„Die Feier des Gottesdienstes ist der zentrale Auftrag der Kirche“

22. September 2021 in Deutschland


Predigt von Kardinal Marx zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Fuldaer Dom


Fulda-Bonn (kath.net/DBK) „Es ist kein Naturgesetz, dass Religion in der modernen Welt weniger wahrnehmbar wird. Diskussionen, welche Formen Religion annimmt, sind nicht vorbei. Es geht nicht darum, dass Religion aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Aber sie verläuft sich, wird in Gruppen gelebt, von manchen für die eigenen Zwecke missbraucht. Das ist das allgemeine Bild von Religion wie sie sich heute oft zeigt.“ Diese Auffassung hat heute Morgen (22. September 2021) Kardinal Reinhard Marx (München und Freising) in seiner Predigt während der Eucharistiefeier im Fuldaer Dom vertreten. Er forderte dazu auf, sich der Frage, was Religion bedeute, zu stellen: „Was wird uns von der Tagesordnung der Welt auf die Liste gesetzt? Was ist das Wesentliche der Religion für einen katholischen Christen? Was bewegt die Kirche heute, auch wenn sie manches Mal dort Zuspruch findet, wo sie es nicht erwartet?“

Kardinal Marx erinnerte an den Religionsphilosophen Jürgen Habermas, der in einem seiner jüngsten Bücher darüber nachgedacht habe, was Religion und Metaphysik bedeuten. Am Ende des Werkes komme er zu dem Schluss, dass Religion ein vernünftiger Gottesdienst sei: „Solange mitten in der modernen Welt Gottesdienst gefeiert wird, solange also gebetet wird, bleibt das ein Stachel im Fleisch der Moderne, das ist die These von Jürgen Habermas“, so Kardinal Marx. Er fügte hinzu: „Aber es muss auch ein Gottesdienst sein, der anschlussfähig ist, sinnvoll, bedeutsam, der etwas zu sagen hat für alle.“

Mit Blick auf die Schriften des Alten Testamentes erinnerte Kardinal Marx an die Konzentration des jüdischen Glaubens in der Zeit der Bedrängnis auf den Kult. Der Tempelkult sei der zentrale Punkt für eine Neuidentität, ja eine Neusammlung des Volkes Israel geworden: „Da ist etwas Wahres dran. Nicht die politische Bedeutung, nicht einmal die ethische Dimension sind die entscheidenden Punkte, da gibt es viele Vergleichbarkeiten in den Religionen. Aber die Frage, ob es Gott gibt und ich ihm wirklich begegnen kann, ob der Himmel sich öffnet, ob wir etwas feiern, was wir uns nicht gegenseitig schenken können, das kann nur im Gottesdienst geschehen“, so Kardinal Marx. „Der Gottesdienst ist das Zentrum des Religiösen. Und wie es Jürgen Habermas sagt: Eine Religion ohne Kult hat keinen Sinn.“

Kardinal Marx warnte in seiner Predigt vor Äußerlichkeiten des Gottesdienstes. „Es ist eine Gefährdung, den Kult, den Gottesdienst einfach als etwas zu betrachten, das uns herauslöst, uns zu etwas Besonderem macht. Der Gottesdienst, den die Kirche feiert, ist ein Gottesdienst des Reiches Gottes. Die Sakramentalität steht im Zentrum des katholischen Lebens. Wenn wir das vernachlässigen, werden wir den Weg nicht in die Zukunft gehen können. Das Reich Gottes geschieht, es ist sichtbar, wenn wir miteinander Eucharistie feiern. Die Sakramente erstrecken sich auf das ganze Leben. Sie sind keine Flucht vor der Realität des Lebens, sondern sie sind Bestandteil unserer Existenz.“

Kardinal Joseph Ratzinger habe einmal festgehalten, dass das Geschick der Kirche an der Liturgie hänge. Das hätte mancher missverstehen wollen. Aber es sei, so Kardinal Marx, genau der Dreh- und Angelpunkt: „Die Feier des Gottesdienstes ist der zentrale Auftrag der Kirche. Wenn wir einen Gottesdienst feiern, wo sich der Himmel und die Herzen öffnen, wo die Seelen geheilt werden, dann bleibt das in der modernen Gegenwart ein Stachel im Fleisch der Welt, die meint schon alles erledigt zu haben und alles zu können.“ Kardinal Marx fügte hinzu: „Dann werden die Fragen, wer ist zugelassen, was ziehen wir an, wer steht den Feiern vor, nicht mehr so wichtig sein wie wir meinen. Unser Grundauftrag ist es, den Gottesdienst so kraftvoll zu feiern, damit etwas deutlich wird von dem, was Jesus das Reich Gottes nennt.“

Archivfoto Kardinal Marx (c) Erzbistum München und Freising


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