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PER CRUCEM AD LUCEM - Besinnung auf das Paschamysterium in der Heiligen Woche

13. April 2022 in Spirituelles, 1 Lesermeinung
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„Wenn wir Karsamstag ernst nehmen, ist es unmöglich, wie es heute leider aus bischöflichem Mund in Deutschland zu vernehmen ist, dass die Kirche am Ende angelangt sei…und dass der Synodale Weg letzte Chance … sei.“ Gastbeitrag von Kurt Cardinal Koch


Köln-Vatikan (kath.net/pl) „Die tiefe Krise, in der sich unsere Kirche heute befindet, lässt uns erst recht Karsamstag erfahren. Doch auch hier gilt die Wahrheit des Glaubens, dass der Karsamstag nicht das Ende, sondern Übergang zu neuem Leben ist, der freilich mit Schmerz und Trauer verbunden ist. Wenn wir den Karsamstag wirklich ernst nehmen, ist es unmöglich, wie es heute leider aus bischöflichem Mund in Deutschland zu vernehmen ist, dass die Kirche heute am Ende angelangt sei, dass sie nicht nur am Abgrund stehe, sondern geradezu in ihn eingetreten sei und dass der Synodale Weg die letzte Chance für das Leben der Kirche sei. Eine solche Rede wäre nur wahr, wenn wir die Erfinder und Schöpfer der Kirche wären und die Kirche nicht einen anderen Urheber hätte, der auch in der Dunkelheit des Karsamstags neues Leben hervorspriessen lässt. Auch im Blick auf die Kirche müssen wir die Härte des Karsamstags ernst nehmen und aushalten; aber wir dürfen auch nicht die helle und hoffnungsvolle Seite dieses Tages ausblenden.“ Das sagte Kurienkardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, in einer Meditation über das Paschamysterium im Hohen Dom zu Köln in der Karwoche 2022.

kath.net dokumentiert die Schriftvorlage der Meditation in voller Länge und dankt S.E. Kardinal Koch für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung:

1.    Weg-Kreuzung im Schicksal Jesu und im Leben des Christen

Auf Ausflügen oder Wanderungen kann es leicht geschehen, dass man plötzlich vor einer Weg-Kreuzung steht, an der man sich entscheiden muss, in welche Richtung man weitergehen will. In einem übertragenen Sinn gibt es auch im menschlichen Leben immer wieder solche Weg-Kreuzungen, an denen das Leben eine andere Wendung nimmt und wir vor grundsätzliche Entscheidungen gestellt sind. Vor einer solchen Weg-Kreuzung stehen wir Christen mit dem Palmsonntag. Er bildet die Ouvertüre der Heiligen Woche, in der wir Christen am Drama des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi teilnehmen und es betend nachvollziehen. Die Heilige Woche bringt es deshalb an den Tag, wie wir Christen heute unser Christsein verstehen und vor allem leben. Denn sie macht uns neu bewusst, dass mit dieser wichtigsten Woche im ganzen Kirchenjahr unser Christsein steht oder fällt. Von daher wird in der Mitfeier dieser Woche sichtbar werden, welchen Weg wir Christen gehen: Ob wir unsere menschlichen und allzu menschlichen Wege weitergehen oder ob wir bereit sind, den Weg Jesu vom Palmsonntag über den Karfreitag nach Ostern mit ihm zu gehen.

Um die Heilige Woche in rechter Weise begehen zu können, müssen wir unseren Blick auf Jesus richten. Denn in erster Linie ist der Palmsonntag eine elementare Weg-Kreuzung im Leben Jesu gewesen. Mit seinem Einzug in die Stadt Jerusalem hat Jesus vor der grundlegenden Entscheidung gestanden, ob er der ihm von seinem himmlischen Vater gewiesenen Richtung seiner Sendung für die Erlösung der Menschen treu bleiben wird oder ob er seinem Leben eine Wende geben will, an deren Ende nicht mehr die Erlösung der Menschen, sondern seine eigene Grösse stehen würde. Der Palmsonntag führt uns vor Augen, dass sich Jesus entschieden hat für den Weg der bleibenden Treue zum Erlösungsprogramm Gottes mit allen seinen radikalen Konsequenzen. Diesen Weg hat Jesus deshalb gewählt, weil es auch der ewige Weg Gottes mit uns Menschen ist. Denn im Herzen Gottes will sich die Erlösung der Menschen nicht in erdrückender All-Macht, sondern in mitleidender Ohn-Macht ereignen.

Was der Evangelist mit der Schilderung des Einzugs Jesu in Jerusalem uns nahe bringen will, dies verdichtet Paulus in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Philippi zu einer einzigen göttlichen Bewegung: Jesus Christus „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäusserte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2, 6-8). Wenn wir diese tiefen Worte bedenken, werden wir nicht nur im Kopf, sondern vor allem auch im Herzen nachvollziehen können, warum die Kirche diesen vorpaulinischen Christushymnus, den Paulus in seinem Brief aufgenommen hat, in den Mittelpunkt der Liturgie an den Kartagen gestellt hat. Denn in diesem Hymnus ist das ganze Pascha-Mysterium und damit auch das Geheimnis des Erlösungsgeschehens im Kern enthalten.

