Warum sollte Bischofskonferenz die Kompetenz haben, die der Glaubenskongregation abgesprochen wird?

7. Mai 2021 in Aktuelles


„Und wie könnte eine Bischofskonferenz für 27 Bistümer entscheiden, obwohl doch offenkundig ist, dass sich die Bischöfe nicht einig sind?“ Gastkommentar von Manfred Spieker


Osnabrück (kath.net) Die Debatte über die Klarstellung der Glaubenskongregation, dass die Kirche homosexuelle Verbindungen nicht segnen könne, hält unvermindert an. Sie spaltet die Gemeinden. Leider tragen auch Exegeten, Pastoral- und Moraltheologen zur Verunsicherung bei. Einige Anmerkungen zu dieser Debatte, zunächst aus der Sicht eines katholischen Laien, dann aber auch aus der Sicht der Sozialethik:

Die Klarstellung der römischen Glaubenskongregation lasse, so wird behauptet, biblische Belege vermissen. Es wird unterstellt, auch in Rom habe sich herumgesprochen, dass kein seriöser Bibelwissenschaftler einzelne negative Aussagen zur Homosexualität im Alten oder Neuen Testament für geeignet hält, die römische Position zur Homosexualität zu rechtfertigen. Diese Unterstellung ist abwegig. Die Klarstellung der Glaubenskongregation weist auf die zentrale biblische Stelle hin: die Schöpfungsordnung, nach der Gott den Menschen als Mann und Frau erschaffen hat, der Mann Vater und Mutter verlässt, Mann und Frau ein Fleisch werden und in einem lebenslangen Bund das Leben weitergeben - eine Schöpfungsordnung, die nicht nur am Anfang des Alten Testaments steht, sondern von Jesus im Neuen Testament an zahlreichen Stellen in Gesprächen mit den Pharisäern (Mt 19,3-12; Mk 10,2-12), mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,1-26) und mit der Ehebrecherin (Joh 8,3-11) bestätigt wird. Sie wurde, wie es in der Klarstellung der Glaubenskongregation heißt, „von Christus, dem Herrn, vollständig offenbart“.

Ob die römische „Schlafzimmer-Theologie“ etwas mit der Botschaft Jesu zu tun habe, wird gefragt. Sie hat offenkundig mit der Botschaft Jesu nicht nur „zu tun“, sondern ist ein integraler Bestandteil dieser Botschaft, die das menschliche Leben in seiner gesamten leiblich-seelischen Verfasstheit betrifft. Wenn der Apostel Paulus in seinen Briefen auf die Homosexualität zu sprechen kommt (Röm 1,26-27; 1 Kor 6,9; 10,8; 1 Tim 1,8-10; Hebr. 13,4; Jud 7), ist dies im konkreten Rahmen seiner Mission eine Bestätigung dieser Schöpfungsordnung. Aus ihr ergibt sich eine Theologie des Leibes mit einer ganzheitlichen Sicht der Sexualität, in der Hingabe, Lust, Partnerschaft und Offenheit für neues Leben eine Einheit bilden. Papst Johannes Paul II. hat zu dieser Theologie des Leibes in seinen Generalaudienzen zwischen 1979 und 1984 133 Vorträge gehalten. Homosexuelle Verbindungen widersprechen dieser Schöpfungsordnung. Sie verkennen den Zusammenhang von Sexualität und Generativität. Sie sind deshalb generationenblind. Ihnen einen kirchlichen Segen zu erteilen, wäre ein Verstoß gegen diese Ordnung und eine Abkehr von einer zweitausendjährigen Tradition.

Manche hoffen auf Papst Franziskus, der den nationalen Bischofskonferenzen freistellen sollte, selbst darüber zu entscheiden, ob sie homosexuelle Verbindungen ihren Segen erteilen wollen. Das aber wäre gewiss kein Segen für die Kirche, sondern ein Weg in weitere Spaltungen, ganz abgesehen davon, dass das Problem nur verschoben würde. Denn warum sollte eine Bischofskonferenz die Kompetenz haben, die der Glaubenskongregation abgesprochen wird? Und wie könnte eine Bischofskonferenz für 27 Bistümer entscheiden, obwohl doch offenkundig ist, dass sich die Bischöfe nicht einig sind? Jeder Bischof ist der Hirte seines Bistums. Keine Bischofskonferenz kann ihm seine Verantwortung abnehmen. Der Papst würde mit einer solchen Verschiebung der Entscheidung seinen Auftrag missachten, den Glauben zu verkünden und die Einheit der Kirche zu wahren.

