557 Tage als Geisel im Jemen

7. Jänner 2020 in Weltkirche


P. Tom Uzhunnalil SDB erlebte die Ermordung von vier Mutter-Teresa-Schwestern in Aden - Von Alexa Gaspari / VISION 2000


Wien (kath.net/VISION2000)
Ganze 557 Tage in Geiselhaft von Terroristen. Wie übersteht man das? P. Tom Uzhunnalil aus Kerala hat unlängst bei den Schwestern der Nächstenliebe in Wien über diese schwere Zeit berichtet. Vieles an ihm hat mich beeindruckt: seine liebevolle Ausstrahlung, die überzeugende ruhige Art zu erzählen ohne böse Worte über seine Entführer und: Als eine Rettung draußen vorbeifährt, unterbricht er sein Zeugnis, um für die Person zu beten, für die sie unterwegs ist. Er strahlt eine große Liebe aus.
Im persönlichen Gespräch nehme ich wahr, wie sehr er den Eindruck vermittelt, nur mein Anliegen sei jetzt für ihn wichtig und sonst nichts. Berührend auch sein Buch: By the Grace of God (Durch Gottes Gnade), dem ich einiges für dieses Portrait entnommen habe.

Geboren wurde P. Tom 1958 in Ramapuram in Kerala. Sein Elternhaus beschreibt er als ein Haus des Gebetes, der Zuneigung, Liebe und Freude. Er ist das fünfte der sieben Kinder seiner Eltern. Sein Vater, bei dem Gastfreundschaft und Sorge um die Mitmenschen groß geschrieben sind, ist ein gütiger und geduldiger Mann. Ärgerlich wird er nur einmal, als Tom das Abendgebet auslassen möchte. Des Vaters Grundsatz lautet nämlich: Du kannst bei der physischen Nahrung Kompromisse machen, aber nie bei der spirituellen. Die einfache Frömmigkeit seiner Mutter und ihr Bemühen, die Kinder zu guten, verantwortungsvollen Christen zu erziehen, inspirieren Tom sehr.

In einer von Schwestern geführten Schule wird er von den besten Händen und Herzen geführt. P. Tom meint, dass drei Dinge notwendig seien, um religiöse, priesterliche Berufungen zu ermöglichen: zunächst Familien, die im Gebet verankert sind, dann eine Umgebung, die Berufungen fördert und ermutigt, und drittens das freudige Lebenszeugnis konsekrierter Menschen.

Er war in der glücklichen Lage, all dies zu erleben. In seine Kirche kamen häufig Missionare, die über ihr Leben erzählten. „Ich denke, die ersten Samen für meine Berufung wurden durch diese missionarischen Predigten und das gelebte Vorbild der Karmelitinnen und der Schwestern des Sacred Heart gelegt,“ erinnert er sich. Einen besonderen Eindruck hinterlässt ein Priester, der ein Leben in Armut und ganz dem Herrn ergeben gelebt hat und mittlerweile seliggesprochen ist. Dessen Segen und die Erzählungen eines Verwandten, der Missionar in Assam ist, stärken in ihm den Wunsch, Missionar zu werden.

Eines Tages, Tom ist schon in der High School, kommt ein Salesianer-Pater, erzählt der Klasse von seinem Orden und fragt schließlich, ob einer von ihnen Interesse hätte, Missionspriester zu werden. Und Tom hebt die Hand. Darauf hin lädt ihn der Salesianer nach einem Einzelgespräch auf ein Berufungscamp ein.

Die Eltern staunen nicht schlecht, als sie vom Wunsch des Sohnes erfahren, Priester zu werden, unterstützen ihn aber sofort. Das Camp gefällt Tom: Aus allen Teilen Keralas sind Burschen gekommen. Mit viel Einfühlungsvermögen und Güte werden Kurse, Aktivitäten sowie Wettbewerbe abgehalten. Kein Wunder, dass Tom mit 17 in das Don Bosco Seminar in Tirupattur eintritt. Der Unterricht ist ansprechend, die Professoren nett und beeindrucken den jungen Mann. Neben der Hingabe an Maria spielt hier die Fröhlichkeit eine große Rolle.

