man sich aber durchaus einen thematischen Wortgottesdienst, eine Jugendkatechese oder eine Vesper mit einem Anteil Popmusik vorstellen kann, so kann auch ein evangelischer Gottesdienst, der dem Grunde nach keinerlei liturgische Regeln kennt, so es denn nicht Deutsche Messe Luther ist, unproblematisch die Lieder von Taylor Swift zu integrieren und vielleicht in einer Predigt auf ihren Gehalt abklopfen.

Am Ende aber stellt sich die Frage nach dem Sinn und nach der Nachhaltigkeit. Gesetzt den Fall ein solcher Gottesdienst ist sehr schön, was durchaus möglich ist. Was bleibt am Sonntag darauf, wenn es statt Taylor Swift nur wieder den langweiligen Organisten zu hören gibt. Ist das letztere ein Grund auf ersteres zu verzichten? Sicher nicht. Tatsächlich kennen wir es doch auch aus der katholischen Liturgie, dass es Highlights gibt, die einen Wochen und Monate liturgisches Schwarzbrot ertragen lassen. Wer einmal an Libori zur Erhebung der Reliquien des Heiligen im Dom war, wird diese Vesper mit ihren Falsibordonisätzen, dem Liborihymnus und erst recht dem Tusch nicht so schnell wieder aus dem Kopf kriegen. Wer es einmal erlebt hat, sich nach der Vesper instinktiv umzusehen, ob die Fenster des Domes dem Schalldruck von „Sei gegrüßet, o Libori“ standhalten, wird das so leicht nicht vergessen.

Es gibt hier ähnliches und unähnliches zum Taylor-Swift-Gottesdienst. Der Eindruck dürfte hier wie dort nachhaltig sein. Die Ästhetik dürfte hier wie dort beeindruckend sein. Wir kennen das von der MEHR-Konferenz, wo wir es ebenfalls mit einem Teppich an optischen und akustischen Eindrücken zu tun haben, die ihresgleichen suchen. Vielleicht ist sogar die Botschaft bei den Taylor-Swift-Gottesdiensten aufrechte und authentische christliche Verkündigung. Das wird man erst hinterher sagen können. Bei der MEHR und bei Libori sind die Verkündigung authentisch christlich. Der Unterschied könnte darin liegen, dass man in Heidelberg einen einmaligen nicht wiederholbaren Event auflegt. Doch ist es gerade die Stetigkeit der Wiederholung, die den Glauben an Christus wirklich in die Tiefe der menschlichen Existenz eindringen lässt. Mag die MEHR in Augsburg auch ein Event sein, im Gebetshaus wird 24/7 gebetet und das merkt man auf der MEHR. Libori findet in jedem Jahr statt. Jedes Jahr ist ein Kirchenjahr mit seinem Zyklus aus Festen, Fasten und Normalbetrieb. Jede Woche kennt am Beginn den Sonntag.

Dringt man vor in die wirkliche Tiefe des Glaubens und der Verkündigung, wird einem erst bewusst, aus welcher tiefen religiösen Verzweiflung ein Taylor-Swift-Gottesdienst geboren wird. Es ist die Verzweiflung längst selbst als Kirche oder Gemeinde der Säkularität erlegen zu sein. Damit geht die Fähigkeit verloren, die Botschaft des Evangeliums aus sich selbst heraus zum Leuchten zu bringen, weil man selbst sich geistlich von nichts anderem als von diesem Evangelium nährt. Ein evangelischer Taylor-Swift-Gottesdienst ist nichts anderes als der Ausdruck einer geistlichen Hungersnot. Es ist nichts als theologisches Prekariat, das sein Heil in diesseitiger Ästhetik sucht und vor dem Ewigen flieht. Wie oben gesagt, kann ein solcher Gottesdienst wirklich schön sein, doch gründet die Schönheit nicht in der Ewigkeit sondern in der Zeit und wird mit der Zeit vergehen. In 36 Jahren ist Taylor Swift 70 und vielleicht mehrfache Großmutter mit Gelenkbeschwerden. In 36 Jahren wird das Evangelium immer noch jung sein und die Botschaft von der Auferstehung nichts von ihrer Kraft verloren haben. In 100 Jahren, wenn nur noch Musikhistoriker sich an die Hits von heute erinnern, wird man immer noch gregorianischen Choral singen.

Will man wirklich den Glauben an Gott verkünden, wie die Kirche ihn verkündet, muss man ihn in seine DNA und die DNA seiner Gemeinde oder Gemeinschaft hineinlassen. Anbetung, Schriftlesung, Werke der Barmherzigkeit und die wirklich tiefe Verwurzelung in der Lehrtradition der Kirche, das bedeutet zunächst eine katechetische Selbstvergewisserung, schaffen Bedingungen, unter denen fruchtbare und nachhaltige Verkündigung wachsen können. Schlägt ein Prediger hier einen Bogen zur populären Musik ohne sich seines eigenen Standpunktes zu begeben, kann das fruchtbar werden.

In meiner Kindheit hatte ich einen Nachbarn, dem es tatsächlich gelang, eine Königin der Nacht zum Blühen zu bringen. Sogar die Presse war da. Der Duft im Haus war unvergleichlich, die Schönheit dieser Blüte unbeschreiblich und das Erlebnis bleibt in Erinnerung, denn wir durften die halbe Nacht aufbleiben. Am Tag darauf war die Blüte verblüht, die Königin der Nacht eine unscheinbare stachelige grüne Topfpflanze und der Held wieder ein gewöhnlicher Metzgergeselle. Die Presse interessierte sich nur für die Blüte in der einen Nacht. Am Tag darauf habe ich hören dürfen, was es an Pflege bedarf, die Königin zum Blühen zu bringen. So kann man es vielleicht verstehen, was ein Taylor-Swift-Gottesdienst ist. Es ist wie eine Königin der Nacht in der Zeitung. Was dahinter steht, ist irrelevant. Und es dürfte durchaus fraglich sein, ob sich irgendjemand für den Menschen Taylor Swift interessiert. Es dürfte fraglich sein, ob es gelingt, damit jemanden für das Evangelium neugierig zu machen. Wenn doch, gut so. Wenn nicht, es war erwartbar. Es gilt – gerade für die Neuevangelisierung in Westeuropa erst einmal selbst seine christlichen Wurzeln zu finden. Die Verkündigung in unserem Land ging von Klöstern aus, sie folgte keinen Pastoralplänen und sie war sicher nicht das Ergebnis spektakulärer Events. Übt man also Kritik an solchen Phänomenen wie den Gottesdiensten am 12. Mai in der Heiliggeistkirche in Heidelberg, dann tatsächlich nur von einem sehr gefestigten geistlichen Standpunkt aus.

Das Bild stellt eine Königin der Nacht dar. Diese Kakteenart blüht nur sehr selten und nur nachts für sehr kurze Zeit.

 

Foto: (c) Pixabay


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