Weishaupt: „‚Traditionis custodes‘ wirkt wie eine Kanone, mit der der Papst auf Spatzen schießt“

23. Juli 2021 in Interview


Kirchenrechtler sieht Vorgänge, die die kirchliche Einheit schwer gefährden, vielmehr „im Synodalen Weg und den ihn begleitenden Aktionen, die sich gegen den Papst, die Lehre und Einheit der Kirche richten“. kath.net-Interview von Petra Lorleberg


Aachen (kath.net/pl) „Ich fürchte, dass dieses Motu Proprio das Gegenteil von dem erreichen wird, was es gerade zu verhindern sucht, nämlich Spaltung; es wird nicht versöhnen. Die Vorbehalte, die traditionsverbundene Katholiken ohnehin schon gegenüber Papst Franziskus haben, werden durch ‚Traditionis custodes‘ sogar noch verstärkt werden. Ich fürchte, dass Papst Franziskus mit diesem Motu Proprio sich und sein Amt immens geschadet und der Intention von ‚Traditionis custodes‘ einen Bärendienst erwiesen hat.“ Das erläutert der Aachener Kirchenrechtler Dr. Gero Weishaupt im Interview mit KATH.NET. Vorgänge, die die kirchliche Einheit schwer gefährden, sieht er vielmehr „eindeutig im Synodalen Weg und den ihn begleitenden Aktionen, die sich tatsächlich gegen den Papst, die Lehre und die Einheit der Kirche richten. Aber auch in den liturgischen Missbräuchen in der nachkonziliaren Liturgie, die mitschuldig sind am gegenwärtigen Zerfall der Kirche.“

Dr. Gero P. Weishaupt ist Priester und Kirchenrechtler. Er war 2008-2013 Judizialvikar/Offizial des Bistums ´s-Hertogenbosch (Niederlande), seit 2012 Richter des Interdiözesanen Strafgerichtes der niederländischen Kirchenprovinz, seit 2013 hauptamtlicher Diözesanrichter am Erzbischöflichen Offizialat des Erzbistums Köln, seit 2015 Dozent für Kirchenrecht und kirchliche Dokumente am Theologischen Institut des Bistums Roermond, weitere Gastdozenturen, z.B. Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei Wien. Er hat mehrere Bücher sowie kanonistische Fachartikel veröffentlicht.

kath.net: Herr Dr. Weishaupt, für wie dringlich hätten Sie noch in diesem Frühsommer ein Motu proprio im Sinne von „Traditionis custodes“ eingestuft?

Weishaupt: „Traditionis custodes“ überspannt meines Erachtens den Bogen. Dieses Motu Proprio ist unverhältnismäßig und wirkt wie eine Kanone, mit der der Papst auf Spatzen schießt.

Dabei möchte ich gar nicht in Abrede stellen, dass es hier und da nach „Summorum Pontificum“ Fehlentwicklungen gegeben hat, die nicht die Intention Papst Benedikts XVI. gewesen sind. So ist „Summorum Pontificum“ sicher falsch verstanden worden, wenn sich in den Pfarreien Gruppen von Gläubigen gebildet haben oder zu diesen Gruppen Gläubige hinzukamen, die ausschließlich in der Pfarrei die Messe in der tridentinischen Form mitfeierten, die Messe in der „paulinischen“ Form aber mieden. Hätte man „Summorum Pontificum“ und die erläuternde Instruktion „Universae Ecclesiae“ konsequent umgesetzt, wäre es zu solchen Gruppenbildungen in der einen oder anderen Pfarrei nicht gekommen und wäre das jüngste Motu Proprio von Papst Franziskus überflüssig gewesen.

Doch hielten sich solche Fehlentwicklungen in Grenzen. Das Motu Proprio „Traditionis custodes“ und sein Begleitbrief aber verallgemeinern, unterscheiden nicht und ignorieren die vielen traditionsverbundenen Gläubigen, die in beiden Formen ihre geistliche Heimat gefunden haben. Anstatt eines Wortes der Wertschätzung gibt der Papst ihnen einen Fußtritt und treibt sie wieder ins Getto. Und die überlieferte, klassische Liturgie landet im Museum.

