Eine Stimme mitten im Schweigen der Gläubigen

31. August 2020 in Aktuelles


Erzbischof Viganò: Initium sapientiae timor Domini. Wer die Gottesfurcht hat, will allein Gott gefallen und denkt nicht daran, Lehre oder Moral zu ändern, um den Menschen zu gefallen oder dem Irrtum zuzuzwinkern. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Die Kirche im Covid-Zeitlalter: sie lässt einiges erkennen, und nicht wenige Eiterbeulen werden sichtbar, so dass man sie nicht mehr ignorieren kann. Einige von diesen Beulen sind in den letzten Monaten auch aufgeplatzt. Monate des „Niedergangs“. So beeindrucken im Moment jeden Sonntag zum Angelus mit dem Papst die Bilder vom vereinsamten Petersplatz, die gleichsam in einer universalen Symbolik die neue Leere zeigen. Die Schafe sind weggegangen, und sie werden wohl nicht mehr wiederkommen, trotz aller Beschwörungsrhetorik vom „neuen Aufbruch“. Einige Theologen, Priester und Bischöfe wagten es sogar, sich in Aussagen zu versteigen, die die von der durch die angebliche Pandemie gebotene „Gelegenheit“ unterstreichen. Andere hingegen ergeben sich Phantasien (oder auch gewaltiger Ideologien) vom Aufbruch hinein in eine neue Ordnung aller weltlichen Dinge.

 

Nun, die Situation ist eine andere. Nach dem spirituellen und kirchlichen Lockdown – die italienischen Bischöfe sprachen in ihrem Hirtenwort davon, dass nur mehr rund 30 Prozent nach den restriktiven staatlichen Maßnahmen, die von der Hierarchie entweder schweigend oder gar enthusiastisch-positiv hingenommen wurden, wieder zurückgekommen sind. Die Sonntagspflicht – ad libitum. Was auffallend ist: keine Kinder, keine Familien.

 

So ist es nicht nur in Italien oder im Bistum des Papstes. Es dürfte sich um ein weltweites Phänomen der offensichtlichen „Nichtwesentlichkeit“ des Kirchlichen handeln, wohl eines der „größten“ Ergebnisse der Geschichte der Kirche der letzten sechzig Jahre. So schreibt die Internetplattform „CatholicSat“ auf Twitter: „Unsere Pfarrei hatte vor dem Covid ca. 900 Personen, die die Messe am Sonntag besuchten. Jetzt, auch bei doppelten Messen, beträgt die maximale Kapazität aufgrund von Beschränkungen 456 Personen. Dennoch ist die Zahl der Gottesdienstbesucher am Sonntag auf nur noch ~150 gesunken. Die Sonntagspflicht bleibt ausgesetzt. Wie viele von den 85%, die wir verloren haben, werden zurückkommen?“.

 

So etwas geschieht, wenn man die Gläubigen einfach alleine lässt, abhaut, die Kirchentür zunagelt und meint, es sei genug, wenn man mit einer WhatsApp-Meldung jetzt an einen eventuellen neuen Firmtermin im Oktober erinnert (nachdem jener im Mai ausfallen musste). Natürlich gab es Ausnahmen, Ausnahmen, von denen man dann gelegentlich in den Medien als Kuriosum lesen konnte. Aber ein Regelfall der Annahme der seelsorgerischen Herausforderung war selten. Den fand man hingegen vor allem im Bereich der Tradition, vielleicht auch deshalb, weil dort der Regelfall immer eine „Ausnahme“, ein Herausgehen aus dem Gewöhnlichen und ein Atmen im Höchsten ist.

 

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Erzbistum Mailand, die ambrosianische und größte Diözese der Welt. Mailand war in diesen Covid-Monaten wie die ganze Lombardei auf dramatische Weise betroffen, eines der Ansteckungszentren. Wenn man bei allem Lockdown, geschlossenen Schulen und Kindergärten vergisst: was geschieht in Kindern und jungen Leuten, die plötzlich aus ihrem sozialem Umfeld gerissen werden, die jede Form von Gewohnheit und Sicherheit verlieren? Das Fernsehen war in jener Zeit voller „Experten“, die Ärztezunft stand im Mittelpunkt, Abende wurden mit ihnen auf Sofas und Sesseln in den verschiedensten Talkformaten alle möglichen technischen Aspekte der angeblichen Pandemie abgefeiert. Was fehlte: waren die „Experten“ des „Humanum“. Eine gähnende Leere, und eine bestürzende Wortlosigkeit.

