„Benedikt XVI. ist für mich ein Theologe, von dem ich viel gelernt habe“

11. August 2021 in Interview


Evangelischer Pastor Ralf Halbrügge: „dann… geriet mein vorurteilsbehaftetes Bild ins Wanken und ich begann, mich intensiver mit der Person Joseph Ratzinger und seiner Lehre zu beschäftigen“. kath.net-Interview von Petra Lorleberg


Oldendorf (kath.net/pl) Mit seinem Leserbrief in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, in welchem er den emeritierten Papst Benedikt XVI. nach einem einseitigen Kommentar von Katharina Ritzer verteidigte, hatte der evangelisch-lutherische Pfarrer Ralf Halbrügge aus Melle-Oldendorf (Niedersachsen) für überregionale Aufmerksamkeit gesorgt. kath.net fragte bei dem Theologen nach.

kath.net: Herr Pastor Halbrügge, Sie hatten zur Feder gegriffen und in einem Leserbrief an die „Neue Osnabrücker Zeitung“ Benedikt XVI./Joseph Ratzinger verteidigt. War der Kommentar von Frau Ritzer für Sie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte?

Pastor Ralf Halbrügge: Ja, das könnte man vielleicht sagen. Es sind vor allem zwei Gründe, die zu dem Leserbrief geführt haben, der ja im Original deutlich länger und schärfer formuliert ist. Mich macht es traurig und es irritiert mich, dass seit geraumer Zeit, auch innerhalb der Kirchen, jeder sofort angegriffen wird, der eine „konservative“ Haltung einnimmt, was auch immer das bedeuten soll.

Manchmal scheint mir, dass derjenige, der nah am Evangelium spricht und predigt, der eine klare Linie hat – an Jesus Christus als Zentrum des Glaubens, des Nachdenkens und Lebens orientiert –, der sich kirchlichen Traditionen verbunden fühlt und der sich den Entwicklungen eines unheiligen Zeitgeistes verweigert, angegriffen, verspottet und in den Medien zum Abschuss frei gegeben wird.

Benedikt XVI – und hier liegt der zweite Grund für die Abfassung des Leserbriefes – ist für mich in erster Linie Theologe, von dem ich in den letzten Jahren viel gelernt habe. Sie sehen, ich habe ihn erst spät entdeckt, leider.

Das Bild in der Öffentlichkeit, das man von ihm hat, ist wohl vor allem geprägt durch die Angriffe von Hans Küng.

Ich glaube, Joseph Ratzinger ist nie ein „Panzerkardinal“ und noch weniger ein „Großinquisitor“ gewesen, sondern ein Mann mit einer unglaublichen Intelligenz und einer bis heute beeindruckenden geistlichen Tiefe wie sie in einer oberflächlichen und gottfernen Welt kaum noch vorkommt.

kath.net: Die Kritik am Theologen aus Deutschland und späteren Papst aus Deutschland war ja außerkirchlich schon lange undifferenziert. Hätten Sie wenigstens von der katholischen Kirche in Deutschland einen differenzierteren Umgang seinerzeit mit dem Präfekten der Glaubenskongregation und später mit dem Papst und dem Emeritus erwartet? Was vermuten Sie, warum er auch hier auf durchaus viel Ablehnung gestoßen war und ist?

Halbrügge: Das ist ja eine wirklich „innerkatholische“ Frage, die ich als einfacher evangelisch-lutherischer Pastor nicht wirklich beantworten kann und möchte.

Ich beobachte heute nur verschiedene Lager und die Gefahr, dass die katholische Kirche zerrissen wird, bzw. sich selbst zerreißt.

Ich glaube, dass es Benedikt XVI immer ein Anliegen war, die Kirche zusammenzuhalten, zu einen.

Wir können vieles von dem, was wir heute bezogen auf den Zustand der Kirche und der Gesellschaft beobachten können, bei Joseph Ratzinger schon in Texten aus den 50er und 60er Jahren finden und wir wissen ja: Propheten hat man immer versucht, anzugreifen und mundtot zu machen.

Die Bedeutung von Benedikt XVI als Papst und sein Ermöglichen oder Verhindern von Reformen kann ich nicht beurteilen. Es gibt ja auch in der katholischen Kirche wohl einige, die ihre Kirche „auf links“ drehen wollen. Sie mögen enttäuscht gewesen sein.

Aber grundsätzlich: Ja, einen differenzierten Umgang mit einer solchen Persönlichkeit sollte es immer geben und es gibt ja in der katholischen Kirche nicht wenige Gruppen und Kreise, von denen die theologische Leistung des papa emeritus doch sehr gewürdigt wird.

kath.net: Wie war denn Ihre eigene Annäherung an den Theologen Joseph Ratzinger verlaufen? Kann man sagen, dass Sie in ökumenischer Freundschaft den Theologen Ratzinger/Benedikt XVI. schätzen? Waren seine kirchlichen Ämter dabei ein distanzschaffendes Problem für Sie?

