Skat und Theologie, ein Grand mit Vieren oder Null-Hand?

11. Mai 2020 in Kommentar


Magnus Striet würde sich eher für die Nullvarianten, d. h. theologisch für paralysierende, gegen affirmative Vernunft und Gläubigkeit entscheiden, Benedikt XVI. dagegen im Vergleich für einen Grand oder ein Farbenspiel. Eine Satire von Helmut Müller


Vallendar (kath.net) Was das heißt, ist gerade wieder offensichtlich geworden: Magnus Striet antwortet als erster Theologe schon am Mittwoch auf katholisch.de zu der am Montag erschienenen Biographie über den Papa emeritus von Peter Seewald. Das ist natürlich nicht weiter schlimm, wenn es nicht in der bewährten „sprungbereiten Feindseligkeit“ geschehen wäre. Zu einigen Punkten:

Striet stört sich am Titel Papa emeritus, der historisch noch nie vorgekommen sei und schmiedet gleich noch ein Gegenargument für andere historisch zweifelhaft oder gar nicht bezeugte Ämter (z. B. zu dem der Diakonin, Priesterin). Ihre historische Nichtexistenz könne dann „kein normatives Argument“ sein, ein solches Amt nicht neu zu schaffen. Denn historisch wäre ein Papa emeritus ja auch nicht bezeugt, wäre aber von Benedikt geschaffen worden, mit dem Hinweis, der mit der Moderne fremdelnde Emeritus wäre dem „Kirchenvater der Moderne“ Kant gefolgt, hätte sich aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“ befreit und gegen alle Tradition Neues kreiert. Einmal davon abgesehen, dass Papa emeritus und ein Weiheamt von ganz anderer Kategorialität sind, wollte Benedikt in seiner Entscheidung wohl den Petrusdienst nicht bloß als funktionales Amt verstanden wissen, sondern als ein essentielles, d. h. er wollte den Petrusdienst, ohne aktive Funktionen und Amtsautorität als Papa emeritus bloß verlängern. Das aktive Petrusamt mit Amtsautorität sollte dadurch nicht beschädigt werden. Gebet und Schweigen sollten zu Grundvollzügen dieses Petrusdienstes werden.

Wenn man der Person, dieses so verstandenen Petrusdienstes, nicht in „sprungbereiter Feindseligkeit“ begegnet, freut man sich einfach so wie ich, dass diese Person über Schweigen und Beten hinaus auch redet und schreibt und das besondere Charisma dieser Person weiter in der Kirche wirken kann, jetzt jeder Amtsautorität entkleidet und vielleicht prophetisch wirkend? Warum freut man sich nicht darüber? Nun wird es satirisch.

Magnus Striet liebt in der Theologie offensichtlich die Nullvarianten wie manche Skatspieler im Skat. Das Nullspiel ist bis 23 reizbar, Nullhand bis 35, Null-ouvert bis 46 und wenn das Blatt es hergibt, Revolution bis 96. Für Nichtskatspieler bedeutet das, wie bei Nietzsche die „Umwertung aller Werte“, und zwar Stück für Stück, wie man beim Skatspiel reizt, und wenn man ein günstiges Blatt auf der Hand hat sogar bis 96 reizen kann. Dann spielt man Revolution. Jetzt wo kirchliche Autorität am Boden liegt, römische Lehramtsabstinenz herrscht, Covit 19 bischöfliche Autorität noch weiter marginalisiert hat, ist die Zeit für ein Spiel mit Nullvarianten prädestiniert. Man kann sogar das Höchste reizen bis 96, nämlich Revolution. Niemand wird wohl mit einem Farbenspiel dagegen halten können und wollen in der gegenwärtigen kirchlichen Situation. Striet ist in dieser Weise ein gewiefter „Skatspieler“. D. h. theologisch gewendet in einer Hermeneutik des Verdachts „reizt“ er wie folgt, allerdings schon seit Jahren: Farbenspiele wie gläubige Vernunft, Dogmen, sakramentale Ämter usw. können in der bundesrepublikanischen Situation (weltweit schon) kaum gereizt werden. Er reizt deshalb Nullvarianten wie folgt:
• Gläubige Vernunft steht im Verdacht bloß blauäugig zu sein.

