C. S. Lewis ‘denkt’ und ‘erzählt’ Gott

14. Jänner 2018 in Kommentar


90 Jahre vor Holm Tetens „denkt“ C. S. Lewis Gott, aber er „erzählt“ ihn auch. Der christliche Gott ist der „einzige Gott“, den man erzählen kann ohne in Fantasy-Gefilde zu geraten. Gastbeitrag von Helmut Müller.


Vallendar (kath.net)
Als Hochschullehrer, genauer Literaturwissenschaftler, „denkt“ C. S. Lewis Gott und als Schriftsteller „erzählt“ er ihn auch. In seinem Gesamtwerk bilden somit Mythos und Logos eine Einheit, so wie in der Menschheitsgeschichte sich Göttliches zunächst
• erzählend im Mythos meldet,
• im Christentum einmalig und wahrhaftig Geschichte wird
• und sich so auch im Logos „denkbar“ zeigt, was immer das heißen mag.

Im Werk von C. S. Lewis wird die Welt zur Bühne, auf dem das Leben des Menschen und aller Kreaturen „gespielt“ wird. Gott kommt da zunächst so wenig vor wie Goethe in seinem Faust. Aber wie es einen Faust nicht ohne Goethe gibt, gibt es ohne Gott keine Welt als Bühne und kein Leben, das darauf gespielt wird. Ich muss an dieser Stelle präzisieren. Im Gegensatz zu Goethe und seinem Faust hat Gott einen einmaligen, auf die Länge der gespielten Stücke bezogen, kurzen Auftritt auf der Bühne der Welt. 30 Jahre „hinter den Kulissen“ in Nazareth und 3 Jahre „auf den Kulissen“ in einer unbedeutenden Provinz des Imperium Romanum am Rande der Wüste, unter galiläischen Fischern und teils rebellischen Juden. Schon hier sei gesagt: Inkarnation wird zum zentralen Begriff des Gottes- Welt- und Menschenbildes von C. S. Lewis.

Nicht von ungefähr wurde C. S. Lewis 1947 Häretiker unter Intellektuellen genannt, weil Gott außerhalb von theologischen Fakultäten als immer weniger „denkbar“ gilt, von ungewöhnlichen Ausnahmen abgesehen. So war der Berliner Wissenschaftstheoretiker Holm Tetens sein ganzes Berufsleben lang Agnostiker, bevor er als Emeritus ein vielbeachtetes Werk „Gott denken – ein Versuch über rationale Theologie“ geschrieben hat. Auch C. S. Lewis „dachte“ Gott wie Holm Tetens zunächst eher nicht. Bis zu seinem 31. Lebensjahr war auch er Agnostiker.

Allerdings hat er schon vor der Rente angefangen ihn zu „denken“. In der Zeit als er ihn noch nicht dachte, hatte er alle Aufklärer gelesen aber sie schienen ihm „dürftiges Dünnbier und schrecklich langweilig ... Ergebnis: Christen sind im Irrtum, aber alle anderen sind Langweiler.“ Schließlich schreibt er: „Es kommt ein Augenblick, wenn Leute, die in Religion herumplätscherten (‘das Gottsuchertum des Menschen’), plötzlich zurückschrecken. Wie wenn wir ihn wirklich gefunden haben? Nie hatten wir im Sinn, dass es dazu käme!

Noch schlimmer: Wie wenn er uns fand?“ Und genau das stieß ihm zu. Kein Wunder, dass er zunächst zu einem „widerwilligen Christen“ wurde. Aber bevor er ihn „dachte“ passierte ihm das, was C. G. Jung einmal für die ganze Menschheit annahm: „Ehe die Menschen lernten, Gedanken zu produzieren, kamen die Gedanken zu ihnen“. Bevor C. S. Lewis Gott „gedacht“ und „erzählt“ hat, hat er ihn „erfahren“. Wenn etwas Sinnfälliges gedacht und erzählt wird, ist das ein ganz normaler Vorgang. Aber auf Gott bezogen? C. S. Lewis wurde, wie er schrieb, „von Freude überrascht“. Mehrmals, wie er sagte. Zum ersten Mal im Alter von 8 Jahren. Wie sieht so eine Überraschung aus?