In seiner ganzen Tiefe können wir diesen Christushymnus nur verstehen, wenn wir ihn als neutestamentliche Antwort auf den alttestamentlichen Bericht vom Sündenfall des Menschen wahrnehmen. In diesem wird die Sünde Adams und damit die Sünde des Menschen darin gesehen, dass er sich selbst zum Gott machen wollte. Jesus Christus hingegen ist der neue Adam, der den verderblichen Weg des ersten Adam in der umgekehrten Richtung zurück geht und in der Gegenbewegung seine Gottgleichheit nicht gleichsam wie ein Beutestück festhält, sondern sich selbst erniedrigt bis hin zum Kreuz als dem Ort seines radikalen Gehorsams. Ganz anders als der erste Adam ist Jesus wirklich wie Gott; und weil er wirklich wie Gott ist, verhält er sich wie der wirkliche Gott, der nicht den Weg der Macht und der Selbstermächtigung, sondern den Weg der Liebe und der Erniedrigung geht. Nur auf diesem Wege kann er bis in Adams Lüge und damit bis in den Tod hinuntersteigen und dort die Wahrheit Gottes aufrichten.

„Weil wir in Adam unsere Menschlichkeit verliessen, um zur Gottähnlichkeit aufzusteigen, verliess Gott seine Göttlichkeit und stieg in Christus in unser Fleisch herab und brachte uns unsere verlassene Menschlichkeit zurück.“ Mit diesen Worten hat der Reformator Martin Luther das Geheimnis des Christushymnus zum Ausdruck gebracht, der im Mittelpunkt der ganzen Heiligen Woche steht, in der wir Christus auf seinem Weg vom triumphalen Einzug in Jerusalem über die dunkle Nacht des Leidens am Karfreitag und das Schweigen im Grab des Karsamstags bis zur Morgendämmerung des neuen und ewigen Lebens an Ostern betend begleiten.

Dies ist freilich ein Weg, der uns Menschen und Christen nicht oder jedenfalls nur schwer einleuchten will. Er scheint der menschlichen und allzu menschlichen Logik zu widersprechen, der gemäss wir am Palmsonntag gerne „Hosanna“ zu singen und an Ostern noch lieber in das „Halleluja“ einzustimmen, jedoch genau vor dem zurückzuschrecken pflegen, was zwischen „Hosanna“ und „Halleluja“ liegt, nämlich vor dem „Kreuzige ihn“ des Karfreitags. Demgegenüber lädt der Christushymnus im Philipperbrief uns ein zu bedenken, dass es für Jesus die Morgenröte des neuen Lebens an Ostern nicht geben kann ohne die dunkle Nacht des Karfreitags und das tödliche Schweigen des Karsamstags.

2. Dunkle und helle Seite des Karsamstags

Wenn wir in unsere Welt und Kirche hinein schauen, dann legt es sich uns nahe, in der Heiligen Woche in diesem Jahr unsere Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf das Geheimnis des Karsamstags zu lenken. Denn er ist der Tag, der unserer Lebenssituation am meisten entspricht. Die lang andauernde Pandemie, die unsere eingespielten Lebensgewohnheiten in radikaler Weise in Frage gestellt hat, die schreckliche Tatsache, dass in Europa wiederum Krieg ausgebrochen ist, die vielen Krisenerscheinungen in Politik und Wirtschaft und die schwierige Situation unserer Kirche heute zeigen, dass wir weithin am Karsamstag und damit vor der Schwelle zu Ostern leben.

Gerade in der Zeit der Vorbereitung auf Ostern ist es angezeigt, der Herausforderung des Karsamstags standzuhalten. Denn normalerweise pflegen wir schnell, manchmal sogar zu schnell, vom Karfreitag, dem Tag des Leidens und Sterbens Jesu Christi, nach Ostern, dem Tag seiner Auferstehung, zu gehen und den Karsamstag links liegen zu lassen. Der Karsamstag aber ist der Tag der Grabesruhe Jesu, der Tag der schweigenden Leere und der Tag der Verborgenheit und des Schweigens Gottes, den wir aushalten müssen. Diesem spezifischen Charakter trägt die Kirche dadurch Rechnung, dass sie am Karsamstag keinen Gottesdienst feiert, sondern in Schweigen verharrt.

„Gottesfinsternis“ dürfte das präzise Wort für diesen Tag sein. Jesus ist in unsere Welt gekommen, um den lebendigen und liebenden Gott in unsere Welt zu bringen und sein Reich des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe anzusagen. Nun aber ist Jesus tot und ist begraben worden. Im Grab Jesu sind auch die grossen Hoffnungen, die die Jünger auf Jesus als den gekommenen Messias gesetzt haben, mit begraben. Auch Gott, sein treuer und barmherziger Vater, scheint Jesus nicht zu retten: ihn, der sich allein Gottes Sohn nennen durfte. Tag des Begräbnisses Gottes: Das ist der Karsamstag.