In einem Rehabilitationszentrum lernt er, wie man Straßenkindern helfen kann. Die Patres, die sich dort rührend um jedes einzelne Kind bemühen, damit es im Leben Fuß fassen kann, sind ihm ein Vorbild. Nach dem Noviziat legt er die erste Profess im Mai 1979 ab. Die Freude zu Hause ist groß, und die Familie betet viel für ihn.

Auf Grund seiner technischen Fähigkeiten wird Tom ein Platz als Lehrer in der St. Michaels Technischen Schule in Guntur zugeteilt. Die Arbeit mit den 40 Schülern macht ihm viel Freude. Anschließend geht es nach Kalkutta, wo er Telekommunikation und Elektronik studiert. Am 21. Mai 1990 wird er zum Priester geweiht. Sein Leitspruch: „ Dienen und nicht bedient werden.“

Unmöglich, alle Aufgaben und Projekte aufzuzählen, die er in den nächsten Jahrzehnten erfüllen wird: als Administrator, Vize-Rektor, als Prinzipal oder Rektor. Er arbeitet Fortbildungsprogramme für Frauen und Jugendliche aus, wirkt mit am Bau von 60 Häusern für die Ärmsten sowie einer neuen Schule. Das Ausbilden von 2.000 Studenten, um sie so anzuleiten, dass sie das Überleben ihrer Familien sichern können, erfüllt ihn mit großer Freude.

Eines Tages erreicht ihn ein Rundschreiben vom Provinzial, der Priester sucht, die bereit für eine Mission im Jemen wären, um dort Schwestern der Mutter Teresa („Schwestern der Nächstenliebe“) zur Seite zu stehen.

P.Tom ist sofort dazu bereit: „Ich wollte damals sowieso eine neue Aufgabe übernehmen. Eher weg vom Technischen. Bevor ich 2010 in den Jemen ging, wurde ich genau über die Situation dort unterrichtet.“ Der Jemen ist das zweitgrößte Land der arabischen Halbinsel, an deren südlichem Ende . Im 19. Jahrhundert war es unter Großbritannien und dem Osmanischen Reich aufgeteilt worden. 1967 wird Süd-Jemen unabhängig und 1970 zum einzigen kommunistischen Land in der muslimischen Welt. Nord-Jemen, 1918 in die Freiheit entlassen, wird 1962 zur Jemenitischen Arabischen Republik, bis 1990 ein gemeinsamer Staat, die Republik Jemen, ausgerufen wird. Kämpfe und Bürgerkriege prägen das Geschehen in beiden Teilen.

Obwohl im Jemen nur der Islam praktiziert werden darf, wurden 1973 die Schwestern der Nächstenliebe gebeten, sich um Alte, Behinderte und die Ärmsten im Land zu kümmern. Sie würden das gern machen, erklärt damals Mutter Teresa der Regierung, aber um „mit Liebe und Freude ihre Arbeit ausüben zu können“, bräuchten sie die Eucharistie, aus der sie ihre Kraft bezögen – und daher auch Priester.

Und so darf für jedes der vier Zentren, in denen die Schwestern jeweils ca. 80 Menschen betreuen, je ein Priester einreisen. Bis 1987 übernahmen die „Weißen Väter“ – afrikanische Missionare, die auf der arabischen Halbinsel missionierten – diese Aufgabe, seit damals sind es Salesianer-Patres.
Der Jemen ist eine gefährliche Mission: Schon im Juli 1998 wurden drei der Schwestern bei ihrer Arbeit im Heim erschossen. Sr. Nirmala, Nachfolgerin von Mutter Teresa, erklärte nach dem Vorfall: „Unsere Kraft ist in Jesus Christus. Solange diese armen Leute unsere Hilfe brauchen, werden wir weiterhin unseren Dienst im Jemen verrichten.“ Ab da werden die Schwestern von Sicherheitskräften bewacht.

