Kard. Müller: „Wenn eine bildliche Darstellung der Geburt Jesu bei den Gläubigen Ärgernis erregt“

5. Juli 2024 in Kommentar


„… und eine Spaltung der Kirche (in selbsternannte Progressive und in die anderen, von diesen als Konservative Beschimpfte) hervorruft, ist das Ziel der christlichen und besonders sakralen Kunst verfehlt“. Von Gerhard Card. Müller, Rom


Rom-Linz (kath.net) Auf kath.net-Presseanfrage zu der hochumstrittenen Darstellung der gebärenden Gottesmutter Maria im Dom St. Marien in Linz antwortete Kardinal Gerhard Ludwig Müller mit einer allgemeineren Einordnung unter dem Titel „Zur künstlerischen Darstellung der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria“. Müller ist früherer Bischof von Regensburg, emeritierter Präfekt der Glaubenskongregation sowie Mitglied des „Supremo Tribunale“ der Apostolischen Signatur, des höchsten Kirchengerichts.

Zur künstlerischen Darstellung der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria

„Die Jungfrauschaft Marias und ihre Niederkunft, wie auch der Tod des Herrn“, sind nach dem Bischof und Märtyrer Ignatius von Antiochien (gest. um 117 in Rom) „drei laut rufende Geheimnisse, die in Gottes Stille vollbracht wurden.“ (Brief an die Epheser 19, 1).

Die christliche Glaubenslehre wird durch das Wort der Verkündigung und die sakramentale Liturgie vermittelt. Dagegen ist die bildhaft-künstlerische Darstellung sekundär und muss sich immer an der Wahrheit der Offenbarung orientieren und von ihr korrigieren lassen. Nur zögernd und gegen starke Widerstände des Ikonoklasmus hat sich die christliche bildende Kunst entwickelt – bis schließlich die Legitimität und die Nützlichkeit des Bilder- und Reliquienkultes für die Frömmigkeit auch vom kirchlichen Lehramt anerkannt worden ist.

Die ersten bildlichen Darstellungen der Geburt Christi sind ganz auf die Anbetung Christi, des Mensch gewordenen Sohnes Gottes, des Messias und Retters der ganzen Menschheit ausgerichtet. Erst mit dem Dogma von der wahren Gottesmutterschaft (Theotokos) Marias (Konzil von Ephesus 431) tritt auch Maria in den Blick des frommen Betrachters, aber immer so, dass Maria uns hinweist auf Christus, ihren Sohn, den wahren Gott, der aus ihrem Leib und ihrem Geist (dem Ja-Wort zur Botschaft des Engels) unsere menschliche Natur angenommen hat und der uns durch sein Leiden am Kreuz von Sünde und Tod auf immer befreit hat. Erst in viel späterer Zeit entwickelte sich auch ein Interesse an Maria als Urbild und Vorbild der liebevollen Beziehung jeder Mutter zu ihrem Kind. Aber in echter christlicher Kunst gleitet die Marienverehrung nie ab in eine bloße Symbolisierung eines anthropologischen Musters („Kindchenschema“). Erst Recht muss eine Instrumentalisierung Marias für die Demonstration feministischer Ideologeme gegen den vermeintlich patriarchalisch verengte Mentalität in der Kirche zurückgewiesen werden.

Die Kirche bekennt das geoffenbarte Mysterium des Glaubens, dass der eingeborene Sohn des Vaters (in der Trinität) durch Heiligen Geist Mensch geworden ist aus der Jungfrau Maria. Das schließt die Wahrheit ein, dass Maria vor, in und nach der Geburt Jesu Jungfrau war und geblieben ist.

Eine bildliche Darstellung des Offenbarungsgeheimnisses der wahren Geburt Gottes als Mensch muss zum Ziel haben, dass die Betrachter bestärkt werden im Glauben an die Menschwerdung Gottes und dass sie sich auf Christus konzentrieren und ihn als Gott und Heiland anbeten. Der Betrachter darf nicht durch die Darstellung zu erotischen und sexuellen Phantasien verlockt werden, sowohl aus den moraltheologischen Gründen der Schamhaftigkeit als auch aus dem zentralen theologischen Grund, dass es um das Bekenntnis zur Person Christi geht, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, geeint in der göttlichen Person des ewigen Sohnes des Vaters. Auch bei der Darstellung des „seiner Kleider beraubten Jesus am Kreuz“ hat die kirchliche Autorität immer Wert darauf gelegt, dass Jesus nicht Objekt erotischer Phantasien wird, sondern dass der Blick auf sein Leiden und seine Erniedrigung uns überzeugt von der Liebe Gottes, „der seinen einzigen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt nicht verlorengehe, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3, 16).

Eine Kritik an der Umkehrung christlicher Kunst als Mittel der Frömmigkeit zu einer Werbung für feministische Ideologie unter Verletzung des natürlichen Schamgefühl kann nicht pseudoaufgeklärt mit dem Vorwurf der Prüderie oder pseudotheologisch als Ausfluss einer ultrakonservativen Gesinnung gekontert werden. Lukas, „der erste Maler der Marienikone“ (vgl. Paul Badde, Die Lukas-Ikone. Roms verborgenes Weltwunder, Regensburg 2024) stellt nicht den Geburtsvorgang in seinem physiologischen Ablauf dar, sondern erzählt nur ehrfurchtsvoll: Zu Betlehem „kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe… (Lk 2, 6f). Und das „Zeichen“ (das Bild) für die Geburt des Messias, das auf die Verkündigung des Engels des Herrn, die Hirten erfüllen soll, besteht darin, dass sie das Kind in der Krippe finden, das in Windeln gewickelt ist. Darauf kommt es an, in Jesus den Messias zu finden, den Herrn, den Erlöser der ganzen Welt. Wenn eine bildliche Darstellung der Geburt Jesu bei den Gläubigen Ärgernis erregt und eine Spaltung der Kirche (in selbsternannte Progressive und in die anderen, von diesen als Konservative Beschimpfte) hervorruft, ist das Ziel der christlichen und besonders sakralen Kunst verfehlt, „die in den menschlichen Werken die unendliche Schönheit Gottes ausdrücken soll.“ Und das II. Vatikanum folgert aus eben dieser Wesensbeschreibung der sakralen Kunst: „Die Kirche hat mit Recht immer auch eine Art Schiedsrichteramt ausgeübt; sie hat über die Werke der Künstler geurteilt und entschieden, welche dem Glauben, der Frömmigkeit und den ehrfurchtsvoll überlieferten Gesetzten entsprächen und als geeignet für den Dienst am Heiligtum anzusehen seien.“ (Liturgiekonstitution 122).

Archivfoto Kardinal Müller im Presseraum des Vatikans (c) Michael Hesemann/kath.net

 


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