Halbrügge: Das sind drei Fragen, auf die ich lange antworten müsste. Ich versuche es kurz: Wie viele andere „Protestanten“, die in den 80er und 90er Jahren evangelische Theologie studiert haben, fühlte auch ich mich seinerzeit den Katholiken gegenüber überlegen. Diese Überheblichkeit, auch genährt in der Kindheit durch meine evangelischen Vorfahren, führte zu einer undifferenzierten, diffusen Abneigung gegen alles Katholische, verbunden allerdings auch mit einer ausgeprägten Unwissenheit.

Als ein sehr emotionaler Mensch hat mich mein erster Besuch in Rom im Jahr 2004 sehr bewegt, bei dem ich die Generalaudienz auf dem Petersplatz besucht und die Begeisterung der Menschen aus der ganzen Welt erlebt habe. Der damals schwer kranke Johannes Paul II fuhr wenige Meter an mir vorbei. Mich hat diese Szenerie plötzlich und überraschend sehr angerührt.

Als dann Joseph Ratzinger ein halbes Jahr später Papst wurde und ich bei seinem Besuch in Deutschland die Messe auf dem Marienfeld beim Weltjugendtag vor dem Fernseher verfolgte und ich die Begeisterung der jungen Menschen sah und die ausgefeilte Liturgie bestaunte, die mit über einer Million junger Menschen zelebriert wurde, geriet mein vorurteilsbehaftetes Bild ins Wanken und ich begann, mich intensiver mit der Person Joseph Ratzinger und seiner Lehre zu beschäftigen.

Gleichzeitig machte ich als Pastor an der Basis schöne und intensive ökumenische Erfahrungen mit der katholischen Kirche vor Ort. In der Zwischenzeit habe ich einige seiner Bücher gelesen und war sogar in Altötting und in Marktl/Inn, seinem Geburtstort.

Mir ist Ökumene sehr wichtig und vor allem, den anderen in seiner Frömmigkeit wahr- und ernstzunehmen. Die geistliche Schnittmenge ist viel größer als wir oft glauben, wenn Jesus Christus im Zentrum steht.

kath.net: Haben Sie eigentlich die Papst-Benedikt-Biographie von Peter Seewald gelesen?

Halbrügge: Ich bin noch begeistert dabei, habe knapp 700 Seiten gelesen, bin also mit dem Kardinal Ratzinger endlich in Rom angekommen und gerade bei der Auseinandersetzung mit der „Befreiungstheologie“. Ich habe jetzt drei Wochen Urlaub vor mir und werde die „restlichen“ 400 Seiten dort locker schaffen.

Bereits vorher hatte ich von Peter Seewald die Interviewbücher „Gott und die Welt“ und „Letzte Gespräche“ gelesen. Er hat ja eine wohl besondere und bewegende Geschichte mit Benedikt XVI. Aber auch das Buch „Die Schule der Mönche“ von Seewald war mir ein großer Gewinn.

kath.net dokumentiert den - bisher nur gekürzt veröffentlichten - Leserbrief in voller Länge:

Leserbrief zum Kommentar "Da spricht ein knallharter Konservativer" von Katharina Ritzer über Benedikt XVI am 27.7.2021

Den Kommentar von Frau Ritzer möchte ich in dieser Einseitigkeit nicht so stehen lassen. Da werden wieder einmal alle Ressentiments gegenüber Benedikt XVI vermutlich ungeprüft übernommen. Es wird sogar die Inquisition bemüht. Mich wundert, dass nicht auch noch der sonst von kirchenkritischen Journalisten oft bemühte Begriff des "Panzerkardinals" verwendet wird. Ich hätte erwartet, dass sich viele Kirchenferne, auch aus dem Journalismus, freuen, wenn Benedikt XVI von den Verantwortlichen in der katholischen Kirche weniger Amt und mehr Herz und mehr Glaubensüberzeugung fordert. Sobald aber der "Papa emeritus" sich äußert, prügeln Journalisten auf ihn ein - der Hinweis auf Galileo Galilei in diesem Zusammenhang disqualifiziert die Kommentatorin - und Vertreter der aktuellen "Amtskirche" werden nervös. Das ist auffällig und hat einen tieferen Grund. Joseph Ratzinger ist sicher einer der klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts und hat als junger Theologe während des 2. Vatikanischen Konzils wesentlich zu einer Öffnung der katholischen Kirche und zur Erneuerung beigetragen, von der wir heute an der "ökumenischen Basis" profitieren. Ich empfehle Frau Ritzer herzlich, die Benedikt-Biographie von ihrem Kollegen Peter Seewald zu lesen, der ein ganz anderes "Ratzinger-Bild" zeichnet. Aus den Büchern des Theologen Ratzinger, dem "Mozart der Theologie", können wir alle, die wir uns mit Kirche beschäftigen, viel lernen und uns an seiner wunderbaren Sprache erfreuen. Ich habe auch als evangelisch- lutherischer Pastor bis heute von ihm profitieren können und wehre mich gegen eine einseitige Negativberichterstattung - und Kommentierung gegenüber einem großen Geistlichen und Theologen, der  immer unter dem moralischen Verfall und der Verweltlichung der Kirche gelitten hat. Möge er sich noch häufiger äußern können. Solange er damit immer noch Vertreterinnen und Vertreter eines unheiligen Zeitgeistes nervös macht, liegt er richtig.

Ralf Halbrügge
Oldendorf

Foto rechts: Pastor Halbrügge (c) privat


© 2021 www.kath.net