Papst Franziskus sanktioniert durch seine radikalen Rechtseinschränkungen unterschiedslos alle Gläubigen, also auch die Mehrheit derjenigen, denen die überlieferte Liturgie am Herzen liegt, ohne die neue Liturgie in Frage zu stellen. Und auch die Mehrheit der Priester, die die Messe im tridentinischen Ritus feiern, hat sich strikt an die Vorgaben von „Summorum Pontificum“ und seine Ausführungsbestimmen in der Instruktion „Universae Ecclesiae“ gehalten. In beiden Rechtstexten sind deutlich die Bedingungen und Grenzen für die Zelebration nach dem klassischen Ritus angegeben worden. Die Spaltungen, die Papst Franziskus beklagt, können darum auf eine andere Weise vermieden werden, z. B. durch eine ergänzende Instruktion zum Motu Proprio „Summorum Pontificum“ oder durch ein päpstliches oder bischöfliches Dekret. So hätte man ohne Änderungen von „Summorum Pontificum“ etwa verfügen können, dass die Bischöfe, die in ihren Diözesen von Spaltungen gehört haben, die verantwortlichen Priester und Gläubige an die strikte Einhaltung der Vorschriften von „Summorum Pontificum“ erinnern und Zuwiderhandeln ahnden. Dazu bedurfte es keines neuen Gesetzgebungsaktes, schon gar nicht einschneidender, unverhältnismäßiger und im Hinblick auf den beabsichtigten Zweck vollkommen nicht nachvollziehbarer Einschränkungen wie in „Traditionis custodes“.

Das jüngste Gesetz des Papstes bleibt im Hinblick auf seinen Zweck, nämlich Versöhnung und Einheit, jedenfalls völlig unverständlich und höchst umstritten. Ich fürchte, dass dieses Motu Proprio das Gegenteil von dem erreichen wird, was es gerade zu verhindern sucht, nämlich Spaltung; es wird nicht versöhnen. Die Vorbehalte, die traditionsverbundene Katholiken ohnehin schon gegenüber Papst Franziskus haben, werden durch „Traditionis custodes“ sogar noch verstärkt werden. Ich fürchte, dass Papst Franziskus mit diesem Motu Proprio sich und sein Amt immens geschadet und der Intention von „Traditionis custodes“ einen Bärendienst erwiesen hat.

kath.net: Kritische Stimmen zu „Traditionis custodes“ stellen die Frage, ob Papst Franziskus in seinem ernstzunehmenden pastoralen Bemühen um jene Schafe, die sich verirren, nun mit seinem Hirtenstab ausgerechnet auf die Schafe eingeschlagen hat, die sich trotz mancher Mühsal treu um ihn scharen und die Gemeinschaft mit ihm nicht aufzugeben bereit sind. Wie stehen Sie dazu?

Weishaupt: Auf jeden Fall sehe ich weder in dem Motu Proprio noch in dem Begleitbrief an die Bischöfe die Handschrift eines milden, gnädigen und barmherzigen Vaters, geschweige denn die eines Hirten, der den „Geruch der Schafe“ angenommen hat. Eher erkenne ich einen Hirten, der seinen Hirtenstab als Schlagstock gebraucht. Papst Franziskus, der wie kein anderer Papst vor ihm ständig Milde und Barmherzigkeit predigt, der zurecht Klerikalismus geißelt und vom „Geruch der Schafe“, die die Hirten annehmen sollen, redet, beweist mit dem Motu Proprio „Traditionis custodes“ genau das Gegenteil von alledem. Die Glaubwürdigkeit und Authentizität des Papstes sehe ich beschädigt.

kath.net: Können Bischöfe von dem Motu Proprio "Traditionis custodes" dispensieren/freistellen?

Weishaupt: Selbstverständlich können sie das. Es gibt inzwischen auch Bischöfe, vor allem in den USA, die von einigen Normen des Motu Proprio bereits dispensiert haben. Das ist erfreulich. Und es bleibt zu hoffen, dass die Bischöfe im deutschsprachigen Raum es ihnen nachtun. Erfreulich ist auch, dass bei der jüngeren Generation unter den Bischöfen bezüglich der alten Liturgie ein Gesinnungswandel und eine Aufgeschlossenheit eher anzunehmen ist als bei ihren Vorgängern. Das lässt auf eine großzügige Dispenspraxis in dieser Sache hoffen.

Gott sei Dank gibt es dieses Rechtsinstitut der Dispens, also der Freistellung von einem Gesetz in einem konkreten Fall zum Wohl der Gläubigen. Es gilt allerdings nur von rein kirchlichen Gesetzen, wozu „Traditionis custodes“ gehört. Von Gesetzen, die göttliches Recht normieren, also von Recht, das aus der Offenbarung oder aus dem Naturrecht abgeleitet wird, kann der Papst niemals dispensieren, geschweige denn ein Bischof. So kann z. B. von dem Gesetz, dass nur Männer gültig die (Priester)weihe empfangen können (= mit der Offenbarung intrinsisch verbundene Wahrheit), niemals dispensiert werden. Ebenso wenig von der Unauflöslichkeit der Ehe (Naturrecht).

