Georg Hegel, Bischof von Limburg: "Ja, ich kann!"

23. November 2021 in Aktuelles


"Höhere Kleriker, etwa vom Domkapitular aufwärts, auch mancher 'Why?bischof' oder Generalvikar, empfinden ihre Laufbahn, frei nach G.W.F. Hegel, nicht selten als glückseligen Aufstieg im Geiste" - Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Dr. habil. Mag. phil. lic. theol. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) war nie Bischof, sondern nur ein Professor, aber einer, der "Schule machte". Als Mitglied der preußischen Staatskirche wurde er in Berlin mehr und mehr zum preußischen Staatsphilosophen. In seiner Jugend sympathisierte er mit der französischen Revolution und begegnete 1806 in Jena sogar Napoleon, der "Weltseele zu Pferde". Er hat immer noch Schüler. Ein Weltgeist zu Fuß gab neulich ein Interview, das vielerorts bereits gewürdigt wurde, auch vorzüglich von Peter Winnemöller hier. Die selbstgestellte Frage, ob er sich "bildhaft vorstellen" könne, Frauen im sakramentalen Amt zu sehen, beantwortete sich Georg Bätzing so: "Ja, das kann ich". Damit geht er steil, aber noch nicht allzu steil gegen 'Ordinatio sacerdotalis' von 1994 vor, die definitiv negative Entscheidung dazu. Mit der verschlagenen Einkleidung in eine nur "bildhafte Vorstellung" weicht der DBK-Chef dem frontalen Konflikt aus, der mit seiner Resignation enden müsste. Denn zu fordern hat der einstmals allzu "ängstliche" (glaubenstreue) Limburger Gernegroß da gar nichts. Neue Kirche, neues Glück? Als welche Kirche entwerfe ich mich denn heute mal? "Ich bin es, ich kann es! Wir schaffen das!"

Der polnische Dominikianer Wojciech Gołaski OP hingegen schrieb einen bemerkenswerten Brief an Papst Franziskus und andere Kirchenobere. Anlass war der aktuelle Terror gegen die ältere römische Liturgie. Ich zitiere hier nur, der Übersetzung von Michael Charlier folgend, die Bemerkungen zum "Hegelianismus" in der Kirche der Gegenwart: Hegelianismus bezeichne hier  "nicht wörtlich das System des Philosophen Hegel, sondern etwas, das von seinem System abgeleitet ist, nämlich das Verständnis von Geschichte als eines guten, rationalen und unvermeidlichen Prozesses andauernder Veränderungen. Dieser Denkansatz hat eine lange Geschichte von Heraklit und Plotin über Joachim von Fiore bis zu Hegel, Marx und deren modernen Erben. Charakteristikum dieses Ansatzes ist die Einteilung der Geschichte in Phasen derart, dass der Beginn jeder neuen Phase mit dem Ende der vorhergehenden verbunden ist. Versuche, den Hegelianismus zu „taufen“, bedeuten nichts anderes als den Versuch, diese angenommenen historischen Phasen mit der Autorität des Heiligen Geistes auszustatten. Dabei wird angenommen, dass der Heilige Geist der nächsten Generation etwas mitteilt, von dem er zur vorhergehenden noch nicht gesprochen hat, oder dass er sogar etwas mitteilt, das im Gegensatz zu dem steht, was er vorher gesagt hat. Im letzteren Fall müssen wir uns zwischen drei Alternativen entscheiden: Entweder ist die Kirche in bestimmten Phasen dem Heiligen Geist nicht gefolgt, oder der Heilige Geist ist der Veränderung unterworfen, oder er enthält Widersprüche in sich selbst.

