„Der nächste Papst“: Welchen Herausforderungen muss er sich stellen?

5. Juli 2020 in Buchtipp


Papst-Biograf George Weigel entwirft in seinem neuen Buch das Idealbild eines Papstes. Buchtipp von Martin Bürger.


Illertissen (kath.net)

Der US-amerikanische Publizist George Weigel, der sich durch seine monumentale zweibändige Biografie von Papst Johannes Paul II. in der ganzen katholischen Welt einen Namen gemacht hat, begibt sich mit seinem neuen Buch „Der nächste Papst“, das soeben bei Media Maria zeitgleich mit dem englischen Original auch in deutscher Sprache erschienen ist, nur scheinbar auf dünnes Eis. Denn ist es nicht eigentlich makaber, sich schon jetzt, wenn Papst Franziskus möglicherweise noch viele Jahre als Nachfolger des heiligen Petrus vor sich hat, über den nächsten Papst Gedanken zu machen – gar das Bild eines idealen Papstes zu entwerfen? Keineswegs! Einerseits sind auch Päpste nur Menschen, und entsprechend wird kein Papst jemals perfekt sein. Andererseits ist es gut, ein Ideal vor Augen zu haben, und zwar auch für Laien, Ordensleute, Priester und Bischöfe, die im vorliegenden Buch viele Anregungen auch für die eigene Berufung in der Kirche finden.

 

Übrigens kritisiert Weigel keinen der letzten Päpste – weder Franziskus noch Benedikt XVI. noch Johannes Paul II. Nichtsdestotrotz kann der aufmerksame Beobachter römischer Zustände und Verlautbarungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten wahrnehmen, wo Weigel gerade mit Papst Franziskus nicht ganz zufrieden ist. So müsse der nächste Papst sowohl „die umfangreiche Autorität seines Amtes als auch die Grenzen zu erkennen, innerhalb derer diese Autorität ausgeübt werden muss“. Daher habe er „ernsthafte und respektvolle Fragen und Kritiken aufzugreifen und zu beantworten, die von jenen aufgeworfen werden, die sich mit ihm um die Kirche sorgen und sich für sie verantwortlich fühlen – in erster Linie seinen Brüdern im Bischofsamt, die, wenn nötig, den Mut aufbringen müssen, für ihn dasselbe zu tun, was Paulus, wie er selbst im Galaterbrief bezeugt (vgl. Gal 2,11), für Petrus getan hat: ihn brüderlich zurechtzuweisen“. Zweifellos handelt es sich hier um eine Anspielung auf die Dubia mit kritischen Nachfragen zur nachsynodalen Apostolischen Exhortation Amoris laetitia, die von vier Kardinälen verfasst wurden, darunter der deutsche Kardinal Walter Brandmüller und der mittlerweile verstorbene ehemalige Erzbischof von Köln, Kardinal Joachim Meisner.

 

Die Ratschläge, die das Petrusamt an sich betreffen, sind wertvoll: Der Papst solle, um zu zeigen, „dass er keinem irdischen Souverän unterworfen, sondern selbst ein Souverän eigenen Rechts ist“, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgeben. Er müsse sich bewusst sein, dass er immer als Papst handelt, und entsprechend Selbstdisziplin an den Tag legen, sich nicht immer und überall zu jedem Thema zu äußern, gerade wenn es sich lediglich um eine persönliche Meinung handelt. Unabhängig davon, wo der nächste Papst wohnt – ob im vatikanischen Gästehaus wie Papst Franziskus oder im Apostolischen Palast wie Papst Benedikt und seine Vorgänger – müsse er „im Austausch mit vielen unterschiedlichen Personen“ stehen und sich nicht nur auf die offiziellen Kanäle der Kurie verlassen.