• Dogmen sind ganz und gar historische Konstrukte, der jeweiligen Zeit verdankt.

• Alle Ämter dürfen nicht letztlich sakramental legitimiert sein, sondern durch flache Hierarchien demokratisch, das ist man der Neuzeit schuldig.

• Moderne Gesellschaften berufen sich nicht mehr auf "kulturtranszendente Autoritäten", aber auch nicht mehr auf das Naturrecht, obwohl es Hebammendienste für die Menschenrechte geleistet hat und unser Grundgesetz ohne es, nicht so geworden wäre. Viele Theologen haben die Beschäftigung mit ihm für ein Linsenmus verkauft, um den Stallgeruch katholisch zu sein los zu werden.

• Das Evangelium ist ein orientalisches Schriftstück, soweit es nicht mit neuzeitlicher Vernunft auszuleuchten und legitimierbar ist.

• Es wäre gut gewesen, wenn Jesus Kant gekannt hätte oder wenigstens die Evangelisten und Paulus, dann hätte man heute nicht so viele Probleme mit diesen orientalischen Texten.

• Es gibt keine Ursünde, sondern schon viel ursprünglicher ein irgendwie verkorkstes Schöpfungswerk (des Vaters), das der Sohn auch wieder nicht ganz zurecht biegen kann. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb Striet, wenn die Rede auf Gott kommt, in Endlosschleife sagt, „wenn es ihn gibt“.

• Die Vernunft ist theoretisch (in ihrer Erkenntniskraft) irgendwie ohnmächtig, dafür aber praktisch (ethisch) um so mächtiger. Was heißt das? Aus der Schöpfung lässt sich nichts herauslesen, aus der Natur auch nicht, nur quantititative Fakten, wie sie die Naturwissenschaften liefern. So wird man als Theologe den Arbeitgeber, den Schöpfergott los, wie der Zauberlehrling den Zauberer. Die Kirchen haben es einem in der letzten Zeit überdies als Sachwalter Gottes auf Erden leicht gemacht, sie nicht mehr Ernst zu nehmen. Jetzt kann mit praktischer Vernunft freischaffend mit den von den Naturwissenschaften gelieferten Fakten hantiert werden. Genderstudies sind da am weitesten fortgeschritten. Ein Extrembeispiel: Jüngst ist in Großbritannien eine Transfrau (anatomisch wohl ein „Biomann“) verurteilt worden, „die“ eine „Biofrau“ mit „ihrem“ (!) Penis, so hieß es in der Urteilsverkündigung, vergewaltigt hatte. So viel Zauberlehrling ist wohl Striet auch wieder nicht, dass er da nicht den Kopf schütteln würde.

• Aber wenn man die theoretische Vernunft für teleologisch blind erklärt, macht die praktische, wenn sich Lobbyisten ihrer bemächtigen, was sie will. Nun könnte man sagen: Binden wir sie in freien Diskursen ein, demokratisch legitimiert. Eine solche, so eingebundene, hat aber in freien Wahlen immer mal wieder autokratische Personen, wenn nicht sogar Idioten gewählt. Das möchte ich nicht weiter spezifizieren. Es gibt eben auch in „freien“ Gesellschaften, Machtblöcke, Lobbyisten, Pressekartelle, Internetportale, Kapitalisten, Youtuber, Influencer, Ideologien von links bis rechts. Kommt da der Zauberlehrling weiter, wenn er alles, mit Max Weber in der Moderne, selbst den Zauberer entzaubert hat? Sind Theologen nicht dabei, Gott durch den Popanz Moderne zu ersetzen? So sieht Selbstsäkularisierung aus, wenn der Zauberlehrling Freiheit völlig autonom ohne jeden Bezug auf den Zauberer definiert!

• Ich will jetzt nicht Striet als unbedarften Zauberlehrling beschreiben, dafür ist er zu klug. Aber werden nicht die zu solchen, die ihm folgen, weil er so „modern“ denkt und er Freiheit nicht mehr vom Evangelium her und die dritte Vaterunserbitte berücksichtigt, sondern neuzeitlich von Kant über Fichte zu Nietzsche und sich so wie Letzterer in seiner Definition von Freiheit vollständig von Gott löst?