P. Tom kommt also 2010 in den Jemen. Nach zwei Jahren in einer der Stationen wird er gebeten in die der Schwestern in Aden zu übersiedeln. Ein sehr erfüllender Dienst: die Hochachtung vor dem Werk der Schwester, das Spenden der Sakramente, Besuche bei den Kranken und die Familienarbeit in der Pfarre. Während des Urlaubs 2014 in Indien wird Erhöhung Blutzuckerspiegels (2x täglich Insulin bisher), sowie ein möglicherweise bösartiger Tumor im Hals festgestellt. Es folgen Biopsien. Zwischendurch ist er wieder im Jemen. Dann noch­mals Biopsie: Wie weit ist der Krebs fortgeschritten? Während er auf die Ergebnisse wartet, beschließt er, Exerzitien zu machen. Dort schlägt man ihm vor, das theologische Studienzentrum in Bangalore zu übernehmen. Daneben könnte er seine Behandlungen fortsetzen. P. Tom ist einverstanden. Ein Nachfolger für Aden wird bestellt.

Dann das Ergebnis:der Knoten im Hals ist nicht so gefährlich, muss aber alle sechs Monate kontrolliert werden. Also kehrt der Pater, da er noch dringende Arbeiten, vor allem an der Kirche, selbst erledigen möchte, nach Aden zurück. Als die Arbeiten getan sind, sein Nachfolger angereist und eingeführt ist, fliegt P. Tom im Februar 2015 nach Bangalore, um seine Arbeit als Administrator zu beginnen.
Die Situation im Jemen verschlechtert sich. Kämpfe zwischen der sunnitischen Zentralregierung und schiitischen Huthi-Milizen intensivieren sich, unterstützt von anderen arabischen Ländern greift Saudi-Arabien mit Bombardierungen in das Geschehen ein. Die Folgen des Krieges für die Bevölkerung sind verheerend. Alles bricht zusammen, Cholera bricht aus, Tausende sterben. Indiens Regierung gibt Anweisungen, indische Bürger zurück zu holen. Auch drei der Priester gehen nach Indien zurück. Nur einer, P. George, bleibt noch im Jemen, allerdings weit von Aden entfernt.
„Die Evakuierung war 2015 in der Osterzeit. In dieser Zeit erhielt ich einen ganz speziellen Ruf, wieder in den Jemen zurück zu gehen,“ erzählt P. Tom. Er fühlt sich verpflichtet, den Gläubigen, die er in Aden betreut hatte, in dieser Krisenstunde nahe zu sein.

„Mein Ordensoberer gab mir nach langem Zögern die Erlaubnis, in den Jemen zurück zu gehen. Ich habe mich vor ihm hingekniet. Er hat über mich gebetet und mir den Segen der Muttergottes, der Hilfe der Christen, gespendet.“

Angesichts des Krieges, nach Aden zu gelangen, ist ein äußerst schwieriges und gefährliches Unterfangen. Mit einem UN-Rotkreuz-Flugzeug, das Medikamente transportiert und ihn als einzigen Passagier mitnimmt, gelangt er nach Sanaa, wo P. Georges im Zentrum der Schwestern ausharrt. Fast alle öffentlichen Einrichtungen sind zerstört. Auf dem extrem riskanten Landweg – Plünderungen und Erschießungen sind da an der Tagesordnung – gelangt er am 1. Juli 2015 endlich nach Aden. Große Freude bei den Schwestern und den wenigen verbliebenen Katholiken!
Schlimme Zustände herrschen hier: Es fallen Bomben, kein Gas, keine Elektrizität, kein Wasser, das Essen äußerst knapp. Es geschehen aber Wunder: So versorgt ein Nachbar, ein Moslem, in der schlimmsten Zeit – nach einem Gebetssturm der Schwestern – alle 120 Leute, die im Zentrum leben, zwei Wochen lang mit Brot!