Nur wenn wir dem Ernst dieses Tages nicht ausweichen, können wir uns auch der anderen Seite öffnen, die dieser Tag auch hat. Denn die Klage, dass wir in der heutigen Welt und Kirche nicht recht über den Karsamstag hinaus kommen, enthält nur die Hälfte der Wahrheit. Sie verleitet vor allem zur falschen Annahme, wir Menschen wären von uns aus in der Lage, den Karsamstag hinter uns zu lassen. Doch dies ist nicht wahr, wie wir aus eigener Erfahrung wissen: Wir Menschen können zwar sehr wohl Karsamstag schaffen – überwinden können wir ihn aber nicht, zumindest nicht allein. So hat es sich bereits beim Karsamstag verhalten, den Jesus und seine Jünger erfahren mussten. Denn in die Trostlosigkeit des Begräbnisses Jesu konnte nur Gott selbst eine Wende bringen. Diese Wende von Gott her zeigt uns die helle Seite des Karsamstags. Der christliche Glaube bringt sie zum Leuchten im Apostolischen Credo, mit dem wir bekennen, dass Jesus gestorben ist, begraben worden und in das Reich des Todes hinabgestiegen ist.


Um der Sprengkraft dieses Glaubensgeheimnisses ansichtig werden zu können, müssen wir uns der Frage stellen, was sich in diesem Totenreich ereignet hat. Unsere menschliche Erfahrung sagt uns, dass das Reich des Todes der Ort der völligen Verlassenheit und der totalen Einsamkeit und Beziehungslosigkeit ist, da in ihm jede menschliche Beziehung gestorben und deshalb selbst die Liebe tot ist. Denn Einsamkeit, in die kein Wort der Liebe mehr reicht und kein Zeichen der Liebe mehr Zutritt hat, ist im buchstäblichen Sinn die Hölle. Der christliche Karsamstag aber spricht uns die tröstliche Wahrheit zu, dass Jesus in seinem Tod in dieses Reich des Todes und in die Hölle der Einsamkeit und Beziehungslosigkeit gegangen ist, um die Gegenwart Gottes und seiner Liebe in dieses Reich hinein zu bringen. Dieses Geschehen hat auch das Reich des Todes in einen neuen Ort des Lebens verwandelt, weil das Undenkbare und Unerwartbare geschehen ist, dass Gott selbst in das Reich des Todes vorgedrungen ist und den Wärmestrom seiner Liebe hat hinein fliessen lassen. Dadurch, dass Jesus auch in die eiskalte Region des Todes das warme Wort der Liebe Gottes gebracht hat und in das Niemandsland einer letzten Einsamkeit eingetreten ist, ist die Hölle der Einsamkeit aufgesprengt und der Tod bereits im Kern überwunden. Seither gibt es Ostern mitten im Karsamstag: „Seitdem es die Anwesenheit der Liebe im Raum des Todes gibt, gibt es Leben mitten im Tod.“

3. Tod mitten im Leben und Leben mitten im Tod

Diese frohe Aussicht verdrängt freilich die Härte des Karsamstags nicht, sondern macht sie erst recht bewusst. Sie wird zum Ausdruck gebracht in dem sehr kurzen, aber inhaltsschweren Satz aus einem der grossen Choräle der Christenheit: „Mitten im Leben sind wir mit dem Tod umfangen.“ Dieser Satz formuliert eine unbestreitbare Lebenserfahrung von uns Menschen, und er bringt die harte Wahrheit und nackte Realität des menschlichen Lebens ins Wort. Im Getriebe des alltäglichen Lebens vergessen wir sie allerdings gerne und verdrängen sie leicht. Der französische Denker Blaise Pascal hat bereits in seiner Zeit sensibel zu beobachten sich verpflichtet gewusst, dass die Menschen, weil sie gegen den Tod kein Heilmittel finden konnten und dennoch glücklich sein wollten, darauf verfallen seien, nicht mehr an den Tod zu denken; und er hat diese Beobachtung mit der Einsicht begründet: „Der Tod, wenn man nicht an ihn denkt, ist leichter zu ertragen als der Gedanke an den Tod, wenn man gar nicht in Gefahr ist.“

Dass wir mitten im Leben unausweichlich mit dem Tod umfangen sind, ist die harte Wahrheit des menschlichen Lebens. Dass es aber bei dieser trostlosen Wahrheit nicht für immer sein Bewenden haben muss, darin besteht die frohe und tröstliche Verheissung des christlichen Glaubens. Dieser Glaube hat die Kraft, uns Menschen noch eine ganz andere Wahrheit zuzusprechen. Er hat das Recht und den Mut, die unbestreitbare Wahrheit des alten Chorals, dass wir mitten im Leben mit dem Tod umfangen sind, umzukehren und gleichsam auf den Kopf zu stellen, indem er uns die viel grössere Verheissung zuspricht, dass wir mitten im Tod mit dem Leben umfangen sind: mit dem befreienden und ewigen Leben Gottes. Mitten im Tod gibt es Leben, weil Gott Jesus, seinen geliebten Sohn, nicht im Tod gelassen, sondern ihm neues Leben geschenkt hat.

In dieser viel grösseren Wahrheit liegt das Geheimnis des tröstlichen Wechsels mit der Wahrheit unseres menschlichen Lebens beschlossen, wie er sich an und durch Jesus Christus an Ostern ereignet hat. Dieses grossartige Geheimnis hat die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Liturgie „Sacrosanctum concilium“ genauer als „Pascha-.Mysterium“ bezeichnet, das die Kernmitte des christlichen Glaubens und den Mittelpunkt der den Glauben feiernden Liturgie der Kirche darstellt: Das „Werk der Erlösung der Menschen und der vollendeten Verherrlichung Gottes, dessen Vorspiel die göttlichen Machterweise am Volk des Alten Bundes waren“, hat Jesus Christus erfüllt, „besonders durch das Pascha-Mysterium: sein seliges Leiden, seine Auferstehung von den Toten und seine glorreiche Himmelfahrt“. Denn „in diesem Mysterium ‚hat er durch sein Sterben unseren Tod vernichtet und durch sein Auferstehen das Leben neugeschaffen‘“ .

