Die große Flucht

12. April 2021 in Kommentar


Der Austritt aus der Kirche nimmt die Züge einer Massenflucht an. Es ist eine Vertreibung, die hausgemacht ist. Eine Kirche, die den Menschen nicht die Wahrheit verkündet, braucht niemand - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Rom (kath.net)

Der Austritt aus der Kirche nimmt die Züge einer Massenflucht an. Es ist eine Vertreibung, die hausgemacht ist. Eine Kirche, die den Menschen nicht die Wahrheit verkündet, braucht niemand.

Die Tendenz geht klar zum Kirchenaustritt. Das ist schon seit 50 Jahren so. Wer was auf sich hält, tritt aus. Schon zu Schülerzeiten in den 70er/ 80er Jahren war es ausgesprochen hip für die gewählten Vertreter linker Schülergruppen im Stadtschülerrat mal eben in der Sitzungspause vom Rathaus ins Standesamt rüber zu gehen, um fix aus der Kirche auszutreten. Mitglieder der Schülerunion waren das damals eher nicht, das sei an dieser Stelle betont. Man fand es lustig, geschahen diese Austritte doch hauptsächlich zu dem Zweck, die Eltern zu ärgern, die einem ab dem 14. Lebensjahr den Austritt aus der Kirche nicht mehr verwehren konnten.

Aus diesem Spaß wurde ernst. Im Zeitraum von 2016 bis 2020 ist die Anzahl der in Berlin jährlich aus der Kirche ausgetretenen Katholiken um 50% angestiegen. In anderen Regionen des Landes sieht es ähnlich aus. Berlin ist allerdings eine Stadt, in der die Kirchenzugehörigkeit im Alltag kaum eine Rolle spielt. Katholiken in der Hauptstadt (und nicht nur dort) bewegen sich innerhalb der Kirche im Spannungsfeld zwischen einem etablierten zumeist linken Spießertum und einer Existenz als kreativer Minderheit. Das ist eine nicht zu unterschätzende Dynamik. Diese führt eher nicht zum Austritt. Schon in den 50er- Jahren hat Madeleine Delbrêl die Katholiken in Ivry so ähnlich beschrieben, wie wir sie heute in Großstädten vorfinden.

Die Wanderungsbewegung junger Menschen vom Land in große Städte wird von vielen als Anlass für den Austritt angenommen. Das ist nicht nur in Berlin so. Dem „Mief“ des heimischen Dorfes/ der heimischen Kleinstadt entkommen, kann man sich endlich von der Kirche trennen, die einem schon lange nichts mehr zu sagen hat. Das mag eine Rolle spielen. Viele junge Menschen treten aus der Kirche aus, wenn sie das erste Mal die Kirchensteuer auf ihrer Gehaltsabrechnung finden. Das kann je nach Gehalt fünf bis zehn Jahre nach dem Berufseinstieg der Fall sein. So lange man für den Laden nichts zahlen muss, kann man ja drin bleiben. In den allermeisten Fällen ist der Kontakt ohnehin schon lange abgerissen, wenn er je bestanden hat. Darum wird im Grunde nur vollzogen, was innerlich längst passiert ist. So man nicht auf irgendeiner Beerdigung war, hat man seit der Erstkommunion, allenfalls seit der Firmung keine Kirche mehr von innen gesehen. Der Schritt zum Amtsgericht oder Standesamt ist dann nur noch der letzte Schritt in einer langen Folge.

Ursache und Anlass muss man daher auch beim Kirchenaustritt genau trennen. Die Ursache liegt immer in einer mehr oder weniger vollständigen Entfremdung von der Kirche. Dies passiert in den allermeisten Fällen über einen längeren Zeitraum. Damit einher geht ein grundständiges Unwissen über die Kirche und über den Glauben der Kirche. Würde die Kirche glauben, was manche glauben, dass sie es glaubt, so könnte man in der Tat nur seine Beine in die Hand nehmen und laufen. Dem katholischen Analphabetismus, der aus einem Konglomerat von unzureichender kirchlicher Sozialisation im Elternhaus und mehr als mangelhafter Glaubensunterweisung in Schule und Kirchengemeinde erwächst, wird durch den Konsum von Massenmedien noch weiter genährt. Die Fremdheit wächst in einen Zustand, der durch Dialog nicht mehr zu heilen ist und einen Verbleib in der Kirche schlicht unmöglich macht.

Wer glaubt denn nicht, dass die Kirche geglaubt habe, die Erde sei eine Scheibe? Und dann noch Galileo! Man weiß zwar nicht, worum es in dem Prozess ging, aber das ist egal. Die Erkenntnis, dass Galileo nicht auf den Scheiterhaufen verbrannt wurde, erschüttert zu tiefst. Man war sich so sicher. Doch was nützt es in der Vergangenheit zu stöbern. Humanae vitae lag so goldrichtig. Langsam dämmert es, dass die Pille keine wirklich gute Idee war. Hätte man bei den hormonellen Kontrazeptiva die gleichen Kriterien angelegt, wie bei dem Vakazin von Astra Zeneca gäbe es seit Jahrzehnten keine Hormonpille mehr. Das sei nur am Rande bemerkt. Unkenntnis über Sexualmoral, Bioethik, katholischer Soziallehre und vieles anderes, was für die menschliche Gesellschaft praktische Bedeutung hat, wird zum Drama, weil damit wesentliche Errungenschaften der freiheitlichen Gesellschaft untergehen. Schützen wir ungeborenes Leben nicht, schützen wir auch geborenes irgendwann nicht mehr. Mit den Alten und Kranken haben wir gerade begonnen, sie zum assistierten Suizid freizugeben. Unkenntnis darüber, warum die Kirche in konkreten Punkten so und nicht anders bewertet, entfremdet von den Werturteilen der Kirche und führt in den Irrtum und in die Katastrophe. Auch die oft gehörte These, der sexuelle Missbrauch in der Kirche sei ein Grund für den Austritt, trifft einfach nicht zu. Die Konfrontation mit dem Skandal kann und muss erschüttern. Die Austrittsreißleine zieht nur, wer innerlich schon weg ist.

Es steht eben nicht in jedem Falle böser Wille hinter einem Abschied von der Kirche. Es ist eine gelernte Entfremdung von den Wurzeln der Kirche. Tatsächlich geht es um den Kern, um die Mitte der Kirche. Wenn die Eltern, die Lehrer, die Katecheten und nicht zuletzt die Priester nicht mehr dafür sorgen, dass die Kinder Jesus Christus kennenlernen, ihm in den Sakramenten begegnen und seine Lehre (=die Lehre der Kirche) verinnerlichen, dann braucht man sich nicht zu wundern über junge Menschen, die aus der Kirche austreten und z.B. Abtreibung für eines der unveräußerlichen Grundrechte des Menschen halten. Wer den Massenexodus aus der Kirche stoppen will, wird dies nicht erreichen, indem er die Kirche geschmeidig an die Welt anpasst, wie es der synodale Weg von DBK und „ZdK“ versucht. Ohne eine echte missionarische Initiative, die den Menschen die Wahrheit des Evangeliums in Wort und Tat offensiv verkündet, wird der Exodus aus einer in die Bedeutungslosigkeit versinkenden Kirche in Europa weitergehen.

 

ER ist auferstanden! ER ist zurück! kath.net-Video-Blog mit Margarete Strauss

 


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