 

Analog gilt dies für Weigel auch dann, wenn es um Bischofsernennungen geht. Er fordert, sich nicht nur auf die Vorschläge vatikanischer Behörden zu verlassen, sondern auch „den Kreis derjenigen Personen zu erweitern, die vor der Nominierung eines Kandidaten zum Bischofsamt konsultiert werden“. Gegenwärtig „werden im Nominierungsprozess bei den besagten Konsultationen oft in erster Linie oder sogar ausschließlich Bischöfe zurate gezogen. Das ist ein Fehler, der zu schwerwiegenden Problemen in der Kirche geführt hat und die der nächste Papst berichtigen sollte.“ Weigel liefert einige konkrete Vorschläge, etwa die Einbeziehung von überzeugt katholischen Laien vor Ort, die den Kandidaten etwa jahrelang als Pfarrer erlebt haben. Wie genau eine solche Konsultation aussehen könnte, muss der nächste Papst aber wohl erst ausprobieren. Festzuhalten bleibt mit Weigel: „Päpste tun vielerlei, aber es gibt nur zwei Dinge, die ein Papst tun muss. Er muss Bischöfe ernennen oder ihre Wahl durch die Synoden der katholischen Ostkirchen bestätigen, weil er allein die Autorität dazu besitzt. Und er muss die Botschafter von Staaten empfangen, zu denen der Heilige Stuhl umfassende diplomatische Beziehungen unterhält, weil er vertraglich dazu verpflichtet ist. Von diesen beiden Aufgaben ist die Ernennung von Bischöfen die größere und wichtigere. Das muss der nächste Papst beachten.“

 

Erfreulich ist, dass Weigel die Klarheit der Lehre betont, die der nächste Papst vertreten muss. Im Kapitel zur Ökumene und zum interreligiösen Dialog charakterisiert er „das Bemühen um die Einheit der Christen als ein Streben nach der Einheit-in-Wahrheit“. Und ein interreligiöser Dialog sei insofern zu fördern, als er „auf der Wahrheit basiert“. Daher müsse der nächste Papst „den in religiöser Hinsicht ‚anderen‘ […] mit Respekt gegenübertreten, der auf eine beiderseitige Klärung der Wahrheit ausgerichtet ist, und gleichzeitig unverbrüchlich an den Wahrheiten festhalten, die zu bewahren ihm aufgetragen ist.“

 

Weigel ist bekanntermaßen ein großer Freund des Zweiten Vatikanischen Konzils. Immer wieder beruft er sich in „Der nächste Papst“ auf die Texte dieses Konzils. Leider fordert er vom nächsten Papst keine explizite Klärung der problematischen Textstellen, etwa zur Religionsfreiheit. Immerhin haben aufrichtige katholische Theologen, denen man keineswegs vorwerfen kann, die Lehre der Kirche entstellen zu wollen, unterschiedliche und mitunter sogar widersprüchliche Interpretationen des Dokuments zur Religionsfreiheit vorgelegt. Deutlich wird die tatsächliche Existenz problematischer Textstellen auch daran, dass die Glaubenskongregation erst 2007 eine Aussage der dogmatischen Konstitution Lumen gentium, die in den Jahrzehnten zuvor für viele Diskussionen gesorgt hatte, offiziell erklärt und kommentiert hat.

 

„Jede echte katholische Reform ist eine Rückkehr zur ursprünglichen ‚Gestalt‘ der Kirche, die Christus selbst ihr gegeben hat“, schreibt Weigel. „Im Zentrum dieser ‚Gestalt‘ der Kirche steht der große Missionsauftrag, hinauszugehen und alle Völker zu Jüngern zu machen.“ Auch wenn Laien immer wieder die Initiative ergreifen, auch wenn Priester in ihren Pfarreien und Bischöfen in ihren Diözesen immer wieder in diesem Sinne handeln – alle Glieder der Kirche schauen, mehr denn je, auf den Papst als Anführer der Christenheit. Ein guter und starker Papst kann in der Kirche viel zum Guten bewegen. Es ist zu hoffen, dass der nächste Papst mindestens in weiten Teilen dem von Weigel entworfenen Ideal entspricht. Über Details mag man sich streiten, denn – wie gesagt – kein Papst ist perfekt.

 

 

Bibliografische Informationen:

 

Weigel, George

Der nächste Papst

Das Amt des Petrus und eine missionarische Kirche

Media Maria

160 Seiten

ISBN: 978-3-947931-24-8

16,95 Euro


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