Mit Ostern steht und fällt der christliche Glaube. Ostern ist deshalb das grösste von allen christlichen Festen, das mit Freude gefeiert wird. In die österliche Freude über den Sieg des Lebens über den Tod, wie er in der Auferstehung Jesu Christi sichtbar und wirksam geworden ist, kann man aber nur ehrlich einstimmen, wenn man zuvor mit Jesus die Versuchungen in der Wüste erfahren, mit Jesus den Weg nach Jerusalem mitgegangen, am Ölberg in der Nacht vor seinem Leiden mit ihm gewacht und inständig gebetet, in tiefer Traurigkeit in der Nähe seines Kreuzes am Karfreitag gestanden und sein Totsein am Karsamstag ausgehalten hat. Nur so ist die Heilige Woche ein Weg „per crucem ad lucem“, durch das Kreuz zum Licht.

Angesichts von Ostern, das Gott bewirkt hat, leben wir freilich auch als Christen weiterhin am Karsamstag. Aber wir dürfen an einem österlich erhellten und verwandelten Karsamstag leben. Denn inmitten des Karsamstags bricht bereits das Licht der Auferstehung, das Licht der Osternacht hindurch. Unser Leben steht zwar noch nicht im vollen Licht von Ostern; aber wir dürfen vertrauensvoll und in tragfähiger Hoffnung auf Ostern zugehen.

Was so über das Leben des einzelnen Christen zu sagen ist, gilt auch für die Kirche als ganze. Die tiefe Krise, in der sich unsere Kirche heute befindet, lässt uns erst recht Karsamstag erfahren. Doch auch hier gilt die Wahrheit des Glaubens, dass der Karsamstag nicht das Ende, sondern Übergang zu neuem Leben ist, der freilich mit Schmerz und Trauer verbunden ist. Wenn wir den Karsamstag wirklich ernst nehmen, ist es unmöglich, wie es heute leider aus bischöflichem Mund in Deutschland zu vernehmen ist, dass die Kirche heute am Ende angelangt sei, dass sie nicht nur am Abgrund stehe, sondern geradezu in ihn eingetreten sei und dass der Synodale Weg die letzte Chance für das Leben der Kirche sei. Eine solche Rede wäre nur wahr, wenn wir die Erfinder und Schöpfer der Kirche wären und die Kirche nicht einen anderen Urheber hätte, der auch in der Dunkelheit des Karsamstags neues Leben hervorspriessen lässt. Auch im Blick auf die Kirche müssen wir die Härte des Karsamstags ernst nehmen und aushalten; aber wir dürfen auch nicht die helle und hoffnungsvolle Seite dieses Tages ausblenden.

4. Erlösung durch die Liebe Christi am Kreuz

Es ist die helle Seite des Karsamstags, die bereits den innersten Kern des Karfreitags vor unserer Augen zu bringen vermag. Dieser Tag mutet uns zu, in neuer Weise zu erkennen, dass Liebe und Kreuz keinen Gegensatz darstellen, sondern unlösbar zusammengehören. Denn die christliche Botschaft vom Kreuz ist eindeutig eine Botschaft von Liebe und Erlösung, und unser menschliches Erlöst-Sein besteht in unserem Geliebt-Sein. Das Kreuz Jesu offenbart uns die Logik seiner radikalen Liebe und zeigt uns, dass der Gute Hirte selbst dann nicht von seiner barmherzigen Suche nach dem Verlorenen ablässt, wenn die bösen Mächte in den Menschen voll entbrennen und den Guten Hirten selbst treffen. Der Kreuzestod Jesu offenbart uns das konsequente Handeln eines grenzenlos liebenden Guten Hirten, der uns Menschen bis in die tiefsten Abgründe und verborgenen Katakomben eines durch-Kreuz-ten Lebens nahe sein will, um uns mit seiner Liebe zu erlösen.

Um der Ernsthaftigkeit der grenzenlosen Liebe Gottes in Jesus Christus ansichtig werden zu können, lädt der Karfreitag dazu ein zu bedenken, dass Jesus Christus sich gerade dadurch als Guter Hirte erwiesen hat, dass er sich auf die Seite der geschundenen Lämmer gestellt und selbst Lamm geworden ist. Er begegnet uns damit in einer Weise, die wir Menschen von uns aus nie erwartet hätten. Wir Menschen würden ihn nämlich nicht als Lamm, sondern eher als Löwen erwarten, der mit seiner ganzen Kraft die Welt und ihre Strukturen aus den Angeln hebt und eine neue Welt schafft. Es ist gewiss kein Zufall, dass sich die Herrscher in unserer Welt immer wieder mit dem Bild des Löwen dargestellt haben, um damit ihre Macht demonstrativ zu feiern. Jesus Christus ist aber nicht als Löwe in unsere Welt gekommen. Der christliche Glaube verkündet vielmehr, dass die Erlösung von uns Menschen nicht durch die grossen und mächtigen Tiere in unsere Welt kommt, dass Jesus vielmehr als Lamm zu uns Menschen kommt und damit in der Kraft seiner wehrlosen Liebe, die freilich die konkrete Weise seiner Macht ist.

