Hymnen-Hype und billiges Bashing – „Von der christlichen Lehre blieb bei Hans Küng nicht viel übrig“

9. April 2021 in Kommentar


„Gott sei Dank sitzt die echte Kongregation für die Glaubenslehre in Rom, nicht in deutschen Redaktionsräumen und Gemeindesälen, wo derzeit der Aufstand gegen Rom geprobt wird.“ Gastbeitrag von Jürgen Henkel


Selb (kath.net) „De mortuis nil nisi bene!“ – Über Tote soll man nur Gutes reden! Diese Anstandsregel gilt selbstverständlich auch für den jüngst verstorbenen Hans Küng, der sich über Jahrzehnte in seiner Rolle als Rebell, Kirchen- und Papstkritiker rundum wohlfühlte und zu seiner eigenen Katholischen Kirche wie zu den großen Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. stets ein mehr als gespaltenes Verhältnis hatte. Nur wenige Theologen und Intellektuelle haben mit ihren Meinungsäußerungen, Interviews und Büchern das deutsche öffentliche Meinungsklima so nachhaltig negativ gegen Rom, die Päpste und die Amtskirche geprägt wie Hans Küng. Möge er nun in Frieden ruhen!

Über Tote soll man nur Gutes reden! Man muss es dabei aber auch nicht so übertreiben, wie es der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing nun im Falle Küngs vorführt. Denn Heiligsprechungen sollten doch auf Heilige beschränkt werden. Wohltuend anders war da schon der Nachruf von Kardinal Kasper, der Größe und Grenzen des Verstorbenen klar benannte.

Der Schweizer Hans Küng wurde seit Jahrzehnten von den Medien als Papst- und Kirchenkritiker hochgejubelt. 1979 kam es zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Wobei das Etikett „Kirchenkritiker“ im deutschsprachigen Raum bei Theologen ja eher verkaufsfördernd wirkt. Küng lehnte die zentralen Dogmen des Christentums zur Christologie und Trinität ab, erkannte darin eine „Hellenisierung des Christentums“ wie schon weiland der liberale Kulturprotestant Adolph von Harnack. Und er entwickelte sich zu einem Synkretisten, der nicht nur mit katholischen Lehren, sondern mit unverzichtbaren Wahrheiten des gesamten christlichen Glaubens theologisch gebrochen hatte, wie jüngst der evangelische Kirchenhistoriker Wolfgang Wünsch in einer exzellenten Studie nachgewiesen hat. Küng brachte anderen Religionen mehr Achtung und Verständnis entgegen als seiner eigenen.

Von seiner Schweizer freiheitlichen Gesinnung beflügelt, nahm sich Küng von Anfang an das Recht zu „kritischer Katholizität“ und zum grundsätzlichen Widerstand gegen Lehre, Dogmen und Kirchenhierarchie heraus. Wobei er sich als Vorkämpfer gegen einen Typus des „überholten Katholizismus“ verstand, um zu einem „historischen Jesus“ und einer „Christologie von unten“ zu gelangen. Dies alles war intelligent begründet und suggestiv formuliert, aber inhaltlich auch nichts wirklich Neues unter jener Sonne, die der Allmächtige und Grundgütige auf seine Menschenkinder täglich herabscheinen lässt.

Von der christlichen Lehre blieb bei Küng nicht viel übrig. So forderte er, dass die Katholiken auf die Unfehlbarkeit des Papstes, die Evangelischen auf die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift und die Orthodoxen auf die Unfehlbarkeit der ökumenischen Konzilien verzichten. Besonders deutlich wird die Abkehr Küngs von Grundlagen des Christentums in seiner Theologie der Weltreligionen. Am Hinduismus gefiel Küng die „erstaunliche Vielfalt von Anschauungen, Formen, Riten ohne allgemein verbindliche Lehre“. Am Buddhismus lobte er Meditation und Schweigen als mystische Stufe, ohne entsprechende traditionsreiche Formen ostkirchlicher Spiritualität zu thematisieren (die ihm völlig fremd blieb), an den chinesischen Religionen die Ahnenverehrung als Modell gegen die westliche Todesverdrängung, obwohl es vergleichbare Rituale auch als katholisches und orthodoxes Totengedächtnis gibt. Die Religionsvermischung ging bei Küng schließlich so weit, dass er auch den Islam zum Heilsweg erklärte, den Koran als Gottes Wort sah und davon ausging, dass in der „Hebräischen Bibel“ und im Koran der eine selbe Gott rede. Gläubige Juden wie Muslime sehen dies wahrscheinlich anders.