Mit einer Dispens von einem rein kirchlichen Gesetz soll erreicht werden, dass die Härte des Gesetzes – und unerwartet hart ist „Traditionis custodes“ zweifelsohne – in einem konkreten Fall oder in mehreren gleichgearteten Fällen bei den Gesetzesunterworfenen abgewendet wird. Zwar bleibt das Gesetz als solches bestehen, aber die enorme Wucht von „Traditionis custodes“ kann so im Einzelfall noch abgefedert werden, da der Betroffene oder die Betroffenen durch die Dispens davon befreit sind.

Es ist zu hoffen, dass die Bischöfe als milde und barmherzige Hirten, die den „Geruch der Schafe“ angenommen haben und ihren Hirtenstab nicht als Schlagstock, sondern zum Führen, Sammeln und Einigen nutzen, die rechtlichen Möglichkeiten einer Dispens großherzig ausschöpfen. Würden sie das nämlich nicht tun, würden sie unverantwortlich die bisherigen guten Früchte für die Kirche, die das Motu Proprio „Summorum Pontificum“ nachweislich hervorgebracht hat, mit einem Schlag zunichte machen. Leider hat das unselige Gesetz von Papst Franziskus dazu das Potenzial. Pastorale Gesinnung und Milde sieht anders aus. Anerkennung der guten Früchte von „Summorum Pontificum“, Wertschätzung für die papsttreuen traditionsverbunden Katholiken und nicht zuletzt Respekt vor Papst Benedikt XVI. lässt der letzte Gesetzgebungsakt von Papst Franziskus überhaupt nicht erkennen.

kath.net: Wie geht es nun vor Ort für die betroffenen Priester, Gläubigen und Gemeinschaften weiter?

Weishaupt: Auf jeden Fall sollte man nicht den Versuch unterlassen, den Papst zu bitten, das umstrittene Gesetz gänzlich zurückzunehmen oder es abzuändern, und zwar so, dass der Bruch mit „Summorum Pontificum“ rückgängig gemacht wird, denn der Zweck von „Traditionis custodes“ kann rechtlich auf andere, respektvollere Weise erreicht werden. Wenn man zudem bedenkt, dass manche Bischöfe die Fragen aus der von der Glaubenskongregation initiierten Umfrage über die Umsetzung von „Summorum Pontificum“ in ihren Diözesen überhaupt nicht erreicht haben, dann wird klar, dass dieses Gesetz schon in seiner Genese höchst zweifelhaft ist. Solange aber „Traditionis custodes“ Rechtskraft hat, bleibt rechtlich gesehen nicht anderes übrig, als die schon erwähnte Möglichkeit von Dispensen von den harten Normen beim jeweiligen Diözesanbischof zu beantragen und auf dessen pastoralen und milden Geist zu hoffen.

kath.net: Wenn Sie dem Papst einen Rat geben dürften – spielen wir das einfach mal als Fantasiegebilde durch –, würden Sie ihm zu einem „Traditionis custodes II“ raten, das dann andere Strömungen in der Kirche versucht an die Zügel zu nehmen? Wo sehen Sie, besonders im deutschsprachigen Raum, derzeit Vorgänge, die Sie für die kirchliche Einheit als äußert schwer gefährdend einstufen?

Weishaupt: Eindeutig im Synodalen Weg und den ihn begleitenden Aktionen, die sich tatsächlich gegen den Papst, die Lehre und die Einheit der Kirche richten. Aber auch in den liturgischen Missbräuchen in der nachkonziliaren Liturgie, die mitschuldig sind am gegenwärtigen Zerfall der Kirche. Hier wäre es dringend nötig, dass der Papst die Bischöfe in Erinnerung ruft, dass sie „Traditionis custodes“ sind und gegen schismatische Tendenzen in ihren Teilkirchen entschieden auftreten, um so ein Schisma abzuwenden.

Allerdings bin ich überzeugt bin, dass ein Schisma schon eingetreten ist, aber noch nicht formal festgestellt worden ist. Die Gefahr für die Einheit der Kirche droht nicht von der alten Liturgie und denen, die sie wertschätzen, ganz im Gegenteil. Die Gefahr droht von einer Gedankenwelt, die den Synodalen Weg zu dem gemacht hat, was er nun ist.


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