„Gott kommt als Lamm, das ist die Erlösung der Welt.“ In diesem einfachen, aber inhaltsschweren Satz hat Papst Benedikt XVI. die Botschaft des Karfreitags verdichtet. Denn am Kreuz hat der Erlöser der Gewalt sein Leiden entgegengestellt und der Macht des Bösen gegenüber als Grenze seine Barmherzigkeit aufgerichtet. Die Liebe des gekreuzigten Erlösers besteht gerade darin, dass er sich lieber von Menschen ans Kreuz schlagen lässt, als dass er Menschen mit Gewalt zu irgendetwas zwingen möchte, und dass er nichts mit Gewalt durchsetzt und niemanden zwingt, sondern allein in Liebe um die Gegenliebe von uns Menschen wirbt.

Das Kreuz ist die Erscheinung der grössten Liebe des Erlösers zu uns Menschen. Es enthält die Gewissheit der bis in die Tötung durchgehaltenen Barmherzigkeit Gottes. Denn das Kreuz ist das deutlichste Zeichen dafür, dass Jesus Christus sich nicht mit verbalen Liebeserklärungen an uns Menschen begnügt, sondern selbst einen hohen Preis für seine Liebe bezahlt hat, indem er am Kreuz in Liebe sein Herzblut für uns Menschen investiert und uns so endgültig angenommen hat, dass tiefe Freude über unser Erlöst-Sein unser Leben bestimmen kann.

Wir sind erlöst, weil wir geliebt sind: Dies ist die Botschaft des Kreuzes am Karfreitag. Menschlich betrachtet ist das Kreuz der Pfahl des Todes. Mit den Augen Gottes betrachtet ist es der neue Baum des Lebens, des endgültigen Lebens, das nur Gott geben kann und für das er einen hohen Preis, nämlich die Hingabe seines eigenen Sohnes, bezahlt hat. Denn das neue und wahre Opfer Jesu Christi besteht in der Selbstgabe des Sohnes an seinen Vater für uns Menschen. Ihm konnte es nicht genügen, Gott irgendwelche materiellen Opfer darzubringen, Tieropfer und Sachopfer, wie dies im Jerusalemer Tempel der Fall gewesen ist. Jesus hat nicht irgendetwas, sondern sich selbst dargebracht. An die Stelle der Tieropfer im Tempel ist deshalb die neue Liturgie getreten, die Christus am Kreuz seinem Vater dargebracht hat und die im Sich-Selbst-Geben für uns Menschen besteht. In dieser neuen Liturgie gibt es keinen Ersatz durch Tieropfer mehr, sondern nur Einsatz des eigenen Lebens.

5. Teilhabe an der eucharistischen Selbstgabe Jesu

Auf diesen Ernst der eucharistischen Lebenshingabe Jesu am Kreuz macht die Messe vom Letzten Abendmahl am Hohen Donnerstag eindringlich aufmerksam. Denn beim Letzten Abendmahl spricht Jesus nicht nur von seinem Leib, sondern dezidiert von seinem Leib, der für euch hingegeben wird, und von seinem Blut, das für euch vergossen wird. Jesus vollzieht damit beim Letzten Abendmahl sein Sterben am Kreuz am Karfreitag voraus und verwandelt es von innen her in ein Geschehen der liebenden Selbsthingabe. An sich und von aussen betrachtet ist der Kreuzestod Jesu ein rein profanes Ereignis, nämlich die Hinrichtung eines Menschen in der grausamsten der von Menschen ersonnenen Arten. Die Heilige Schrift aber ist überzeugt, dass Jesus diese erbärmliche Gewalttat der Menschen gegen ihn in einen Akt der Hingabe für uns Menschen und damit in einen Akt der Liebe umgewandelt hat, und zwar von innen her. Der Kreuzestod Jesu ist deshalb die Erfüllung des Versöhnungsfestes, gleichsam der endgültige, bleibende und personifizierte Yom Kippur.

Das Letzte Abendmahl Jesu am Hohen Donnerstag und der Kreuzestod Jesu am Karfreitag gehören von daher unlösbar zusammen. Denn ohne das Kreuz wäre die Eucharistie ein blosses Ritual; und ohne die Eucharistie wäre das Kreuz bloss ein grausames profanes Geschehen. Ohne den Tod am Kreuz wären die Abendmahlsworte Jesu letztlich eine Währung ohne Deckung; umgekehrt wäre ohne die Abendmahlsworte Jesu sein Kreuzestod eine blosse Hinrichtung ohne jeden erkennbaren Sinn. Sinn gewinnt der Kreuzestod Jesu vielmehr nur aufgrund der Wandlung des Todes in Liebe von innen her, wie der Heilige Ephräm der Syrer tiefsinnig bemerkt hat: „Beim Abendmahl opferte Jesus sich selbst; am Kreuz wurde er von anderen geopfert.“ Ephräm hat damit zum Ausdruck gebracht, dass niemand Jesus das Leben nehmen konnte, ohne dass er es selbst aus freiem Willen hingegeben hätte: Er, der die Macht hatte, es hinzugeben und es wieder zu nehmen.