Hans Küng würdigte und lobte alle Religionen außer seiner eigenen, deren Bekenntnis er relativierte und deren Traditionen, Lehre und System er konsequent ablehnte und aktiv bekämpfte. Dass die linkskatholisch geprägte Zeitschrift „Publik Forum“ Trauerflor für Hans Küng hisst, leuchtet ein. Worin aber liegt der Grund für die rühmenden Lobeshymnen wie von Bischof Bätzing, dessen ureigenste Aufgabe als Bischof neben der Weihe von Männern zu Priestern die Lehraufsicht ist (episkopé)?

Hype an Lobeshymnen

Küngs wichtigste Thesen sind allesamt heterodoxe Denkpositionen, die natürlich erlaubt sind, mit denen man sich aber auch außerhalb des eigenen Bekenntnisses bewegt. „Gut katholisch“ waren seine Positionen seit Jahrzehnten nicht mehr. Das alles ist nicht ehrenrührig. Fragen der Lehre sind keine Fragen der Ehre oder der persönlichen Integrität. In dem Bereich kann man Hans Küng höchstens eine gewisse Eitelkeit und Arroganz vorwerfen, wenn er etwa die kleinbürgerliche Herkunft Joseph Ratzingers gegenüber seiner eigenen aus dem gehobenen Bildungsbürgertum selbstgefällig abwertete.

Grundsätzlich darf jeder denken und glauben, was er will. Doch was für die Kirche und das Volk der Gläubigen als verbindlich und heilsnotwendig zu glauben gilt, legen nun einmal Papst, Kirche und Konzilien, die Heilige Schrift und die Bekenntnisse fest, nicht Unterausschüsse eines „Synodalen (Sonder)Wegs“ oder einzelne Theologen, und seien diese noch so brillant und genial. Dabei bewies die von Küng stets bekämpfte katholische Amtskirche durchaus Größe und entzog ihm nur die Lehrerlaubnis, sein Priesteramt durfte er weiter ausüben. Für den Hype an Hymnen auf Hans Küng besteht aus Sicht der christlichen Lehre und Kirche trotzdem kein Grund, eher zur Fürbitte um ein gnädiges Gericht – wie für alle Christen und Theologen. Er hat nämlich regelmäßig an den Grundfesten des Glaubens gerüttelt und ist gerade die Päpste höchst unfair bis gehässig angegangen.

Bischof Bätzing würdigt nun als oberster Hirte der Katholiken in Deutschland Hans Küng mit den Worten: „In seinem Wirken als Priester und Wissenschaftler war es Hans Küng ein Anliegen, die Botschaft des Evangeliums verstehbar zu machen und ihr einen Sitz im Leben der Gläubigen zu geben.“ Das ist wohl eine ziemliche Verdrehung der Tatsachen und der Botschaften Küngs. Dieses Lob sagt weniger über Küng als es über Bätzing selbst verrät. Und es ist eine schallende Ohrfeige in Richtung Rom. Wenn dem so wäre, hätte der Vatikan Küng niemals die Lehrerlaubnis entziehen dürfen. Aber Bätzing lobt wohl Küng, weil er dessen Positionen teilt, notfalls im üblichen Widerspruch zu Rom.

Wahrlich witzig wird es, wenn ausgerechnet der DBK-Vorsitzende Bätzing festhält: „Hans Küng hat es sich nie nehmen lassen, für seine Überzeugungen einzutreten.“ Richtig daran ist dass es bei Küng „seine Überzeugungen“ waren, die oft genug der kirchlichen Lehre entgegengesetzt waren. Wünschenswert wäre freilich, wenn es sich auch Bischof Bätzing und andere genauso „nicht nehmen lassen würden“, die katholischen Positionen der Katholischen Kirche mit Nachdruck zu vertreten, statt sich hiesigen gesellschaftspolitischen Strömungen und zeitgeistigen Stimmungen anzupassen und die ureigene Botschaft aus Angst vor medialem Gegenwind zu relativieren, etwa bei Fragen wie der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare oder der naturrechtlich wie schöpfungstheologisch abzulehnenden Gender-Ideologie. Welche Maßstäbe gelten denn hier? Muss man die Päpste und die Amtskirche so heftig kritisieren wie Küng es tat, um vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz derart gelobt zu werden?