Etwas ganz Alltägliches ist der Anlass. Und dann geschieht es! Einen Türspalt breit öffnet sich der Blick in eine andere Welt. Das erste Mal bei C. S. Lewis war es ganz unspektakulär der Spielzeuggarten seines Bruders in einer alten Blechdose. Wie immer man sich so etwas vorstellen mag. Aber dann verselbständigen sich alle Eindrücke. Ein Gefühl der Überwältigung und tiefer Sinnerfüllung macht sich breit. So tief, dass alle möglichen Freuden der Welt überboten werden. Wer dieses Erlebnis gehabt hat, weiß dass es mit nichts anderem zu vergleichen ist.

C. S. Lewis erwähnt ausdrücklich, dass auch kein sexuelles Erleben mithalten kann. Diese überwältigende Erfahrung beschreibt er einmal so – und das ist dann zum Schlüsselerlebnis seines Erzählwerkes in den Narniachroniken geworden: „Ich hatte nicht im Geringsten das Gefühl, in größerer Menge oder besserer Qualität eine Freude zu erhalten, die ich schon kannte. Es war mehr, als wenn ein Schrank, den man bisher als Platz geschätzt hatte, um dort Mäntel aufzuhängen, sich eines Tages, beim Öffnen der Tür, als Weg in den Garten der Hesperiden herausstellte; …“

J. K. Rowling hat für ihre Harry Potter Romane diese Idee m. E. kopiert. Bei ihr wird der Schrank der Narnia Chroniken zum Gleis 9 3 / 4 des Londoner Kingscross. Für C. S. Lewis steht der Schrank für den Schritt in die Transzendenz einer anderen tieferen Wirklichkeit, in die die Kinder geradezu hineinpurzeln. Rowling bleibt in dieser Welt und das Gleis 93 / 4 ist nur Auftakt für eine phantastische Erweiterung unseres Bewusstseins durch spannendes Erzählen.

Wenn C. S. Lewis Gott denkt, begegnet uns wie bei Thomas die Wirklichkeit schlechthin, nämlich die actualitas omnium actuum, der Wirkgrund allen Wirkens, und das ist Gott. Der Wirkgrund ist dabei abgehoben von allem Wirken, wie sich eben Schöpfer und Schöpfung unterscheiden. Das geschöpfliche Wirken selber ist für C. S. Lewis in Stufen zu denken, nicht bloß ein Herumsteigen in Schichten unsres Bewusstseins, wie bei Harry Potter um dann schlussendlich doch bei sich und seiner vielleicht blühenden Phantasie zu bleiben. C. S. Lewis dagegen hat tatsächliche objektive Wirklichkeitsstufen oder objektive Wirklichkeitsschichten im Blick. Diesen muss sich unsere Vernunft oder unser Bewusstsein adäquat annähern. Und natürlich: Diese Wirklichkeitsschichten sind vom Wirkgrund zu unterscheiden. C. S. Lewis hat sich ausdrücklich von pantheistischen und deistischen Gottesbildern verabschiedet und ein theistisches gewählt.

„Auf der Bühne“ der Welt erscheinen wir, mit allem Lebendigen und sinnhaft Erfahrbarem. Alles auf der Bühne sinnfällig Erfahrbare wird zum Telos für Naturgesetze „hinter den Kulissen“, die eine andere allerdings sekundäre Wirklichkeitsstufe darstellen. Naturgesetze sind für ihn ein mathematisch, quantitativer Blick hinter die Kulissen. Sie setzen in Szene was auf der Bühne – das ist die Lebenswelt – qualitativ geschieht.

