„Ich stelle mir den hl. Joseph, den Zimmermann, inmitten der Handwerker von Notre Dame vor“

7. Mai 2021 in Spirituelles


Pariser Erzbischof Aupetit: Der hl. Joseph muss ausgesehen haben wie „die Handwerker, die unsere geliebte Kathedrale restaurieren“, „dieser aufrechte Mann, dem man vertrauen kann, der sich keiner großen Worte bedient“. Von Juliana Bauer


Paris (kath.net) Zum eigentlichen Festtag des Heiligen Joseph am 19. März, der seit dem Mittelalter besteht, geht es in den Küchen Italiens hoch her: die traditionellen Zeppole, feinste in Olivenöl gebackene Dolci, werden zu seinen Ehren hergestellt. Ein Brauchtum aus dem Festkreis von San Giuseppe, von Sankt Joseph, der neben San Antonio und San Francesco einer der beliebtesten und verehrtesten Heiligen in Italien verkörpert, dessen Verehrung aber auch über Jahrhunderte in den katholischen Regionen des deutschen Sprachraums in Nichts nachstand.

Der zweite Gedenktag von Sankt Joseph, der 1. Mai, ist reichlich jünger. Papst Pius XII. führte ihn im Jahr 1955 als Reaktion der katholischen Kirche auf die Arbeiterbewegung ein, ein Gedenktag, der die Würde der arbeitenden Menschen betonen soll. Seither wird vor allem das Berufs-Patronat des Heiligen, der seit 1870 zum Schutzheiligen der Kirche ernannt wurde, hervorgehoben: der Zimmermann, der der Patron der Handwerker und Arbeiter, insbesondere der Zimmerleute, der Schreiner und anderer mit Holz Schaffender ist, der zum Schutzheiligen der Menschen in Wohnungsnot wurde, der jedoch weiterhin auch der Patron der ehelos Lebenden sowie der Eheleute bleibt. In Anlehnung an letztgenanntes Patronat findet seit 2011 in Paris der „Marsch zum Heiligen Joseph“ statt, den die Pfarrei Saint-André de l’Europe jährlich als „Geistliches Rendez-vous für Männer, Ehemänner und Familienväter“ organisiert und, wie die Namensgebung der Pfarrei ausdrückt, einen Anstoß für Europa geben könnte – zumal Papst Franziskus am 8.Dezember 2020 mit dem Schreiben „Patris corde“ (Mit dem Herzen eines Vaters) ein Josephs-Jahr ausgerufen hat.

Die Pariser Pfarrgemeinde Saint-Joseph-Artisan (Zum Hl. Josef, dem Handwerker) feiert stets am 1.Mai ihr Patronat. Deren neogotische Kirche, im 10. Arrondissement gelegen, wurde Mitte des 19. Jahrunderts anstelle einer Kapelle der deutschen Einwanderer erbaut und hörte daher ursprünglich auf den Namen „Saint-Joseph-des-Allemands“ („Sankt Joseph der Deutschen“). Zum diesjährigen Patronat, auf den Sonntag, den 2. Mai nachverlegt, hielt kein Geringerer die Festpredigt als der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, der wieder, wie schon so häufig, mit einer außergewöhnlichen Homilie überraschte.

Der zu dem Festtag ausgesuchte Evangelientext war kurz (Matth.13,54-58). In einem knappen Hinweis wird darin der irdische Vater Jesu erwähnt und über seinen Beruf definiert: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“ So fragten die Bewohner Nazareths, als sie Jesus in der Synagoge lehren hörten. Die Sätze sind der Ausgangspunkt für Mgr Michel Aupetits Predigt.

„Er ist der Sohn des Zimmermanns!“ Die Frage münzt der Erzbischof in eine sichere Feststellung um. In die Feststellung, die gleich der Frage, das Erstaunen der Leute über die Weisheit und die Wunder Jesu untermauert und die weitere, ungläubige Frage impliziert, woher Jesus diese Weisheit nehme, als einfacher Sohn eines einfachen Mannes.

„Gibt es dann zu jener Zeit nicht die gleiche Verachtung für die mit den Händen Arbeitenden, wie wir sie in unserer heutigen Gesellschaft so stark empfinden?“ fragt Michel Aupetit weiter. Um seine Kritik an dieser Arroganz, die sich in inhaltlicher Leere dreht, anzufügen: „So viele Gelehrte, so viele intellektuelle Experten kommen, um uns mit ihrer wichtigtuerischen Geschwätzigkeit in den Nachrichtenkanälen zu überschütten und sich unaufhörlich zu widersprechen. Das Wort aber wurde Fleisch“, zitiert er dann den Evangelisten Johannes (Joh.1,14) und provoziert, die gesellschaftliche Arroganz fast aufspießend: „schlimmer noch, das Wort wurde Zimmermann.“ Um dann seine Zuhörer zu fragen: „Könnt ihr euch eine gute Pariser Familie vorstellen, deren Kinder die besten katholischen Schulen besuchen und die gerne möchte, dass ihr Sohn Zimmermann wird? Nein, es ist undenkbar, dass dieser keine Hochschule abschließt!“

An dieser Stelle geht Erzbischof Aupetit konkret auf den Vater Jesu ein: „Und doch ist Jesus in der Tat der Sohn des Zimmermanns, er ist sogar selbst ein Zimmermann. Was könnte auf dem Erdengrund prächtiger sein? Gott, der Vater, vertraute seinen Sohn einem bemerkenswerten Mann an. Keinem Debattierer abstruser Ideen oder einem Spezialisten für das Wort Gottes, einem Schriftgelehrten oder einem Pharisäer. Nein, er gab ihn jemandem in Obhut, der Dächer auf Häusern errichtet, um Familien zu schützen, um Familien ein Obdach zu schaffen.“

Michel Aupetit verdeutlicht mit diesem Wort die für den Menschen unabdingbar wichtige Bedeutung eines schützenden Hauses, das gerade auch durch das schützende Dach zum Schutz und zur Sicherheit wird. Nicht umsonst ist der hl. Joseph daher auch der Schutz-Patron der sich in Wohnungsnot befindenden Menschen, der „Senzatetto“, wie es die Italiener ausdrücken, der Menschen „ohne Dach.“ Der Pariser Oberhirte sieht hier die innere Verbindung von Josephs schöpferischem beruflichem Wirken für den Menschen, das dessen Charakter prägt, und seiner Fürsorge als Mensch, als Mann und Vater, in dessen Schutz Gott seinen Sohn wie auch dessen Mutter Maria stellt.