Genau das heißt es, im Skat auf Theologie gewendet, Revolution spielen und bis 96 zu reizen. Aber ein Spiel mit vier Buben und nicht mal aus der Hand, kann man bis 120 reizen und damit Revolution überbieten. Peter Seewald hat in seiner Biographie über Benedikt XVI jemanden beschrieben, der seit seiner Antrittsvorlesung in Bonn 1959 mit dem Thema „Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen“ theologisch immer Farbenspiele gereizt hat. In allen Skatrunden hat er wohl keine Nullvarianten gereizt und sicher auch manchen Grand-Hand gespielt. Er hat vorrangig wie Augustinus auf gläubige Vernunft (credere) gesetzt und „gereizt“ und wie dieser eine kritische (intelligere) hinterhergeschickt. So hat er Leichtgläubigkeit (credulitas) vermieden. Credulitas heißt bei Augustinus nämlich Glauben ohne Vernunft. Benedikt hat Vernunft vorwiegend affirmativ nicht paralysierend eingesetzt.

Und zum Schluss: Striet hat in seiner „sprungbereiten Feindseligkeit“, in diesem imaginären Skatspiel, auch ein wenig geschummelt, wie so viele andere auch, wenn er behauptet, vor allem neuen Erkenntnissen der Humanwissenschaften zu folgen. Im Hinblick auf gleichgeschlechtlich Liebende gibt es keine essentiell neuen Erkenntnisse, nur kategoriale. Einmal davon abgesehen, dass Striet essentielles Denken als überholt ansieht. Die ethischen Entscheidungen sind also Entscheidungen der praktischen Vernunft, nicht bloß Umsetzungen empirischer Erkenntnisse. Das weiß Striet so gut wie kein anderer. Hier hat er nämlich geschummelt und den Nimbus der modernen Humanwissenschaften unehrlicher Weise als Trumpfkarte ausgespielt. Wenn also gleichgeschlechtlich Liebende in ihrer Liebe essentiell unfruchtbar sind, ist das menschlich gesehen keine Bagatelle und keine neue Erkenntnis der modernen Natur- und Humanwissenschaften. Guido Westerwelle war so ehrlich gewesen zu sagen, dass er darunter leiden würde. Zugegeben nicht jeder leidet darunter, auch manche betroffene Heterosexuelle nicht. Es bedeutet, sich zwar einer Herkunftsfamilie verdanken, aber nicht aus natürlicher Kraft selbst eine eigene Familie biologisch gründen zu können. Das ist für viele ein schweres Schicksal. Heterosexuelle teilen dieses Schicksal nur in wenigen Fällen und nicht ausschließlich. Aus der Natur des Lebendigen, natürlich auch des Humanen, lässt sich Fruchtbarkeit ohne weiteres mit theoretischer Vernunft als natürlich erkennen. Unfruchtbarkeit ist wie Farbenblindheit beim Menschen naturwüchsig, nicht natürlich, wenn auch ungemein schwerwiegender. Robert Spaemann hat Zeit seines Lebens dafür plädiert, dass diese Differenz zwischen Naturwüchsigkeit und Natürlichkeit erkennbar ist. Er hat auch hier die Vernunft eingebracht und gesagt: Das Natürliche ist das Vernünftige und das Vernünftige das Narürliche. Benedikt XVI. ist ihm darin gefolgt. Gleichgeschlechtlich Liebenden tut man theologisch keinen Gefallen, wenn man ihnen das Schicksalhafte ihrer Form des Liebens verschweigt oder kleinredet. Wie dann damit ethisch umzugehen ist, ist noch einmal eine eigene Überlegung wert, jedenfalls nicht Gegenstand einer Satire.

Im Skatspiel werden Nullvarianten wertfrei gespielt. Ich spiele sie sogar gerne. Aber in der Theologie – und da bin ich wohl mit Magnus Striet einer Meinung, zwar aus anderen Gründen, hinkt dieser Vergleich.

kath.net-Buchtipp:
Zeitgerecht statt zeitgemäß
Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist
Von Helmut Müller
Hardcover, 244 Seiten
2018 Bonifatius-Verlag
ISBN 978-3-89710-790-8
Preis Österreich: 15.40 EUR

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