Naturgesetze sind für C. S. Lewis ein ehernes Geflecht, die ursprüngliches Wirken Gottes wie Maurer Mauerwerk verfugen; klassisch verfugen Naturgesetze die Welt kausalmechanisch, seit Heisenberg wissen wir von einer quantenmechanischen Verfugung der Welt. Gott wird dabei nicht als Uhrmachergott, wie es die Deisten sehen, gedacht, sondern Gott bleibt immer Souverän seiner Schöpfung. D. h. die Schöpfung ist nicht im Anfang aufgezogen worden wie eine Uhr und tickt seitdem bis zu ihrem Ende, die Uhr stehen bleibt oder kaputtgeht. Gott sitzt nach dem er die Uhr aufgezogen hat nicht mit den Händen im Schoß bloß herum, als Sozialfall am Rande seines Universums, wohnsitz- und arbeitslos. Er ist der Gott vom Sinai, der Gott der Propheten, der Gott der Krippe von Bethlehem, dem Garten Gethsemani, dem Hügel von Golgotha und er ist der Gott des leeren Grabes.

Allein deshalb schon hält C. S. Lewis Wunder nicht nur für möglich, sondern auch für nötig. Wunder sind für ihn allerdings keine Aufhebung der Naturgesetze, sondern ein Wirken in ihrer Kausal- oder Quantenmechanik, allerdings unter einer Bedingung: Wunder geschehen nur aufgrund eines Dialogs mit Menschen, entweder

a) von Seiten Gottes her: Z. B. eine Jungfrau wird schwanger ohne Mitwirken eines Mannes und dann verläuft die Schwangerschaft wie gehabt. Gott ist dann Wirkgrund dieser entscheidenden Etappe der Heilsgeschichte auf die gleiche Art wie er der Wirkgrund der Schöpfung überhaupt gewesen ist. Oder

b) auf eine der vielen Bitten der Menschen um Heil und Heilung bewirkt er in einer der vielen neutestamentlichen Geschichten oder auch danach die Erfüllung der Bitte um Heilung oder wenigstens Beistand: Der ehemals Kranke nimmt sein Bett und geht: Knochen, Sehnen und Muskeln verrichten kausalmechanisch ihr Werk wieder gemäß den Naturgesetzen.

Das, was wir nicht verstehen und vermutlich auch nicht verstehen werden ist das Wesen von Kausalität, Ursächlichkeit. Das hat schon der britische Landsmann von C. S. Lewis David Hume beklagt. Die Königsberger Lösung des Problems durch Kant, Kausalität als eine der Kategorien auf die Seite des Bewusstseins zu verlagern ist m. E. eine Scheinlösung. Kant selbst spricht sieben Jahre vor seinem Tod von einem tantalischen Schmerz, dass seine Kritik der reinen Vernunft das Problem nicht gelöst hat. Ich folge lieber Hans Jonas, der Kausalität als Kategorie des reinen Verstandes viel richtiger als Leibkategorie versteht.

Restlos verstanden ist Kausalität damit immer noch nicht. Auch die Quantenphysik des letzten Jahrhunderts hat das Problem nicht gelöst. Denn die verzweifelte Suche der Kernphysiker hinter den Kulissen die vier Kräfte in einer Superforce (Paul Davies), der Urkraft, zu bündeln oder zu finden sprechen Bände.

Als C. S. Lewis schließlich angefangen hatte Gott zu denken, genügte ihm das nicht und er begann ihn auch mit Inbrunst zu erzählen. Der christliche Gott ist überhaupt der „einzige Gott“, den man erzählen kann ohne dass man gleich in Fantasy-Gefilde gerät und sich in einem Legendengestrüpp verheddert. Er ist nämlich der „einzige Gott“ der die Bühne der Welt je betreten hat, den Abstieg in die Keimbahn des Menschen gewagt hat und immer noch im Sakrament der Eucharistie gegenwärtig ist, weil er sich auch substantiell in die Nahrungskette der Menschheit begeben hat.

Während in Harry Potter so etwas wie eine untergründig anzutreffende Düsternis durch die Erzählungen wabert, sind die Narnia Chroniken die Ausarbeitung der Freude, Freude sei nämlich „das ernsteste Geschäft des Himmels“, sagte er einmal, das auch das Böse in Schach hält und es schließlich überwindet.

kath.net-Lesetipp:
Unterirdische Ansichten eines Oberteufels über die Kirche in der Welt von heute
Von Helmut Müller
80 Seiten
2015 Dominus Verlag
ISBN 978-3-940879-38-7
Preis 5.10 EUR

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