Daher ist es nur logisch, dass Michel Aupetit eine weitere Verbindung zu Joseph zieht: zu den Arbeiten auf den Dächern von Notre Dame, genauer auf den Dachstühlen, einem Arbeitsfeld, auf dem auch Joseph als Zimmermann hätte tätig sein können. Und Mgr Aupetit erzählt den Gläubigen: „Vor ungefähr zehn Tagen war ich mit dem Präsidenten der Republik und der Bürgermeisterin von Paris auf den Dächern der Kathedrale Notre-Dame. Wir haben uns mit den Handwerkern getroffen, die unsere geliebte Kathedrale restaurieren. Menschen voller Begeisterung, die es lieben, anonym an einem großartigen Projekt zu arbeiten, das über sie hinausgeht. Sie zeugten von der außergewöhnlichen Atmosphäre, die auf der Baustelle herrschte. Wie im Mittelalter wird keiner von ihnen seinen Namen auf einem Stein oder einem Rahmen hinterlassen, damit er der Nachwelt überliefert werden kann, wie es die Künstler machen, die oft mehr um ihren persönlichen Ruhm besorgt sind, als um die faszinierende Darstellung der Transzendenz.

Ich stellte mir den heiligen Joseph inmitten dieser Handwerker vor. Er muss wie sie ausgesehen haben, dieser aufrechte Mann, dem man vertrauen kann, der sich keiner großen Worte bedient. Ein Mann, dessen Schweigen bemerkenswert ist, dessen Gesten jedoch noch bemerkenswerter sind. Er empfängt das Wort des Engels mit Zuversicht und nimmt Maria und das göttliche Kind auf. Er beschützt sie, indem er sie nach Ägypten bringt, und tritt aus deren Gesichtskreis heraus, als das Kind ein Mann geworden ist, der seinen Auftrag erfüllen wird.“

Hier zeichnet Erzbischof Aupetit den Heiligen, wie ihn Matthäus mit einem einzigen Wort charakterisiert: als Gerechten (Matth.1,19). Als Erster wird er im Neuen Testament ein Gerechter genannt. Ein Gerechter, wie er an das Psalmwort erinnert: „Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum; er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon (Ps 92,12), der, ganz im jüdischen Verständnis nach Gottes Geboten, für Familie und Volk sorgt, der für Arme und Wehrlose eintritt, der jedoch gleichzeitig auch über das reine Gesetzesdenken hinauszuwachsen beginnt und, wie es Matthäus schildert, dem speziellen Anruf Gottes Raum lässt.

„Ein Mann der Stille“, so Michel Aupetit über Joseph von Nazaret, „um denjenigen aufzunehmen, der das Wort Gottes sein wird. Ein Mann der Stille, der sich daran erinnert, dass das Wort Gottes, sein Wort, ein kleines Kind werden wird. Das Wort enfant (Kind) kommt aus dem lateinischen infans, was „ohne Worte" bedeutet. Vor allem in der Stille wird sich das Wort Gottes Gehör verschaffen. Und indem er seine Arme öffnet, wird Joseph das fleischgewordene Wort Gottes willkommen heißen. Weil dieses Wort zuallererst Liebe ist, das wir aus Liebe willkommen heißen müssen.

Es ist kein kompliziertes Gehirn, welches das Wort Gottes verstehen kann. Es ist ein offenes und großzügiges Herz, das sich allein von dem verwandeln lassen kann, der sich aus Liebe gibt. Joseph wurde von Gott unter allen Menschen erwählt und unter allen Menschen gesegnet.
Vertrauen wir ihm unsere Familien an, wie der Vater ihm seinen Sohn anvertraute. Wir werden nie enttäuscht werden.“

Eine kleine Anmerkung zur Darstellung des Heiligen Joseph mit Lilie oder blühendem Stab:
Joseph wird in der Kunst meist mit dem Jesuskind, aber auch als Schlafender dargestellt, der die Worte des Engels vernimmt. Seine Attribute (Beigaben) sind häufig der Wanderstab, der mitunter auch knospen oder blühen kann (siehe das Gemälde von Raffael „Vermählung Mariens“ von 1504), sowie die Lilie, die gleichermaßen ein Attribut Mariens darstellt. Sie ist ein Symbol der Reinheit, auch der Herzensreinheit, darüber hinaus jedoch – was weniger bekannt ist – ein Sinnbild des Lichtes und der Erwählung. Gerade als Zeichen der Erwählung durch Gott erscheint sie, ebenso wie der blühende Stab, auch bei Joseph (vgl. zu Joseph auch die Erwählung des Hohepriesters Aaron, dessen Stab grünte und blühte: 4.Buch Mose, 17,23).

Homélie de Mgr Michel Aupetit - Messe à St Joseph-Artisan - Fête de Saint Joseph travailleur
Saint-Joseph-Artisan - Dimanche 2 mai 2021, Homélies – Diocèse de Paris
www.saint-andre-europe.org
Übersetzung für kath net: Dr. Juliana Bauer


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