Billiges Bashing

Dass es nicht nur fragwürdiges Lob, sondern auch billiges Theologen-Bashing gibt, führte kürzlich wiederum die Zeitschrift „Publik Forum“ vor. Dort wurden jüngst die beiden Theologen Elmar Nass und Dominikus Kraschl OFM Ziel einer Diffamierungskampagne in dem Artikel „Theologen nach Woelkis Geschmack“ (12.03.2021). Dem Sozialethiker Nass werden soziale Kälte und neoliberale Haltungen vorgehalten, beiden wird „Linientreue“ gegenüber der katholischen Lehre angekreidet. Gegenüber dem Kölner Erzbischof Kardinal Woelki steht der Vorwurf im Raum, sich hier mit der neuen Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) eine Kaderschmiede aufzubauen. Ihm gehe es darum, „einen kirchenfrommen Klerus heranzuziehen, also Priester, die treu die objektiven Positionen der kirchlichen Lehre vertreten“, wie der Autor larmoyant schwadroniert.

Na wenn das mal kein Vorwurf ist…: Katholische Professoren und Theologen lehren katholischen Studenten katholische Theologie, damit diese später im Priesteramt in ihren Pfarreien die Positionen der Katholischen Kirche kirchenfromm und glaubenstreu vertreten – und das auch noch an einer Hochschule für Katholische Theologie... Ausgesprochen wurde dieser präventive Warnhinweis vor so bösen glaubenstreuen Dozenten von dem evangelischen freien Journalisten und Publik Forum-Autor Christoph Fleischmann. Der schwingt sich hier zum theologischen Richter über gute und böse Theologie auf und scheint sich seines schnellen Urteils sehr sicher zu sein. Er persönlich hat das kirchliche Amt freilich gescheut und präsentiert sich selbst im Autorenporträt mit dem schönen Satz: „Nach dem Vikariat bei der Evangelischen Kirche in Westfalen wollte ich lieber journalieren als pfarrern.“

Beim „Journalieren“ statt „Pfarrern“ sollte die plumpe Meinungsmache aber nicht ganz zu Lasten von Niveau, Gründlichkeit und Objektivität gehen. Elmar Nass beispielsweise ist nachweislich kein finsterer Konfessionalist. Er hat viele Jahre an der evangelischen Wilhelm-Löhe-Hochschule der Diakonie Neuendettelsau in Fürth gelehrt, ist im internationalen ökumenischen Austausch auch mit der Orthodoxen Kirche engagiert und beim ökumenischen Institut „Ex fide lux – Deutsch-Rumänisches Institut für Theologie, Wissenschaft, Kultur und Dialog“ in Nürnberg aktiv eingebunden. Auch bei einer evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde aus Bayern war er schon als Referent bei einer Klausurtagung eingeladen.

Solche Informationen enthält der „Journalierer“ Fleischmann seinen Lesern vor. Wahrscheinlich weiß er dies selbst nicht, geschweige denn dürfte er Nass persönlich kennen. Einzelne ihm persönlich ungefällige Zitate reichen dem freien Journalisten freilich schon, um einen anerkannten Theologen wie Nass als rechten Reaktionär zu diffamieren. Vielleicht wäre ein Warnhinweis auf Nass‘ Büchern angebracht: „Vorsicht! Der Gesinnungs-TÜV warnt: Dieser katholische Theologe könnte wirklich katholisch sein und die Positionen der Römisch-Katholischen Kirche vertreten!“

Dass auch der Franziskaner Kraschl sein Fett abbekommt für seine Kritik am Gender-Schrecksprech und wegen seiner ablehnenden Haltung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die er immerhin mit dem Vatikan und allen orthodoxen Kirchen weltweit teilt, liegt auf der Hand! Auch er begeht für die deutschen Mainstream-Kongregationen in Medien und linken Kirchenkreisen den Fehler, als katholischer Theologe so verflixt katholisch und rechtgläubig zu sein. Gott sei Dank sitzt die echte Kongregation für die Glaubenslehre aber in Rom, nicht in deutschen Redaktionsräumen und Gemeindesälen, wo derzeit der Aufstand gegen Rom geprobt wird. Merke: Lob und Kritik für Theologen werden in Deutschland höchst ungleich verteilt! Kirchenkritiker werden gelobt, Glaubenstreue gemobbt. So einfach geht das, wenn das Weltbild stimmt!

Der evang.-luth. Theologe und Publizist Dr. Jürgen Henkel ist Gemeindepfarrer in Selb und Prof. h. c. an der Orthodoxen Fakultät der Babes-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj-Napoca in Rumänien.  
 
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Hans Küng in der Theologie der Religionen
Von der offenbarten dogmatischen Wahrheit zum interreligiösen Synkretismus
Von Dr. Dr. Wolfgang Wünsch
Vorwort von: Emil Jurcan
Taschenbuch, 364 Seiten
2020 Edition Hagia Sophia
ISBN 978-3-96321-007-5
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