Kardinal Koch: Kircheneinheit setzt Vertrauen voraus

29. Juli 2021 in Weltkirche


Präsident des Päpstlichen Einheitsrates greift ökumenische Überlegungen des Grazer orthodoxen Theologen Larentzakis auf - Mehr vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Orthodoxer und katholischer Kirche nötig, um Entfremdungsprozessen entgegenzuwirken


Würzburg/Vatikanstadt (kath.net/KAP) Zwischen Ost- und Westkirche braucht es mehr vertrauensbildende Maßnahmen. Das sieht Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, als die vielleicht wichtigste Voraussetzung zur Kircheneinheit. Als ein massives ökumenisches Probleme ortet er derzeit allerdings die innerorthodoxen Spannungen, vor allem zwischen den Patriarchaten von Moskau und Konstantinopel. Koch äußerte sich in zwei ausführlichen Beiträgen in der Wochenzeitung "Die Tagespost", in dem er auf zwei Artikel des Grazer orthodoxen Theologen Prof. Grigorios Larentzakis Bezug nahm.

Die Grundthesen Larentzakis': Zwischen Katholischer und Orthodoxer Kirche habe es letztlich nie ein Schisma im strengen Sinn gegeben. Das Ziel der Kircheneinheit sei deshalb auch nicht in erster Linie durch doktrinäre oder kirchenrechtliche Vereinbarungen erreichbar, sondern durch menschliche Initiativen und vertrauensbildende Maßnahmen, etwa im sozialen Bereich. Die Orthodoxe Kirche würde auch den Papst als Kirchenoberhaupt im Sinne eines "Primus inter Pares" anerkennen, wenn anderer kirchentrennende Hindernisse ausgeräumt sind. Die innere Autonomie der einzelnen selbstständigen Kirchen müsste freilich gewahrt bleiben, dem Papst kämen aber auch gesamtkirchliche Aufgaben und Pflichten zu, so der orthodoxe Theologe.

Er stimme Prof. Larentzakis zu, dass das Grundproblem zwischen Katholischer und Orthodoxer Kirche nicht mit dem strengen Begriff des Schismas, sondern mit demjenigen der gegenseitigen Entfremdung umschrieben werden müsse, "denn in der westlichen und östlichen Christenheit ist das Evangelium Jesu Christi eigentlich von Anfang an in einer unterschiedlichen Art und Weise aufgenommen und in verschiedenen Traditionen und kulturellen Ausformungen gelebt und weitergegeben worden", so Kardinal Koch.

Langjährige Entfremdungsprozesse

Mit diesen Unterschieden hätten die kirchlichen Gemeinschaften im ersten Jahrtausend in Ost und West in der einen Kirche gelebt. Sie hätten sich aber immer mehr voneinander entfremdet und konnten sich immer weniger verstehen. Koch: "Es sind vor allem unterschiedliche Verstehensweisen und verschiedene Spiritualitäten gewesen, die zu einem großen Teil die spätere Kirchenspaltung zumindest mitverursacht haben; und nach der Trennung sind diese Entfremdungsprozesse im zweiten Jahrtausend nochmals wesentlich vertieft worden."

Deshalb brauche es auf dem Weg zur Wiedergewinnung der Einheit der Kirche in erster Linie "vertrauensbildende Maßnahmen", so Kardinal Koch; "genauer Schritte in der praktischen Ökumene des Lebens und im Dialog der Liebe". Solche "Dialoge der Liebe" würden den "unabdingbaren Lebensraum bilden, in dem der Dialog der Wahrheit gedeihen kann, nämlich die theologische Bearbeitung der von der Vergangenheit her strittigen Fragen, die zur Spaltung geführt haben."

Solche Dialoge der Wahrheit seien freilich notwendig, "da die wieder zu gewinnende Einheit der Kirche zutiefst die Wahrheit des Glaubens berührt und nicht als politisches Problem missverstanden werden darf, das auf dem Weg von Kompromissen gelöst werden könnte", betont Koch: "Die Einheit der Kirche muss vielmehr Einheit im Apostolischen Glauben sein, der jedem Christen in der Taufe übergeben und anvertraut wird. Dies gilt zumal in der Beziehung zwischen der Katholischen und der Orthodoxen Kirche, weil unter allen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in theologischer Sicht die Orthodoxie uns Katholiken zweifellos am nächsten steht."