Außer seiner Sorge um die Schwestern, die Bewohner und Gläubigen repariert er nun alles, was in den letzten Monaten kaputt gegangen war. Weihnachten feiert er mit den Schwestern und sieben anderen Gläubigen. Nachdem die Rebellen aus Aden zurückgedrängt worden waren, bleibt die Lage dennoch sehr angespannt.

„Am 4. März 2016 war ich nach der Anbetung in der Kapelle hinüber zu den Schwestern gegangen,“ berichtet der Pater. Danach sei er unterwegs in Richtung des Mutter-Teresa-Heims gewesen. „Ich war auf halbem Weg, als ich zwei Schüsse hörte. Das war nicht ungewöhnlich, man hörte öfter Schüsse. Ich ging weiter zum Hauptcampus. Aber dann kam ein bewaffneter, vermummter Mann, mit einem automatischen Gewehr auf mich zu und packte meine Hand. Ich erklärte ihm auf Arabisch, dass ich Inder sei. Er sagte, ich soll mich beim Sicherheitsraum auf einen Stuhl setzen und nahm mir mein Handy ab. Der Gärtner, der gelaufen kam, wurde gleich von einem Mann mit einer Schalldämpferpistole hinterrücks erschossen.“ P. Tom sieht das Blut aus der Wunde quellen.

Mittlerweile sind die Terroristen zu viert oder fünft. Einen jungen Arbeiter holen sie aus dem Haus heraus und erschießen ihn ebenfalls. Später wird er erfahren, dass alle 12 Helfer, Männer und Frauen, alles Moslems, ermordet wurden. „Die zwei Schüsse, die ich Anfangs gehört hatte, waren die, mit denen sie die Sicherheitsleute erschossen hatten. Dann öffneten sie das Haupttor und ein Auto fuhr herein. Einer der Männer ging zum Altenheim hinüber und kam mit zwei Schwestern, Margaret und Anselm, deren Hände gefesselt waren, heraus. Sie mussten sich ins Auto setzen. Auch Sr. Reginet und Sr. Judith wurden mit gefesselten Händen zum Auto gebracht. Ich dachte, dass sie die 5. Schwester, Sr. Sally wohl im Haus erschossen hatten, da einige Männer ins Haus gegangen waren.

Dann kam ein Mann zurück und führte alle vier Schwestern aus dem Auto heraus und in den Garten. Sie mussten sich in einer Reihe aufstellen. Ich nehme an, sie hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon darauf vorbereitet, in die ewige Heimat zu gehen. Aus der Entfernung, in der ich saß, sah ich, dass sie nicht weinten, kein Wort sagten, ganz ruhig waren. Sr. Judith und Sr. Reginet wurden nun in den Garten geführt, ich konnte sie nicht sehen. Ich hörte aber die Schüsse, mit denen sie erschossen wurden. Sr. Margret musste ein Stück gehen und wurde von hinten in den Kopf geschossen. Ich sah, wie sie auf ihr Gesicht fiel. Auch Sr. Anselm wurde von hinten erschossen. Auch sie habe ich auf ihr Gesicht fallen gesehen.“

Sofort betet der Pater für die Schwestern – aber auch für ihre Mörder: „Herr, hab Erbarmen mit ihnen. Denn sie wissen nicht was sie tun.“ Der Priester denkt, er sei wohl als Nächster dran, ermordet zu werden. „So habe ich als Vorbereitung auf den Tod in meinem Herzen zu Jesus und zur Muttergottes, sowie zum Hl. Josef gebetet.“ Doch man zwingt ihn, sich in den Kofferraum des Autos zu legen. Die Brillen gehen dabei kaputt. Auch das Altartuch und ein Tuch, das für die Messe verwendet wird, werden hineingeworfen. Etwas Metallenes war darin eingewickelt.