Was spricht aus der Sicht der Sozialethik gegen einen Segen für homosexuelle Verbindungen? Jede Gesellschaft hat ein vitales Interesse daran, diejenigen privaten Lebensformen besonders zu schützen und zu fördern, welche Leistungen erbringen, die nicht nur für die Beteiligten, sondern für die gesamte Gesellschaft notwendig sind. Eine solche private Lebensform ist die Ehe und die aus ihr hervorgehende Familie. Die Leistungen, die Ehe und Familie für die ganze Gesellschaft erbringen, sind zum einen die Weitergabe des Lebens – Sozialwissenschaftler sprechen von der Reproduktion oder der Regeneration der Gesellschaft – und zum anderen die Bildung des Humanvermögens der nächsten Generation. Das Humanvermögen ist die Gesamtheit jener Daseins- und Sozialkompetenzen, die dem Erwerb schulischer Allgemeinbildung und beruflicher Fachkompetenzen vorausliegen. Es ist für die Entwicklung von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur von kaum zu überschätzender Bedeutung.

Reproduktion der Gesellschaft und Bildung des Humanvermögens sind die singulären Leistungen der Familie, die den Generationenvertrag sicherstellen, auf dem alle Sozialversicherungssysteme beruhen. Aus soziologischer Sicht haben Ehe und Familie deshalb, so formulierte es ein früherer Familienbericht der Bundesregierung, eine „gesellschaftliche Funktion“, und aus ökonomischer Sicht produzieren sie „positive externe Effekte“. Diese vitalen Funktionen von Ehe und Familie verbieten es, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ehegleiche Rechte einzuräumen und die Nichtberücksichtigung dieser Partnerschaften in der Rechtsordnung als „Diskriminierung“ zu bezeichnen. Eingetragene Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtliche Ehen leisten zur Reproduktion der Gesellschaft keinen Beitrag. Sie sind generationenblind. Ihnen fehlt jene interpersonale Komplementarität, die der Schöpfer für Mann und Frau gewollt hat. Es liegt in der Logik jeder verfassungsrechtlichen Garantie für Ehe und Familie, homosexuellen Verbindungen deshalb nicht den Schutz und die Förderung zukommen zu lassen wie Ehe und Familie. Gesetzgeber und Verfassungsgericht in Deutschland gingen – wie in zahlreichen anderen Ländern – einen anderen Weg. Sie glichen die 2001 eingeführte Lebenspartnerschaft homosexueller Verbindungen Schritt für Schritt der Ehe an und führten 2017 die Ehe für alle ein, die nun denselben Schutz und dieselbe Förderung genießen soll wie die Ehe von Mann und Frau. Seit dem 1. Oktober 2017 heißt es in § 1353 BGB: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen“. Diesem Trend stellten sich einige mittel- und osteuropäischen Länder (Polen, Ungarn, Kroatien, Slowakei, Litauen, Lettland, Bulgarien) entgegen, indem sie die Ehe in ihren Verfassungen gegen heftigen Widerstand der EU als Bund von Mann und Frau definierten.

Dass Sexualität mit Generativität zu tun hat, ist nicht nur eine sozialethische Erkenntnis. Dieses Faktum hat ebenso schöpfungstheologische, moraltheologische und pastoraltheologische Relevanz, die in der gegenwärtigen Debatte um die Segnung homosexueller Verbindungen weithin ignoriert wird. Eine Segnung homosexueller Verbindungen ist von der immer möglichen Segnung einzelner Menschen mit homosexuellen Neigungen zu unterscheiden. Der diesen Personen gebührende Respekt „darf jedoch nicht zu einer Legitimierung von Verhaltensweisen führen, die mit dem moralischen Gesetz nicht vereinbar sind“, so das Kompendium der Soziallehre der Kirche von 2004. Eine Segnung homosexueller Verbindungen würde den Sinn menschlicher Geschlechtlichkeit verdunkeln und damit der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft schaden. Homosexuelle Verbindungen bleiben generationenblind. Deshalb ist die Klarstellung der Glaubenskongregation, die Kirche könne homosexuelle Verbindungen nicht segnen, auch ein Beitrag zum Gemeinwohl von Staat und Gesellschaft.

Prof. Dr. Manfred Spieker ist emeritierter Professor für Christliche Sozialwissenschaften am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück.


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