Der pädagogische Wert des Gesetzes

18. August 2021 in Aktuelles


Franziskus: einerseits hatte das Gesetz eine normative Seite, andererseits schützte es das Volk, unterwies es für das Leben und stärkte es in seiner Schwachheit. Leben wir schon ganz in der Gnade der Kinder Gottes? Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) “Ehe der Glaube kam, waren wir vom Gesetz behütet, verwahrt, bis der Glaube offenbar werden sollte. So ist das Gesetz unser Erzieher auf Christus hin geworden, damit wir aus dem Glauben gerecht gemacht werden. Nachdem aber der Glaube gekommen ist, stehen wir nicht mehr unter dem Erzieher” (Gal 3,23-25).

Generalaudienz mit Pilgern und Besuchern in der Aula “Paolo VI”. Papst Franziskus setzte seine Katechesenreihe zum Brief des Apostels Paulus an die Galater fort. Der fünfte Teil stand unter dem Thema: „Der pädagogische Wert des Gesetzes”.

Der heilige Paulus lehre uns im Galaterbrief, dass die “Kinder der Verheißung2 (Gal 4,28) durch den Glauben an Jesus Christus nicht mehr unter dem Joch des Gesetzes stünden, sondern aufgerufen seien, ein Leben zu führen, das sich der Freiheit des Evangeliums verantwortlich wisse.

“Was ist aber die Rolle des Gesetzes?”, so die Frage. Paulus halte dafür, dass es in der Heilsgeschichte zwei Phasen gebe, eine „unter dem Gesetz“ und eine, die durch Tod und Auferstehung Christi eröffnet werde und unter der Leitung des Heiligen Geistes stehe (vgl. Gal 5,25). Dem Gesetz komme in der Heilsgeschichte die Rolle eines „Pädagogen“ zu, der das Volk der Glaubenden auf ihrem Weg zum „Meister“ begleite. Es helfe ihnen, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, und mache sie bereit, ihr Leben Gott anzuvertrauen.

Die Tora “hatte eine große Bedeutung für die Geschichte des Volkes Israel". Einerseits "hatte das Gesetz eine normative Seite, andererseits schützte es das Volk, unterwies es für das Leben und stärkte es in seiner Schwachheit”.

Die Bezugnahme auf das Gesetz in diesen Begriffen ermögliche es also Paulus, seine Funktion in der Geschichte Israels zu verdeutlichen. Die Tora “war ein Akt der Großzügigkeit Gottes gegenüber seinem Volk. Sicherlich hatte sie eine einschränkende Funktion, aber gleichzeitig hat sie das Volk geschützt, es erzogen, diszipliniert und in seiner Schwäche gestützt”.

Die Beziehung zwischen dem Gesetz und der Sünde werde der Apostel in seinem Brief an die Römer, der einige Jahre nach dem Brief an die Galater geschrieben worden sei, systematischer erklären. Kurz gesagt: “das Gesetz führt dazu, Übertretungen zu definieren und die Menschen auf ihre Sünde aufmerksam zu machen. Denn wie die Erfahrung lehrt, führt das Gebot dazu, dass die Übertretung gefördert wird”.

Im Brief an die Römer schreibe Paulus: “Denn als wir noch dem Fleisch verfallen waren, wirkten sich die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz hervorgerufen wurden, so in unseren Gliedern aus, dass wir dem Tod Frucht brachten. Jetzt aber sind wir frei geworden vom Gesetz, dem gestorben, woran wir gebunden waren, sodass wir in der neuen Wirklichkeit des Geistes dienen, nicht mehr in der alten Wirklichkeit des Buchstabens” (7,5-6). Lapidar lege Paulus seine Sicht des Gesetzes dar: “Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz” (1 Kor 15,56).

In diesem Zusammenhang sei der Verweis auf die pädagogische Rolle des Gesetzes durchaus sinnvoll. Im Schulsystem der Antike “hatte der Pädagoge nicht die Funktion, die wir ihm heute zuschreiben, nämlich die, die Erziehung eines Jungen oder Mädchens zu unterstützen”. Stattdessen sei er ein Sklave gewesen, dessen Aufgabe es gewesen sei, den Sohn des Herrn zum Lehrer zu begleiten und ihn dann nach Hause zu bringen. Auf diese Weise “musste er ihn vor Gefahren schützen und auf ihn aufpassen, damit er sich nicht schlecht benahm”. Seine Funktion sei eher disziplinarisch gewesen: “wenn der Junge erwachsen wurde, beendete der Pädagoge seine Tätigkeit”.

Aus diesem Grund halte der Apostel später inne, wenn er das Stadium der Minderjährigkeit beschreibe: “Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in keiner Hinsicht von einem Sklaven, obwohl er Herr ist über alles; er steht unter Vormundschaft und sein Erbe wird verwaltet bis zu der Zeit, die sein Vater festgesetzt hat. So waren auch wir, solange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte dieser Welt” (Gal 4,1-3).

Kurz gesagt: die Überzeugung des Apostels sei, dass das Gesetz zwar eine positive Funktion habe, die aber zeitlich begrenzt sei. Ihre Dauer könne nicht darüber hinaus verlängert werden, “denn sie ist an die Reifung des Einzelnen und seine Entscheidung für die Freiheit gebunden. Wenn man zum Glauben kommt, hat das Gesetz seinen propädeutischen Wert verloren und muss einer anderen Autorität Platz machen”.

Diese Lehre über den Wert des Gesetzes sei sehr wichtig und verdiene es, sorgfältig geprüft zu werden, um nicht in Missverständnisse zu verfallen und falsche Schritte zu unternehmen. Es werde uns gut tun, uns zu fragen, ob wir noch in der Zeit leben, in der wir das Gesetz brauchen, oder ob wir uns bewusst seien, dass wir die Gnade empfangen haben, Kinder Gottes zu werden, um in der Liebe zu leben.

Die Pilger und Besucher sowie die Zuschauer und Zuhörer aus dem deutschen Sprachraum grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:

Ein herzliches Willkommen allen Brüdern und Schwestern deutscher Sprache! Danken wir dem Herrn für diese Ferienzeit, die auch eine Gelegenheit ist, unseren Lieben mehr Zeit zu widmen. Die Selige Jungfrau Maria möge euch allezeit behüten und begleiten.

 


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