Irrtümlich denkt er, „es sei der Tabernakel und dass Jesus im Allerheiligsten Sakrament des Altares nun bei mir sei.“
Das Auto fährt los. Später setzt man ihn mit verbundenen Augen in ein anderes Auto und führt ihn in ein Haus, in dem er sich, immer noch mit verbundenen Augen, auf den Boden setzen muss. Am Abend wird ihm alles, auch die Kleider, weggenommen. Er bekommt andere, bleibt weiter gefesselt und mit verbundenen Augen. Er betet zu Gott um Kraft.

Auf diese Weise haben die 1,5 Jahre Geiselhaft begonnen, immer wieder auch mit verbundenen Augen und gefesselt. Schon sehr bald machen die Entführer Fotos von ihm. Später auch Videos. Ohne verbundene Augen. Er wird dabei gezwungen, den Heiligen Vater, den Bischof, die indische Regierung um Hilfe zu bitten. Auf einem Stück Papier steht jeweils das Datum – z.B. einmal 27. Dez. 2016. „Das war die einzige Art, wie ich ab und zu wusste, was für ein Datum war.“

Einmal wird beim Video so getan als würde er gefoltert. Tatsächlich haben sie nie Hand an ihn gelegt. Ist es weil er eine wertvolle Geisel ist? Weil er ein Priester ist? Oder weil so viele für ihn gebetet haben? Der Pater hat keinen Zweifel: Es waren die Gebete!
„In diesen 557 Tagen wurde ich an fünf bis sechs verschiedene Orte gebracht. Einmal davon in einem Ambulanzwagen, liegend, mit einer Burka, quasi als Patientin verkleidet.“ Am letzten Ort bleibt er ca. ein Jahr. „Ich war nie in einem Gefängnis, bekam auch immer genug zu essen.“ Ab und zu darf er sich – einmal auch seine Kleider – waschen.

„Wie ich meinen Tag verbracht habe, werde ich immer wieder gefragt. In der Früh habe ich Gott für den Tag gedankt, den Angelus, das Vaterunser und den Barmherzigkeits-Rosenkranz gebetet: für alle Helfer, die an diesem Tag ermordet worden sind und für die 5 Schwestern.“ Täglich betet er für alle Verwandten, den Hl. Vater, seinen Bischof, die Mitbrüder – und für alle, die ihm in den Sinn kommen, auch für die Geiselnehmer. „Drei oder vier Rosenkränze und die Stationen des Kreuzweges habe ich meditiert und Jesus spirituell um Brot und Wein gebeten, um die Messe dann im Geist zu zelebrieren. Alle Gebete für die Messe kannte ich auswendig.“

Das Gebet bestimmt den Tagesablauf
und verwandelt ihn. „Die Gebete gaben mir Kraft und bestärkten mich, im Glauben stark zu bleiben. Auch wenn die vier Wände, die mich umgaben, meinen Körper eingeschlossen hielten, war mein Geist immer ganz frei. Wer könnte mich am Beten, am Reden mit meinem Herrn, hindern?“ lächelt er.

Welche Selbstdisziplin und wie viel Vertrauen in Gottes Gegenwart sprechen aus diesen Worten!
Da ein Arzt einmal seinen hohen Zuckergehalt im Blut festgestellt, gibt man ihm einige Zeit ein Medikament, jedoch kein Insulin. Der Beipackzettel des Medikaments ist die einzige Lektüre, die er in diesen 557 Tagen hat.