Der unlösbaren Verbindung von Kreuzestod und Eucharistie können wir nur gerecht werden, wenn wir bei der Darbringung der eucharistischen Gabe nicht aussen vor bleiben, sondern uns in diese Darbringung persönlich hineinnehmen lassen und selbst eine lebendige Opfergabe werden, wofür wir im eucharistischen Hochgebet, besonders deutlich im vierten, beten: „Sieh her auf die Opfergabe, die du selber deiner Kirche bereitet hast, und gib, dass alle, die Anteil erhalten an dem einen Brot und dem einen Kelch, ein Leib werden im Heiligen Geist, eine lebendige Opfergabe in Christus, zum Lob deiner Herrlichkeit.“ Im eucharistischen Hochgebet bitten wir deshalb Gott, dass das Opfer Jesu Christi, das wir in der Eucharistie sakramental feiern, uns nicht einfach äusserlich und uns gleichsam nur gegenüber anwesend  sei und uns nicht bloss als objektives Opfer erscheine, das wir dann anschauen könnten wie die dinglichen Opfer in früheren Zeiten und in anderen Religionen. Dann freilich hätten wir den Überstieg ins Christliche noch nicht vollzogen. Wir bitten Gott aber, dass die Hingabe Christi an seinen Vater und an uns Menschen, die wir in der Eucharistie feiern, uns innerlich werde und dass wir selbst hineingenommen werden in die Bewegung der Hingabe. Oder mit anderen Worten: Wir bitten Gott, dass wir wie Christus und mit Ihm Eucharistie werden. Denn die Eucharistie hat die „Darbringung des ganzen Christus aus Haupt und Gliedern“ zum Ziel, nämlich „das Darbringen unserer selbst mit ihm, das Anteilgewinnen an der Hingabe Jesu Christi, die Selbsthingabe der Gemeinde, der Kirche als lebendige Hostie im Alltag der Welt.“

6. Priesterlicher Dienst an der Eucharistie

Was von jedem Getauften zu sagen ist, gilt erst recht vom Priester, der in der Feier der Eucharistie beauftragt und bevollmächtigt ist, mit dem Ich Christi zu sprechen. Er ist in besonderer Weise verpflichtet, Jesus Christus immer besser gleich gestaltet und selbst immer mehr ein eucharistischer Mensch zu werden, und zwar in der Gemeinschaft mit seinem Bischof, da er nur in Einheit mit ihm Eucharistie feiern kann und mit dem er in „sakramentaler Bruderschaft“ verbunden ist. Hier leuchtet der tiefe Grund auf, dass in der Heiligen Woche der Bischof mit seinem Presbyterium die Chrisam-Messe feiert und alle gemeinsam ihre Weiheversprechen erneuern, um so innerlich vorbereitet die Heiligen Geheimnisse mit dem Volk Gottes zu feiern.
 
Die Eucharistie, in deren besonderem Dienst der Priester steht, weist nicht nur zurück auf den Karfreitag, an dem Christus sein Leben eucharistisch verschenkt hat, sondern sie weist auch voraus auf Ostern und schenkt Anteil an der Auferstehung des Herrn. Diese österliche Dimension der Eucharistie hat uns vor allem eine eindrückliche Priestergestalt nahe gebracht. Der berühmte französische Theologe Marc Oraison ist zunächst Arzt gewesen und erst später Priester geworden. In seinen Lebenserinnerungen berichtet er über den Weg, auf dem er vom Arzt zum Priester gefunden hat. Als Chirurg hat er zwar im Kampf gegen Krankheit und Tod nicht wenige Erfolge erfahren dürfen. Es sind ihm aber auch immer stets deutlicher und schmerzlich die Grenzen der ärztlichen Kunst und ihrer Macht bewusst geworden. Angesichts des nicht zu überwindenden Todes und des medizinischen Kapitulieren-Müssens hat sich in ihm immer stärker das Verlangen geregt, im Angesicht des Todes die Auferstehung gegenwärtig zu setzen, nämlich die Heilige Messe zu feiern.

Priester werden hat für Marc Oraison nicht bedeutet, davon Abschied nehmen zu müssen, was er eigentlich auch als Arzt gewollt hat, nämlich den Menschen eine tragfähige und erlösende Antwort auf den Tod geben zu können. Diese Antwort hat er im Glauben an die Auferstehung Jesu Christi gefunden, die wir in der Eucharistie feiern, die nicht zufälligerweise bereits früh den schönen Namen „pharmakon athanasias“, Heilmittel der Unsterblichkeit erhalten hat. Denn das eigentliche Wesen der Eucharistie besteht darin, das Fest der Auferstehung Jesu Christi zu sein. Seit den Apostolischen Anfängen der Kirche bildet der Tag der Auferstehung den inneren Raum der Eucharistie und gehören Sonntag als Tag der Auferstehung und Eucharistie als Feier der Gegenwart des auferstandenen Herrn unlösbar zusammen.

7. Österlicher Ernstfall des Gottesglaubens

Die Feier der Eucharistie weist auf den alles entscheidenden Ernstfall des christlichen Glaubens hin und feiert ihn zugleich, nämlich den österlichen Sieg des Lebens über den Tod. Der frühen Kirche ist ganz und gar bewusst gewesen, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod in das neue und ewige Leben bei Gott den Kerngehalt ihres Glaubensbekenntnisses bildet und dass es sich bei ihm nicht bloss um einen mehr oder wenigen wichtigen Zusatz zu ihrem Gottesglauben handelt, sondern um seine Radikalisierung selbst, gleichsam um die entscheidende Feuerprobe, die er zu bestehen hat.

