Wer bist Du vor Gott?

5. Mai 2021 in Jugend


Du musst nicht der Herrscher über jedes Chaos in Dir sein, lass mich Dir helfen, die Regale wieder gerade zu rücken und die Nägel festzuschlagen. Vor mir musst Du einfach nur Du sein. Ungeschönt, ganz radikal Du -Jugendkolumne von Magdalena Preineder


Wien (kath.net)

Hast Du Dich schon einmal mit einem Haus verglichen? Nicht mit irgendeinem Haus, sondern mit einem Haus, durch das Gott geht? Ich spreche gerade nicht von dem klassischen Bild des Tempels, sondern tatsächlich von einem simplen Haus, in dem Gott herumspaziert, Türen auf und zu macht, vielleicht ein paar schiefe Regale richtet und in dem er darauf wartet, dass Du – das ungeschönte Du – Zeit mit ihm verbringst.

Es war ein Sonntag als ich zugegebenermaßen während des Gottesdienstes kurz abgelenkt war und mein Blick über all die Menschen vor mir schweifte. All diese Messteilnehmer trugen Masken. Das war zwar inzwischen nichts Neues mehr und doch führte mich dieser Umstand zu einer Frage, die mein Herz durchdrang: Wer bist Du vor Gott?

Vielleicht haben Masken und Häuser auf den ersten Blick nicht so viel gemeinsam, aber auf den Zweiten umso mehr.

Während ich all die Menschen mit ihren Masken sah, musste ich unweigerlich daran denken, dass es einst eine meiner leichtesten Übungen war, vor vielen Menschen eine (diesmal im übertragenen Sinne) Maske zu tragen. Ich wollte nicht, dass man sehen konnte, wie es mir ging. Ich wollte nicht schwach erscheinen. Ich wollte nicht verletzlich sein. Ich wollte schön, angenommen und vor allem gut genug sein. Dazu setzte ich mir eine Maske auf.

Da stand ich nun in dieser Kirche und war mit der Frage konfrontiert, wer ich vor Gott bin. Ich begann mich zu fragen, ob es unter uns Messteilnehmern auch Menschen gibt, die vor Gott eine Maske tragen. Während ich selbst Wochen danach noch über diese Begebenheit nachdachte, kam mir das Bild des Hauses in den Sinn.

Wenn ich ein Haus wäre, durch das Gott geht, käme er früher oder später wohl an eine Tür auf der ein großes Schild prangt: „Zutritt verboten, hier herrscht mein Wille.“ Und Gott würde vor dieser Tür stehen bleiben, ganz genau wissend was sich dahinter verbirgt, dennoch meinen Willen respektierend und diesmal würde es sein Herz sein, das durchdrungen wird. Es wird durchdrungen von den Worten, die ich niemals geradeheraus an ihn richten würde, die diese verschlossene Tür aber mit sich bringt: „Hier brauch ich Dich nicht, lieber Gott.“

Und dabei ist es das genaue Gegenteil. Dabei ist es genau dieser Raum, wo ich ihn wohl am meisten brauche. Dabei ist genau das der Raum, wo Gott sein Zimmermanns-Können wohl besonders gut ausüben könnte. Denn genau das ist der Raum, von dem ich denke, dass ich ihn mit besonders großer Sorgfalt und Perfektion eingerichtet habe, während ich blind dafür bin, dass dieser Raum mit besonders viel Chaos gefüllt ist, da ich die Perfektion und die Schönheit – Gott– nicht eintreten lasse. Und dieser Raum ist die Maske. Hier muss ich mir die Frage stellen: Wer bin ich vor Gott? Wie trete ich vor Gott hin?

Dieser Raum, von dem ich nicht möchte, dass er von Gott betreten wird. Dieser Bereich, wo ich versuche meine Person vor Gott zu verbergen, ist es, der doch so gewichtig für meine Beziehung zu Gott ist. Denn hier entscheidet es sich: Bin ich bereit, die Tür zu öffnen und den Zimmermann all die schiefen und modrigen Möbel reparieren und meinen Blick für das wahrhafte Schöne – Gott selbst und seinen Willen für alle Bereiche meines Lebens – öffnen zu lassen? Bin ich bereit, die Maske abzulegen, wenn Gott vor mir steht? Ist mein Glaube groß genug, um mich ihm in meinem ungeschönten Sein zu zeigen und dann ebenso annehmen zu lassen?

Ja, wer bin ich also vor Gott? Diese Frage enthält für mich zwei Aspekte. Einerseits jenen, den ich soeben angesprochen habe – trete ich bewusst mit oder ohne Maske vor Gott, lass ich mich in meinem ungeschönten Sein anblicken? Andererseits stellt sich hier auch die Frage, ob mein Selbst- und Gottesbild in Übereinstimmung mit jenem der Bibel ist. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich setze mir auch hier manchmal eine Maske auf. Eine Maske, von der ich glaube, dass Gott sie mir aufsetzt, denn ich deklariere oft unbewusst meine Selbstwahrnehmung als die Wahrnehmung, die Gott von mir hat. 

Dabei ist sie das nicht. Sie ist meine Wahrnehmung und meine Aufgabe ist es zu prüfen, inwieweit mein Menschen- und Gottesbild dem der Bibel entspricht. Sieht Gott mich wirklich so, wie ich mich selbst sehe? In meinem Fall wohl nicht, denn dann würde er hauptsächlich das Schlechte in mir sehen. Dann würde er meine Talente und Fähigkeiten gering achten. Dann würde er sich ab und an denken, dass mein Leben keinen Unterschied für diese Welt macht. Dann hätte er mich schon längst abgeschrieben und einen Stempel aufgedrückt: „Ewigkeit? Für Dich unerreichbar.“

Das ist mein hartes Selbstbild. Ich erzähl Dir das, weil Du vermutlich auf den ersten Blick erkennen kannst, dass es weit davon entfernt ist, wie Gott den Menschen sieht. Er hat ihn aus Liebe geschaffen, ganz bewusst. Er hat Dich und mich mit Fähigkeiten ausgestattet, die Berge versetzen können. Er hat das Potenzial in uns angelegt, ein Leben zu führen, dass es wert ist, dass wir am Ende aller Tage mit ihm Mahl halten. Mein Bild von mir ist also nicht sein Bild von mir.

Das gilt es mir immer wieder in Erinnerung zu rufen, denn er möchte mein ungeschöntes Selbst sehen, jeden noch so chaotischen Raum in dem Haus, das ich bin, und er möchte dann eines zu mir sprechen: „Du bist schön, du bist angenommen und du bist gut genug – so wie du bist, ohne Maske und ohne Zutrittsverbot. Du musst nicht der Herrscher über jedes Chaos in Dir sein, lass mich Dir helfen, die Regale wieder gerade zu rücken und die Nägel festzuschlagen. Vor mir musst Du einfach nur Du sein. Ungeschönt, ganz radikal Du.“


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