 

Ein Sechzehnjähriger aus Mailand – er wandte sich gerade im Hinblick auf die Glaubens- und Kirchenkrise mit einem kurzen und handgeschriebenen Brief an Erzbischof Carlo Maria Viganò. Der Erzbischof zeichnete sich vor allem in den letzen Monaten dadurch aus, dass er in Italien und im englischsprachigen Raum intensive Diskussionen um die Glaubensgründung, das Glaubensleben und die Geschichte der Gegenwart im Hinblick auf das II. Vatikanische Konzil anstieß. Und der Erzbischof antwortete dem Jungen:

 

Hochwürdigste Exzellenz,

 

Mein Name ist M. Ich lebe in der Provinz und Diözese von Mailand, ich wurde 2004 geboren.

 

Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, wenn auch auf dem Weg der Korrespondenz. Ich schreibe diesen Brief zunächst, um Ihnen zu gratulieren und Sie zu ermutigen, weiterhin „Ihre Stimme vernehmen zu lassen“ (in dieser Zeit die einzige „außerhalb des Chores“), um den Menschen den wahren katholischen Geist mit seiner integralen Lehre verständlich zu machen.

 

Vielleicht werden Sie, lieber Herr Erzbischof, überrascht sein, dass einem jungen Menschen meines Alters, der mitten in der nachkonziliaren Zeit geboren wurde, die alle zweitausendjährige Tradition der Heiligen Mutter Kirche am Herzen liegt. In Wirklichkeit sind es gerade die jungen Menschen, die die Tradition und die tridentinische heilige Messe lieben und wiederentdecken sollten, besonders nach dem Motu Proprio von Benedikt XVI., aber die Realität ist eine andere, viele sagen, dass Menschen, die zu jung sind, diese Dinge nicht verstehen, das stimmt nicht...!

 

Ich bin dort angekommen... die Wahrheit ist das Folgende: sie haben einfach andere Interessen und allen fehlt eine gesunde Gottesfurcht, der rechte Timor Dei

 

Wie Sie sagten, ist das dritte Geheimnis von Fatima vertuscht worden, aber die Muttergottes hat versprochen, dass am Ende ihr Unbeflecktes Herz triumphieren wird! (...)

 

Warten wir auf den Triumph der Heiligsten Herzen Jesu und Mariens, in der Gewissheit, dass, wenn all dies geschieht und Gott nicht eingreift, dann deshalb, weil er ein größeres Gut erlangt, das für uns unverständlich ist. Aber was können wir in der Zwischenzeit auf unsere eigene kleine Art und Weise tun?

 

Ich grüße Sie herzlich und danke Ihnen bereits jetzt für Ihre Antwort.

 

Ich bitte Sie demütig, mir Ihren bischöflichen Segen zu erteilen und für mich zu beten.

Gelobt sei Jesus Christus!

 

M.

 

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Liebster Massimo,

 

Ich habe Deinen Brief erhalten, der mich wirklich beeindruckt hat. Er offenbart eine starke Persönlichkeit und noch mehr eine Klarheit der Ideen, die viele Erwachsene, darunter viele Kleriker und Prälaten, nicht haben.

 

Du hast den Kern des Problems mit einigen wenigen Zügen erfasst: die Krise, die die Kirche heute beunruhigt, ist darauf zurückzuführen, dass sie den heiligen „Timor Dei“ vergessen hat, der, wie der Psalmist lehrt, der erste Schritt der Weisheit ist. Initium sapientiae timor Domini. Es ist ein Vers aus Psalm 110, den wir bis zum Konzil sonntags bei der Vesper in unseren Kirchen widerhallen hörten.