Eines Tages, es dämmert noch, hört er Schritte. Das ist ungewöhnlich, da die Entführer meist später nach ihm sehen. Einer von ihnen sagt, er bringe gute Nachricht. „Wir schicken dich zurück nach Hause, nach Kerala. Geh dich schnell waschen und umziehen.“ Dann muss P. Tom eine Burka überziehen. Es folgt eine mühsame Fahrt über holprige Straßen. Dann heißt es: Retour, die Forderungen der Entführer waren offenbar nicht erfüllt worden. In derselben Nacht jedoch geht es wieder los. Und diesmal wird er zu Mittag in ein anderes Auto übersiedelt, wo man ihm die Verschleierung abnimmt. Der Fahrer vergleicht sein Gesicht mit einem Foto auf seinem Handy – und plötzlich ändert sich die Atmosphäre. Der Fahrer lächelt, gibt dem Pater das Telefon und dieser hört nun seit langem einen richtigen, schönen englischen Satz. „Keine Angst. Sie sind in sicheren Händen.“

Jetzt ist die Unsicherheit, in der er sich seit dem Aufbruch aus seinem Gefängnis befand, zu Ende. Hatte er nicht die ganze Zeit den Psalm 140 gebetet? „Rette mich, Herr, …“ Nun hatte der Herr geantwortet.

Mit zwei Begleitwagen geht die Reise bis in die Nacht hinein weiter in Richtung Freiheit. Um 3 Uhr 30 am 12. September 2017 hört er die Worte: „Willkommen in Oman!“ „Nun wusste ich mit Sicherheit dass ich frei war.“

In einem Camp wird er kurz untersucht, dann geht es per Helikopter in die Hauptstadt Omans, nach Muscat. Man sagt ihm, der Sultan von Oman habe seine Befreiung bewirkt. Im Interview nach der Ankunft in Muscat dankt P. Tom: „Ich danke Gott, dem Allmächtigen und Oman’s Sultan Qabood bin Said für die Sicherung meiner Freilassung. Ich danke all meinen Brüdern und Schwestern und allen Verwandten und Freunden, die für mich gebetet haben.“

Neu eingekleidet geht es weiter nach Rom. Überall große Freude. Im vatikanischen Krankenhaus wird er genau untersucht und bestens versorgt. Highlight sind die emotionalen Treffen mit Papst Franziskus, der ihm die Hände küsst und umarmt, sowie mit Benedikt XVI.. Bei einem Telefonat mit der überlebenden Schwester – einer der Entführer hatte ihm schon von deren Überleben berichtet – erfährt er, dass sie durch ein Wunder überlebt habe. In einer Art Vision hatte sie gesehen, wie ein großes weißes Tuch sie einhüllt. Obwohl die Bewaffneten mehrmals in den kleinen Kühlraum kommen, in den sie geflüchtet war, dort die Kühltruhen öffnen, sehen sie die Schwester nicht – als wären sie blind.
Zurück in Indien gibt es viele Begrüßungsfeiern, wohl die schönste in seinem Heimatort mit Familie, Freunden und der Bevölkerung.

Ob er je bereut habe, wieder in den Jemen zurückgekehrt zu sein? „Nein! Nicht eine einzige Sekunde. Diese Erfahrung hat mich gestärkt. Gott hat immer einen Plan für unser Leben. Mir ist bewusst, dass meine jetzige Mission darin besteht zu bezeugen, dass der lebendige Gott unsere Gebete hört, dass Er unser ganzes Leben hindurch immer an unserer Seite geht und uns mit Seinen Gnaden stärken möchte.“

P. Tom kann das wahrlich bezeugen: Er hatte in all dieser Zeit „keine Depressionen, keine Albträume, keine Ängste, keine Zusammenbrüche. Ich konnte immer schlafen. In den Zeiten meiner Gefangenschaft erkannte ich: Ich war verwundbar aber nicht besiegt. Ich war ängstlich, aber nicht verzweifelt. Ich hatte Sorgen, aber verlor nie das Vertrauen in Seine allmächtigen Hände.“ Den Entführern hat er vergeben, so wie Christus es tat, der Seinen Feinden vergeben hat.

Übrigens: Mit seinem Hals ist alles in Ordnung. Dass er ohne Insulin – er muss jetzt viermal täglich spritzen – und ohne Medikamente gegen den hohen Blutdruck so gut überlebt hat, ist wohl auch ein Wunder.


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