Vor allem der Apostel Paulus hat den Korinthern, die den Glauben an ihre eigene Auferstehung offensichtlich nicht annehmen wollten, mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit ins Stammbuch geschrieben: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ (1 Kor 15, 13-14). Und gleich anschliessend betont Paulus ebenso unmissverständlich: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden“ (15, 16-17). Dieselbe Grundüberzeugung hat die frühe Kirche in dieser Kurzformel verdichtet: „Nimm die Auferstehung hinweg, und auf der Stelle zerstörst du das Christentum.“ Um einen radikalen Ernstfall des Glaubens handelt es sich beim Osterglauben in der Tat gleich in mehrfacher Hinsicht.

Einen radikalen Ernstfall stellt der österliche Glaube an das ewige Leben nach dem Tod dar zunächst für die Tragfähigkeit der menschlichen Hoffnung überhaupt. Was wäre dies denn für eine Hoffnung, die allein für unser jetziges Leben tragen würde und deren alleinige Kraft letztlich darin bestünde, uns dem Tod-sicheren Ende unseres Lebens im Grabe näher zu bringen? Dann wären wir in der Tat, wie wiederum Paulus mit Recht sagt, „erbärmlicher daran als alle anderen Menschen“ (1 Kor 15, 19). Christliche Hoffnung aber, die diesen Namen verdient, hat den viel längeren Atem. Sie bewährt sich auch und erst recht über den Tod hinaus. Denn wirkliche Liebe will Ewigkeit, wie der französische Dichter Gabriel Marcel betont hat: Einen Menschen wirklich lieben, dies heisst zu ihm sagen, er werde nicht sterben. Wahre Hoffnung bewährt sich in der Tat darin, dass wir den Toten ewiges Leben gönnen. Erst recht will die unendliche und grenzenlose Liebe Gottes unendliche Ewigkeit für jeden Menschen. Diese Zuversicht schenkt der christliche Glaube, wenn wir in jener grossen Hoffnung leben, die nur Gott selbst sein kann, der uns schenkt, was wir allein nicht vermögen, nämlich ewiges Leben. Dieses kann von uns Menschen nicht erleistet werden, sondern ist ein Geschenk des liebenden Gottes, weil Gott in sich selbst Unsterblichkeit ist, und zwar als Beziehungsgeschehen der Dreieinen Liebe.

Der christliche Auferstehungsglaube macht vor allem radikal Ernst mit dem Glauben an Gott. Was wäre dies denn für ein Gott, der Jesus, seinen eigenen Sohn, der die Liebe seines Vaters zum Leben verkündet hat, im Tode gelassen hätte? Was wäre dies für ein Gott, der die Glaubenden, die seinem Sohn nachgefolgt sind und seiner Verheissung des Lebens in Fülle vertraut haben, die Erfüllung ihrer Hoffnung vorenthalten würde? Und was wäre dies für ein Gott, der uns Menschen nur Zeit unseres relativ kurzen Lebens auf der Erde die Treue halten, der aber vor unserem Sarg kapitulieren und uns beim Tod die Treue aufkündigen würde? Dies wäre gewiss ein erbärmlicher Götze, nicht aber der Gott des Erbarmens, den der christliche Osterglaube verkündet, indem er bekennt, dass Jesus wirklich auferstanden ist, da die Macht Gottes bis in seinen Leib hinein reicht. Denn der Gott, der seinen Sohn aus dem Tod ins neue Leben hinein geholt hat, ist derselbe Gott, der die materielle Welt aus dem Nichts erschaffen hat. Ostern verkündet, dass Gott dem Tod nicht das letzte Wort zugesteht, dass er es vielmehr zum zweitletzten Wort depotenziert und sich das letzte Wort vorbehält, das Leben heisst.

Diese grandiose Botschaft des Lebens ist in der Heiligen Schrift in dem auf den ersten Blick unscheinbaren Hinweis zusammengefasst, dass die Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod „am dritten Tag“ stattgefunden hat. In den Schilderungen von dem Bund, den Gott mit seinem erwählten Volk Israel am Sinai geschlossen hat, bedeutet der dritte Tag den Tag der Theophanie, den Tag des Erscheinens Gottes in seiner ganzen Herrlichkeit. In diesem biblischen Licht betrachtet besagt die zeitliche Angabe, dass Christus am dritten Tag auferstanden ist, dass Gott endgültig in die Geschichte hinein gekommen ist, dass Gott seine Macht über die Geschichte in seiner Hand behält und dass deshalb das universale Gesetz des Todes nicht die letzte Macht in der Welt ist, sondern dass Gott selbst der Letzte ist, und zwar deshalb, weil er auch der Erste ist. Die Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod ist die endgültige Theophanie und damit die tragfähige Antwort auf die Frage, wem das letzte Wort gehört: dem Tod oder dem Leben. Von daher lässt sich die Botschaft von Ostern ganz einfach in zwei kleinen Wörtern zusammenfassen: „Gott ist“.