 

Der heilige „Timor Dei“ ist, wie Du sicherlich weißt, eine der Sieben Gaben des Parakleten, dank derer die Gläubigen leben und handeln, indem sie sich ständig in den Augen des Herrn betrachten und danach streben, ihm mehr als der Welt zu gefallen, wie ein Kind, das der Liebe des Vaters entsprechen will, und nicht wie ein Untertan, der sich nicht beim Brechen des Gesetzes erwischen lassen will. Es ist das Bewusstsein von der Größe des Allmächtigen, von seiner Autorität, von seiner unendlichen Majestät: und von unserer Kleinheit, von unserer Pflicht, vor ihm niederzuknien, von dem Gehorsam, den wir ihm schulden.

 

Wer die Gottesfurcht vor ihm hat, will allein ihm gefallen und denkt nicht daran, Lehre oder Moral zu ändern, um den Menschen zu gefallen, oder dem Irrtum zuzuzwinkern: er wagt es nicht, die Liturgie der Kirche zu manipulieren, indem er das, was in ihr an die göttliche Majestät des Herrn der Heerscharen erinnert, annulliert, sondern er behütet sie mit Verehrung, weil auf dem Altar in unblutiger Form das Heilige Opfer wiederholt wird, das uns am Kreuz die Erlösung verdient hat. Wer die Furcht vor Gott hat, zittert bei dem Gedanken an den Skandal, den er den ihm anvertrauten Seelen zufügen kann, und um derer willen Unser Herr sein Blut vergossen hat. Diejenigen, die Gottesfurcht haben, sind entsetzt über die Vorstellung, ihn beleidigen zu können, indem sie im Namen des Dialogs die Götter der Heiden neben ihn stellen.

 

Und es stimmt, was Du sagst: wenn all dies geschieht und Gott nicht eingreift, dann deshalb, weil er daraus ein größeres Gut ableitet, das für uns unbegreiflich ist. In Wirklichkeit scheint es, dass der Herr uns uns selbst überlässt, aber genau in dem Moment, in dem der Irrtum die Wahrheit zu überwältigen scheint, in dem alles verloren scheint und die Hirten geflohen sind und die Herde den gefräßigen Wölfen ausgeliefert haben, in dem die Kirchen von den Gläubigen im Stich gelassen werden und die öffentliche Moral das Laster erhöht und die Tugend verurteilt, sieh an: da entstehen gottgeliebte Seelen, die mit ihrem Leben, mit dem stillen Beispiel guter Werke, mit Gebet und Opfer den göttlichen Zorn zurückhalten und neue Gnaden, neue Segnungen, neue undenkbare Wunder bewirken, zu denen nur der Allmächtige fähig ist.

 

Du fragst mich, was wir tun können, während wir auf den Triumph des Heiligsten Herzens Jesu und des Unbefleckten Herzens Mariens warten: wir können und müssen den heiligen „Timor Dei“ pflegen, in seiner Gegenwart leben, das unaussprechliche Wunder verkosten, mit dem unsere von der Wahrheit erleuchtete und von der Nächstenliebe entflammte Seele zum Tempel des Heiligen Geistes und zum Tabernakel wird, in dem die Heiligste Dreifaltigkeit sich niederlässt, um ihre Wohnung einzunehmen. Aus dem Leben im Zustand der Gnade bezieht die Seele die unentbehrliche Nahrung, um in der Heiligkeit zu wachsen, und je mehr sie in der Heiligkeit wächst, desto mehr entspricht ihr Handeln dem Willen Gottes.

 

Dass ist mein Wunsch für Dich, in der Gewissheit, dass dieses heilige Feuer, das Du in Deinem Herzen trägst, Deine Freunde erleuchten und sie mit der Liebe Gottes und zum Nächsten entflammen kann. Angesichts des Wunders junger, von Nächstenliebe brennender Seelen werden auch die verhärteten Herzen vieler Gläubiger und nicht weniger Kleriker von der Gnade berührt werden, und sie werden voll Furcht und zitternd in die Knie fallen, ihre Schuhe ausziehen und ihr Gesicht bedecken, wie Mose es vor der Majestät Gottes tat, die sich im brennenden Dornbusch verborgen hatte.

 

Möge Dich und Deine Familie, lieber Massimo, von ganzem Herzen mein väterlicher Segen erreichen.

 

+ Carlo Maria Viganò, Erzbischof

 


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