 

Eine andere Konsequenz dieser Weltanschauung ist eine Veränderung unseres Verständnisses von Kirche und Tradition. Die Kirche erscheint dann nicht länger als eine Einrichtung, die die Gläubigen aller Zeiten miteinander vereint, wie es der katholische Glaube annimmt, sondern als eine Mehrzahl von Gruppen entsprechend den jeweiligen Phasen. Diese Gruppen haben keine gemeinsame Sprache mehr, unsere Vorfahren hatten keinen Zugang zu dem, was der Heilige Geist uns heute mitteilt. Die Tradition selbst ist nicht länger eine Botschaft, die im Zusammenhang studiert wird, sondern sie besteht eher darin, immer wieder Neues vom Heiligen Geist zu empfangen. Dann ist, wie in Ihrem Brief [des Papstes] an die Bischöfe, die Rede von der „Dynamik der Tradition“, oft im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen. Ein Beispiel ist es, wenn Sie schreiben, dass die „letzte Stufe dieser Dynamik das Zweite Vatikanische Konzil ist, bei dem sich die katholischen Bischöfe versammelten, um zuzuhören und zu ergründen, welchen Weg der Heilige Geist der Kirche zeigt“. Diese Argumentation impliziert dann auch, dass eine neue Phase neue liturgische Formen erfordert, da die früheren zwar dem vorherigen Stadium entsprachen, das aber nun vorbei ist. Da diese Abfolge der Stadien durch das Konzil vom Heiligen Geist vorgegeben ist, widersetzen sich diejenigen, die an den früheren Formen festhalten, obwohl sie Zugang zu den neuen hätten, dem Heiligen Geist.

Derartige Ansichten widersprechen dem Glauben. Die Heilige Schrift als die Grundlage des katholischen Glaubens bietet für ein solches Geschichtsverständnis keine Grundlage. Statt dessen lehrt sie uns ein vollständig anderes Verständnis. Als König Josia von der Entdeckung des alten Gesetzbuches erfahren hatte, ordnete er an, die Feier des Paschafestes nach dessen Vorgabe durchzuführen, obwohl es eine Unterbrechung von einem halben Jahrhundert gegeben hatte (2 Könige 22-23). In der gleichen Weise feierten Ezra und Nehemia bei ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft das Laubhüttenfest mit dem ganzen Volk genau nach der Vorgabe der alten Gesetzesvorschriften, obwohl seit der letzten Feier viele Jahrzehnte vergangen waren (Nehemia 8). In beiden Fällen wurden die alten Gesetzestexte verwandt, um den Gottesdienst nach einer Periode der Verwirrungen zu erneuern. Niemand verlangte eine Veränderung der Riten, weil eine neue Zeit angebrochen wäre."

 

Woher nahm Hegel nur den Stolz, den Gang des Weltgeistes durchschaut zu haben? "Ich kann es, ich bin es?" Man täte dem "Weltethos-Propheten" Hans Küng zuviel Ehre an, würde man nur ihm allein die Hegelisierung der "deutschen Kirche" anlasten, wiewohl er eine Habilitationsschrift zu Hegel vorbereitete. Gegen Hegel und andere ist zu sagen, dass die Kirchengeschichte kein aufsteigender Prozess von Alpha nach Omega sein kann. Sie ist ein Pilgerweg, suchend dem Herrn entgegen, das aber zu jeder Zeit. Bloße "Veränderung" der Kirche war nie Inhalt des Evangeliums. Immer "zu reformieren" hat sich die Kirche, indem sie eine immer größere Nähe zu Christus suchen will, nicht aber "höhere" Existenzweisen ihrer selbst entwirft, im Kontext immer neuer gesellschaftlicher Verhältnisse. Es würde zu weit führen, hier die Philosophie der Negation nach Hegel aufzubereiten. Aus ihr sind aber maßgeblich die schlichten Parolen hervorgegangen, dass die Negation der Gegenwart schon die bessere Zukunft heraufführe. Negation der Tradition bringe Fortschritt, demnach auch Negation der Sakramente die Heiligkeit? Negation des Priestertums die 'not-wendige' Freiheit der Christenmenschen? Die Reformation hat das Weihepriestertum verneint, aber so in einem komplexen, fast dialektischen Prozess eine neue Kirche geboren, die praktisch nur noch aus - heute rot/grün - staatswohlgefälligen Beamten (und Beamtinnen) besteht, von wenigen altcalvinistischen oder altlutherischen "Pharisäern" mal abgesehen. Soll jetzt der ehemals katholische Zweig der "deutschen Kirche" sich daran anschließen?