8. Prozessionen des Glaubens in der Heiligen Woche

Ostern stellt uns damit die sehr ernste Frage, ob wir an Gott wirklich glauben und diesen Glauben bekennen, indem wir in der Heiligen Woche Christus auf seinem Weg vom Palmsonntag über den Karfreitag und Karsamstag bis nach Ostern in Gebet und Liturgie begleiten. Bevor uns aber zugemutet wird, den Weg zusammen mit Jesus Christus zu gehen, wird uns in der Heiligen Woche die tröstliche Verheissung geschenkt, dass Jesus Christus selbst mit den Seinen auf ihren Wegen mitgeht. Diese Verheissung wird sichtbar gemacht mit zwei prozessionsartigen Wegen, die seit früher Zeit in der Liturgie der Heiligen Woche vorgesehen sind, nämlich die Palmprozession am Palmsonntag als Darstellung des feierlichen Einziehens Jesu in die Stadt Jerusalem und das liturgische Hinausbegleiten Jesu in das Dunkel der Nacht des Leidens auf dem Ölberg nach der Feier der Einsetzung der Heiligen Eucharistie am Hohen Donnerstag.

Bei der Prozession am Hohen Donnerstag liegt die Verheissung des Mitgehens Jesu Christi auf unseren Wegen offen zu Tage. Sie ist von ihrem Wesen her ein Geleit der Hostie, ein Geleit des eucharistischen Geheimnisses Jesu Christi, der sich in der unscheinbaren Gestalt des Brotes verschenkt. Von daher kann man auch verstehen, dass in einigen Gegenden Frankreichs im 11. Jahrhundert auch bei der Palmprozession am Palmsonntag das Allerheiligste mitgetragen wurde. Damit wurde sichtbar zum Ausdruck gebracht, dass wir Christen am Palmsonntag und überhaupt in der Heiligen Woche nicht einfach eine historische Erinnerung an Ereignisse vor zweitausend Jahren begehen, sondern dass wir mit Jesus Christus den Weg gehen und dass zuvor Christus selbst die Seinen auf ihren Wegen mit seiner Gegenwart begleitet und mit ihnen geht.

Darin liegt die tröstliche Verheissung der Heiligen Woche. Sie bringt die Glaubensgewissheit zum Ausdruck und bekräftigt sie, dass Jesus Christus auch auf den Wegen der heutigen Menschen mitgeht, auch und gerade auf den Wegen in das Dunkel der Kreuze im persönlichen Leben der Menschen, in der Gemeinschaft der Kirche und in der heutigen Gesellschaft. Wir Christen sind deshalb eingeladen, in der Heiligen Woche im liturgischen Mitgehen auf dem Weg Jesu Christi uns unseres Glaubens zu vergewissern, dass Christus selbst es ist, der uns als der Auferstandene auf unseren Wegen begleitet und uns begegnet. Denn Ostern ereignet sich dann und dort, wo es zu einer persönlichen Begegnung mit dem Auferstandenen kommt.

9. Persönliche Erfahrung von Ostern

Dies wird besonders deutlich an der Gestalt der Maria von Magdala, die im Mittelpunkt des Osterevangeliums (Joh 20, 1-18) steht. Von ihr wird erzählt, dass sie „frühmorgens, als es noch dunkel war“, zum Grab Jesu geht. Sie nimmt zwar wahr, dass der Stein vom Grab weggewälzt ist, aber ihr einziger Gedanke ist, dass man den Leichnam Jesu weggenommen hat. Von Ostern ist da überhaupt nichts zu spüren. Maria hat die Schwelle zu Ostern noch nicht überschritten; sie lebt noch am Karsamstag. Dies zeigt sich vor allem darin, dass sie Jesus bei den Toten sucht und gar nicht merkt, dass der Auferstandene vor ihr steht.

Die Augen für die Gegenwart des Auferstandenen gehen ihr erst auf, als Jesus sie anspricht und sie bei ihrem Namen nennt: „Maria!“ Jesus sagt nur dieses eine Wort: „Maria!“ Weder hält er eine dogmatische Belehrung noch gibt er eine moralische Ermahnung. Nein, er nennt Maria nur mit ihrem Namen; und dies genügt: „Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heisst: Meister.“ Genau hier und genau so ereignet sich Ostern. Maria sucht den Lebenden bei den Toten und macht die Erfahrung, dass der Lebende sie jenseits der Todesgrenze, nämlich von der Zukunft Gottes her, beim Namen ruft. Im buchstäblichen Sinne „namentlich“ beginnt bei Maria der Osterglaube.

Auch bei uns Christen heute kann es sich nicht anders verhalten. Ostern beginnt genau da, wo wir uns vom Auferstandenen beim Namen gerufen wissen. Von daher kann ich Ihnen keinen besseren Wunsch in die kommende Heilige Woche hinein mitgeben als den, dass Ihnen eine persönliche Begegnung mit dem Auferstandenen wie bei Maria von Magdala zuteil werde. Nur so können auch wir Zeugen seiner Auferstehung bei dem uns anvertrauten Volk Gottes sein und dieses Fest des Sieges des Lebens über den Tod  in den heiligen Liturgien feiern.

Archivfotos (c) Martin Lohmann


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Lesermeinungen

 matthieu 16. April 2022 
 

Großartig

Vielen Dank an kath.net und Kardinal Koch. Das ist gute Lektüre für die Heiligen Tage. Der Pfarrbrief hier (zu Besuch in einem norddeutschen Bistum) macht wenig Hoffnung auf ähnlich Erbauliches.


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