Die Gottlosigkeit – das Grundproblem unserer Zeit

30. Juli 2022 in Spirituelles


Tugenden für unsere Tage: Angstfreiheit, sichere Hoffnung, Engagement - Ein Kommentar von Christof Gaspari / VISION 2000


Wien (kath.net/www.vision2000.at)

Ich gehöre zu jener Generation, die den Aufbruch nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs miterlebt und die Hoffnungen geteilt hat, dass mit den neuen Methoden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Welt zum Besseren verändert werden würde. Und tatsächlich war das, was sich ab den späten fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts abgespielt hat, wirklich eindrucksvoll: ein Anstieg des Lebensstandards, den Generationen vor uns für unmöglich gehalten hätten, eine Verlängerung der Lebenserwartung um 10 Jahre, eine technische Revolution ohne gleichen – man denke an das Allround-Gerät Handy –, eine weltweite Reisetätigkeit…

Kein Wunder, dass diese Erfolgsgeschichte das Denken der Menschen geprägt hat. Der Glaube an die Wissenschaft, die sich dem Evolutionismus verschrieben hatte, an die Allmacht der Technik und an den unaufhaltsamen Aufstieg des Menschen zu irdischem Glück verdrängte den von der Kirche verkündeten Glauben an die Schöpfung durch Gott und an eine endgültige Erfüllung erst im Jenseits. In die Defensive gedrängt, machte sich in der Kirche Verunsicherung breit. Tendenzen, die Lehre an den so erfolgreichen Zeitgeist anzupassen, erfassten wachsende Teile der Theologie im prosperierenden Westen. Die Kirche müsse die Erkenntnisse der Sozialwissenschaft berücksichtigen und dürfe nicht an der Lebensrealität der Menschen vorbeigehen, hieß es.

Die Folge: Verwässerung der Lehre, Verunsicherung im Kirchenvolk und massive Abkehr vom Glaubensleben. Heute ist die traditionelle Zugehörigkeit zur Kirche weitgehend verloren gegangen. Taufe, Firmung Eheschließung, Begräbnis – soweit überhaupt noch gefeiert – sind vielfach zu Ritualen verkommen, die kaum noch verstanden werden und schon gar nicht prägend wirken. Sie verkümmern zu rein diesseitsbezogenen Ereignissen. Erst kürzlich habe ich an einer Erstkommunionfeier teilgenommen, die zwar liebevoll und bemüht arrangiert, aber als heilige Handlung kaum noch erkennbar war.

In diesem Umfeld versucht die Kirche, sich als nützliche Einrichtung darzustellen, die für das Hier und Jetzt attraktive Angebote und Lösungen anbietet: eine gute Altenbetreuung, ihre Sorge um gestrandete Existenzen, ihre wertvollen Entwicklungsprojekte in der Dritten Welt, die Erhaltung der kostbaren Bausubstanz von Kirchen und Klöstern, ihr Engagement bei der Erhaltung der Umwelt… Keine Frage: All das sind wertvolle Dienste, die geleistet werden sollen. Aber eigentlich ist das nicht der Kern ihres Auftrags.

Dieser ist nämlich am Schluss des Markus-Evangeliums nachzulesen: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ Und was ist nun dieses Evangelium, die Frohe Botschaft? Dass es Gott gibt, dass Er Mensch geworden ist, als solcher vor 2000 Jahren geboren wurde, unter Seinen Zeitgenossen gelehrt und gewirkt sowie bei den Mächtigen Seiner Zeit Anstoß erregt hat – so sehr, dass sie Ihn umgebracht haben. Aber dabei ist es nicht geblieben. Vielmehr ist Er in einer neuen, nicht an Zeit und Raum gebunden Weise Seinen Jüngern erschienen, hat mit ihnen gegessen und getrunken und sie ausgesandt zu verkünden, dass der Weg zu einem wirklich erfüllten Leben über Ihn führt. Die Welt soll wissen, dass Gott uns liebt und auf der Suche nach den Menschen ist, dass Er ihnen schon hier im Irdischen nahe sein und beistehen will. Vor allem aber, dass Er die Menschen für eine Exis­tenz jenseits des irdischen Todes bestimmt hat, in der Er „alle Tränen von ihren Augen abwischen (wird): Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal…“ (Offb 21,4)
Diese Botschaft, dass Jesus Christus, der den Tod besiegt hat, der Herr ist, ist das eigentliche Kapital der Kirche. Gerade in unserer Zeit muss sie verkündet werden, jetzt da immer deutlicher wird: Das von Menschen gemachte Schlaraffenland funktioniert immer weniger – und es macht auch nicht wirklich glücklich. Ja, es ist sogar extrem bedroht, wie uns die Entwicklungen der letzten Zeit nur allzu deutlich vor Augen führen. Überall Probleme, Krisen und kaum eine Perspektive für gedeihliche Lösungen.

Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit gekommen, aus der Deckung zu steigen und einer Welt, die an ihrer Gottlosigkeit zugrunde zu gehen droht, Jesus Christus als einzige Hoffnung anzubieten? Ja, die Gottlosigkeit ist nämlich das eigentliche Problem unserer Tage. Sie hat zur Folge, dass der Mensch die Weite des Horizonts für sein Leben verliert, dass er meint, im Hier und Jetzt alles Glück ausschöpfen und seine Lebensqualität optimieren  zu müssen. Sobald jedoch wirkliche Probleme diese „Qualität“ bedrohen, verliert diese Art von Leben dann aber ihren Sinn. Es wird weggeworfen oder abgeschafft. Daher auch die fortschreitende Bewegung hin zur Euthanasie – eine Entwicklung, die nach den Gräueltaten der Nazis endgültig ausgeschlossen schien.

Wir Christen sind aufgerufen, die Gottlosigkeit als Grundproblem unserer Zeit zu begreifen. Nur in deren Beseitigung und in der Hinwendung zu Jesus Chris­tus gibt es Hoffnung. Das sollte zumindest uns Christen endlich bewusst werden, damit wir beginnen, unseren Minderwertigkeitskomplex und unsere Schamhaftigkeit, uns zu Chris­tus zu bekennen, aufzugeben.
Wie dringend dies ist, wird deutlich, wenn man die jüngste Botschaft aus Medjugorje liest. Da heißt es einleitend: „Liebe Kinder, ich sehe euch an, und ich sehe, dass ihr verloren seid. Deshalb rufe ich euch auf: Kehrt zu Gott zurück, kehrt zum Gebet zurück…“ Hier wird eine Tatsache formuliert, um die der Mensch auf lange Sicht nicht herumkommt: Ohne Gott, ohne Gebet ist er verloren. Das klar auszusprechen, ist nicht Ausdruck von Frömmelei, sondern Aufzeigen der einzig sinnvollen Überlebensstrategie.

Und das verkündet die Gottesmutter seit gut zwei Jahrhunderten, wie Damien Sanchez, der kürzlich ein Buch über Marienerscheinungen veröffentlicht hat, im Interview feststellt. Seit der Erscheinung in La Salette (1846) spricht die Gottesmutter über die Letzten Dinge. Sie wiederholt den Aufruf, Gott an die erste Stelle im Leben zu setzen. Schließlich lesen wir ja auch im Evangelium: „Ohne mich könnt ihr nichts vollbringen.“ – jedenfalls nichts, was wirklich Leben spendet!

Es ist daher höchste Zeit, so zu beten, wie es die ersten Christen getan haben: „Komm, Herr Jesus!“ In seiner Ansprache bei der Generalaudienz am 12. November 2008 kam Papst Benedikt XVI. auf das Thema der Letzten Dinge, des Todes und des Endes der Welt zu sprechen. Er sagte damals: „Sicher wollen wir nicht, dass jetzt das Ende der Welt kommt. Aber andererseits wollen wir auch, dass diese ungerechte Welt zu Ende geht. Auch wir wollen, dass die Welt grundlegend geändert wird, dass die Zivilisation der Liebe anbricht, dass eine Welt der Gerechtigkeit, des Friedens kommt, ohne Gewalt, ohne Hunger. Das alles wollen wir: Und wie könnte das ohne die Gegenwart Christi geschehen? Ohne die Gegenwart Christi wird es nie eine wirklich gerechte und erneuerte Welt geben.“

Und welchen Beitrag sollten wir Christen in dieser Situation leisten? Drei Grundhaltungen legt uns Benedikt XVI. nahe: Zunächst Angstfreiheit, denn „keiner ist stärker als Christus, da Er beim Vater ist, da Er bei uns ist.“ Weiters: „Eine Hoffnung, die Sicherheit gibt und Mut macht, sich der Zukunft zu stellen.“ Und schließlich Verantwortung für die Welt, denn „wir haben Talente erhalten, und wir sind beauftragt, dafür zu arbeiten, dass sich diese Welt Christus öffnet und erneuert wird.“

Das heißt: Schluss mit der kirchlichen Nabelbeschau, mit der Anpassung an ein gescheitertes Welt- und Menschenbild, mit dem katholischen Minderwertigkeitskomplex… Die Apostelgeschichte, die wir nach Ostern gehört haben, zeigt, wie Chris­ten in einer feindlichen Umwelt auftreten sollten. Jedes Jahr bin ich erneut beeindruckt von den Worten, die Petrus zu den Mächtigen seiner Zeit spricht, die wenige Wochen zuvor Christus umgebracht hatten: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ Wir sollten es ihm nachmachen.


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