Kirchenhistoriker zu Leichenfunden: Ganz Kanada verantwortlich

15. Juli 2021 in Chronik


Klieber in Kirchenzeitungs-Interview zu "Tragödie" rund um Umerziehung indigener Kinder: Kirchen haben sich für Ziel des Staates zur Verfügung gestellt


Salzburg (kath.net/KAP) Es wäre überzogen, würde die katholische Kirche die gesamte Schuld für die für viele indigene Kinder tödliche Umerziehung in kirchlich geführten kanadischen "Indian Residential Schools" übernehmen. Das hat der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber zur "Tragödie" angemerkt, dass vor einigen Wochen 215 im Garten eines katholischen Internats in Kanada vergrabene Kinderleichen gefunden wurden und dies "ein dunkles Kapitel Missionsgeschichte" aufschlug, wie es in einem aktuellen Interview der Kooperationsredaktion österreichischer Kirchenzeitungen heißt. "Die gesamte kanadische Gesellschaft, zumindest ihre tonangebenden Kreise - und die waren bei weitem nicht alle katholisch -," habe eine Umerziehung gewollt, so Klieber. "Insofern müssen sie insgesamt dafür geradestehen."

Der Kirchenhistoriker äußerte sich auch zurückhaltend zur Aufforderung des kanadischen Premierministers Justin Trudeau an den Papst, sich für die furchtbaren Umstände in den katholischen Internaten zu entschuldigen. Franziskus sei gerade erst damit konfrontiert worden. "Man muss auch aufpassen, dass es nicht als Übernahme der gesamten Schuld interpretiert wird. Es war ein Problem der gesamten Gesellschaft." Gleiches sollte für finanzielle Wiedergutmachung gelten. Ob sich Papst Franziskus tatsächlich entschuldigen wird, wisse er nicht, so der Theologe, "aber ich denke schon".

Klieber ortet in Kanada eine ähnliche Problematik wie in den irischen Heimen für "sittlich verwahrloste Mädchen": "Die Schwestern waren überfordert, hatten keine ernstzunehmende pädagogische oder psychologische Ausbildung, sie wurden angelernt, wie man straft."

"Nicht das Kind mit dem Bad ausschütten"

Man solle zu den Fehlern der Vergangenheit stehen, befand Klieber, "nur das Kind nicht mit dem Bad ausschütten": Kirchliche Schulen hätten weltweit ganzen Generationen von Jugendlichen Lebenschancen geboten, die sie sonst nicht gehabt hätten. In Kanada sei dies nicht geglückt. Besser als die meist zwangsweise Unterbringung für Sechs- und Siebenjährige in Umerziehungs-Internaten wäre aus der Sicht des Kirchenhistorikers der Aufbau eines Volksschulwesens in den Gebieten der Indigenen gewesen. Das hätte dann eher den Effekt gehabt, den man eigentlich anstreben wollte: "Nämlich, die Kinder schrittweise an die Erfordernisse der Moderne heranzuführen, ohne sie völlig zu entwurzeln."

Die grundlegende christliche Überzeugung, dass alle Menschen gleichwertig sind, sei in Kanada und anderen Gesellschaften immer wieder zurückgereiht worden, bedauerte Klieber. "Dem standen kulturelle und wirtschaftliche Interessen gegenüber."


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