Besondere Nähe

Orthodoxe und Katholiken hätten die gleiche altkirchliche Struktur bewahrt, nämlich die sakramental-eucharistische und die episkopale Grundstruktur der Kirche in dem Sinne, "dass in beiden Kirchen die Einheit in der Eucharistie und das Bischofsamt als für das Kirchesein konstitutiv betrachtet werden".

Dass die Katholische Kirche mit den Orthodoxen Kirchen eine große gemeinsame Basis an Glaubensüberzeugungen teilt, sei auch in den vergangenen Jahrzehnten im theologischen Dialog deutlich geworden. Damit ergebe sich von selbst die Frage, welche Stellung in einer künftigen Einheit der Kirche in Ost und West dem Bischof von Rom zukommen wird. Auf der einen Seite sei der Bischof von Rom der Erste in der Reihe der Bischofssitze, "wie es bereits das Konzil von Nizäa definiert hat und wie es auch heute von der Orthodoxie anerkannt wird". Auf der anderen Seite sei in katholischer Sicht der Bischof von Rom nicht nur Erster, sondern habe auch spezifische Funktionen und Aufgaben, um seinen Dienst an der Einheit der Kirche überhaupt wirksam wahrnehmen zu können.  

Dankbar stelle er fest, so Kardinal Koch, "dass auch Professor Larentzakis in diese Richtung denke, "indem er im Bischof von Rom den 'Ersten der Gesamtkirche' wahrnimmt und ihm dabei 'auch konkrete Pflichten und Aufgaben, ja Rechte im Dienste der Gesamtkirche' zuschreibt".

Nachdenken über Papst-Primat

Zur Frage, worin diese Kompetenzen des Bischofs von Rom in einer künftigen Kircheneinheit genau bestehen werden, müsse freilich noch weiter nachgedacht werden. Die Katholische Kirche müsse in dieser Hinsicht eingestehen, "dass sie in ihrem Leben und in ihren ekklesialen Strukturen noch nicht jenes Maß an Synodalität entwickelt hat, das theologisch möglich und notwendig wäre" und positive Effekte für die Ökumene hätte. In einer synodalen Kirche könnte auch die Ausübung des Papstamtes besser geklärt werden. Dazu müsse die Katholische Kirche auch noch weiter vertiefen und glaubwürdig dartun, "dass der Primat des Bischofs von Rom nicht allein eine juridische und schon gar nicht eine rein äußerliche Zutat zu einer eucharistischen Ekklesiologie, sondern in ihr selbst begründet ist".

Auf der anderen Seite, so Kardinal Koch weiter, "wird man von den orthodoxen Kirchen erwarten dürfen, dass sie eingestehen, dass nicht nur die katholische Kirche mit dem Papsttum eine geschichtliche Entwicklung durchgemacht hat, sondern dass sich auch die Orthodoxie vor allem im zweiten Jahrtausend nicht unwesentlich gewandelt hat". Dies gelte zumal mit Blick auf die Verstärkung des Prinzips der Autokephalie von Nationalkirchen und ihrer "inhärenten Tendenz zum Nationalistischen". Nur wenn es der Weltorthodoxie gelingt, zunächst einen neuen Konsens darüber zu finden, welche Vorrechte ihrem eigenen Ehrenprimat zukommen, werde sie in der Lage sein, den Bischof von Rom als Ersten der Gesamtkirche mit konkreten Rechten und Pflichten in ihr anerkennen, zeigt sich Koch überzeugt.

In diesem Sinn sei zu hoffen, "dass die orthodoxen Kirchen im ökumenischen Dialog lernen können, dass die gegenwärtig gravierenden innerorthodoxen Spannungen (...) die Einsicht nahelegen, dass ein Primat auch auf der universalen Ebene der Kirche nicht nur möglich und theologisch legitim, sondern auch notwendig ist, dass er dabei mehr sein muss als ein reiner Ehrenprimat, sondern auch rechtliche Elemente einschließt, und dass dies keineswegs im Gegensatz zu einer eucharistischen Ekklesiologie steht, sondern mit ihr kompatibel ist".

Der Kurienkardinal beschloss seine umfangreichen Ausführungen in der "Tagespost" mit einem Zitat des Ökumenische Patriarch Athenagoras aus dem Jahr 1968: "Die Stunde des christlichen Mutes ist gekommen."

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