Höhere Kleriker, etwa vom Domkapitular an aufwärts, auch mancher 'Why?bischof' oder Generalvikar, empfinden ihre Laufbahn, frei nach Hegel, nicht selten als glückseligen Aufstieg im Geiste, bei dem sie die seriösen frühen Jahre in religiösem Ernst überwinden und zu einer immer freieren Entfaltung ihrer "Berufung" fortschreiten. Manchmal hat aber zuviel Umgang mit Geld oder Macht und vielleicht auch Sex  tatsächlich einen spirituellen Zerfall begünstigt. Umso mehr erachten sie es für "absolute Hybris", wenn man ihrem proklamierten 'Perspektivwechsel' fragend entgegenhält, dass doch wohl ein sehr enger Zusammenhang zwischen den Vermögensvorteilen und insgesamt ihrer Vermögensverwaltung, dem ekklesialen Wohlleben also, und der geforderten Modernität bestehe. Ein völlig auf die Bewahrung des vorteilhaften Systems ausgerichtetes 'Reformprogramm' spielt mit heute positiv besetzten Sprachbildern, will aber eine Struktur bewahren, die mehr und mehr zum Selbstzweck wird. Es wäre an der Zeit, eine Theorie des kommunikativen Handelns in konfessionellen Systemen zu erarbeiten. Denn die kirchliche Kommunikation scheitert regelmäßig, seit sie die überlieferten Begriffe "mutig" verlassen hat (etwa von Sünde, Buße und Erlösung). Die neuen Ufer der progressiv fortschreitenden Kirche-im-Werden werden nicht erreicht. Warum findet das "Gespräch", das angeblich immer alle "suchen", so selten statt? Die Kirche, nicht nur die katholische, aber bei den evangelischen Gemeinden ging es um Staatstreue statt Papsttreue, kommunizierte von "oben nach unten". Das war tolerabel, solange es für alle ums Seelenheil ging und deshalb alle "nach oben" gehorchten, übrigens auch der Papst. Der neue Stil hat nicht das Hinhören von außen nach innen gestärkt, sondern die Ermessenspielräume stark erweitert, und damit auch gelegentlich die Missbrauchs-Spielräume, die heute mittlere "Tyrannen" gegenüber den kleineren "Despoten" haben. Jetzt wollen alle bestimmen, herrschen, verfügen und jeder weiß immer alles besser, insbesondere weiß "jede" (Behördenchefin, Beschwerdemanagerin, Bischofsjustiziarin usw.) auch alles besser als jeder "er". Beim ewigen Tanz um den "goldenen Bischof" inmitten seiner Diözese darf natürlich eine vordergründige Heiterkeit im stets wertschätzenden Ton nicht fehlen. Heiterkeit? Denn "der Rest" teilt sich die Beute auf: Christ ist man bei angenehmen Temperaturen, bei gutem Essen, einem stattlichen Weinkeller und exquisitem Mobiliar. "Genießen Sie Ihr Amt?" "Ja, das kann ich!" Manche Klerokraten haben in jüngster Zeit zwar demonstrativ auf kleinere Autos umgestellt. Aber man kann sich jede Premiumkarosse leisten. Darin zeigt sich der Fortschritt des Christentums? Der Vater fuhr als kleiner Eisenbahner vielleicht einen Audi 80. Dann streicht der Sohn als klerikaler Aufsteiger in aller Demut die Null weg und hat einen rasanten A 8 zur Verfügung! Man gönnt sich ja sonst nichts. "Domine, ex-audi nos!"

 

Schon systemtheoretisch ist es pikant, wenn eine Institution den ihr Unterworfenen nicht mehr gestatten will, die expliziten Inhalte ihres eigenen Systems gegenüber den Meinungsführern ihrer selbst überhaupt noch anzusprechen. Gott als ein Prozess der Erfahrung, Jesus als Narrativ eines numinosen Paradigma, die "Geistkraft" als meine Inspiration unterwegs: führen zu einer Kirche, die verwaschen "hegelt" anstatt zu christianisieren. 'Macht kaputt, was Euch kaputtmacht.' Hegel folgen? "Ja, das kann ich!"


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