Die Tolkien-Provokation

22. September 2022 in Kommentar


Filmkritik: An Amazons neuer Serie „Rings of Power“ scheiden sich die Geister. Zurecht. Wer das Werk von J.R.R. Tolkien bewundert und dessen Werte teilt, der bekommt einen Schlag ins Gesicht versetzt - Gastkommentar von Armin Haiderer


St. Pölten (kath.net)

Der neue, „verbesserte“ Tolkien

Das Internet glüht. Der Herr der Ringe-Ableger „Rings of Power“ sorgt für ordentlich Aufruhr. Begonnen hat alles mit Trailern zu dieser Amazone-Serie, die zwar nichts über die Handlung verraten haben, sehr wohl aber die Agenda im Hintergrund sichtbar machten. Bestätigt von Showrunnern und Schauspielern wurde schnell klar: Hier geht es um Diversity, Political correctness und um viel Geld. So hat die Serie ein Budget das größer ist als Bruttoinlandsprodukt so manchen Staates. Um was übrigens dabei nicht geht, das ist eine authentische und wertschätzende Umsetzung von Tolkiens Vision und Welt.

Und tatsächlich: Die bisherigen Episoden lassen die Befürchtungen der Skeptiker wahr werden: Den Machern geht es um eine bewusste Neuschöpfung von Tolkiens Werk, so wie es ihrer Meinung nach sein sollte. Diese Anmaßung erzürnt naturgemäß die Fangemeinde. LGTBQ sowie „unterrepräsentierten Ethnien“ oder Allegorien. etwa kommen bei Tolkien selbst überhaupt nicht vor. Daher gibt es Bestrebungen, diese Elemente verstärkt einfließen zu lassen, um so Tolkien zu „korrigieren“.

So finden sich dunkelhäutige Elben, Zwerge oder Hobbits (Verzeihung: Harfüße) ebenso in der Serie wie jede Menge unsympathischer und dummer Männer, aktuelle politische Anspielungen sowie ganz viele ausnahmslos starke und - ganz wichtig - von Männern unabhängige Frauen. So weit, so divers. Doch jede kritische Hinterfragung dessen wurde von Amazon als Frauenfeindlichkeit und Rassismus im Keim erstickt. Diese Vorgehensweise kennt man zur Genüge aus anderen und ähnlichen Diskussionen.

Schauspiel, Charaktere, Drehbuch

Vor diesem Hintergrund scheiden sich auch am „Handwerk“ der Serie die Geister. Zugegeben: Optisch hat die Serie einiges zu bieten, was man aber bei einer Milliarde an Budget durchaus erwarten darf. Und es ist ganz klar, dass man bei Literaturverfilmungen gewisse Adaptionen vornehmen muss. Das hat Peter Jackson 2001 bis 2003 ja auch getan. Doch das Drehbuch ist schlampig und schwach, die Charaktere verhalten sich oft nicht nachvollziehbar und es gibt nicht wenige Recherchefehler. Stark in der Kritik steht die Hauptdarstellerin Morfydd Clark. Ihre Darstellung der Galadriel sorgt für großen Diskussionsstoff. Tolkien selbst ließ in diesen Charakter eine große Menge an Mariensymbolik miteinfließen. Davon kann nun freilich keine Rede mehr sein. Clarks Figur wird auch „Guyladriel“ genannt, weil sie ganz bewusst männliche Züge trägt, was aber unfreiwillig peinlich wirkt. Dazu passt, dass Clark nach (Kampf)Szenen sogar eine psychologische Therapie in Anspruch nehmen musste

Katholizität als Malus

Die Serienmacher weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Tolkien aus seinem katholischen Verständnis her Dinge wie ethnische Diversität oder den Blick auf sexuelle Vielfalt vernachlässigt habe. Das ist zweifelsohne richtig und liegt vermutlich auch daran, dass dies in den Jahren des Zweiten Weltkrieges überhaupt kein essentielles gesellschaftspolitisches Thema war. Aber jedes Mal, wenn der Bezug zu Tolkiens Katholizität kommt, wird dies als Malus behandelt, als etwas das er „leider“ auch hat und dass man irgendwie ausbessern müsse.

Schiefe Optik

Die Debatte hat freilich großen Zündstoff: Tolkiens Bücher gehören zu den meistgelesenen Werken des 20. und 21. Jahrhunderts, der Einfluss von Büchern und bisherigen Filmen ist für mehrere Generationen kaum zu überschätzen. Die Bewertungen der Serie durch Kritiker sind übrigens recht gut („jeder liebt die Show, außer ein paar frauenfeindliche Rassisten.“). Bei Fans, die mit Tolkien vertraut sind, fällt die Serie aber größtenteils durch. Amazon verhängte sogar einen dreitägigen Stopp für Fanreviews. Dazu passt, dass meine eigene Amazon-Rezension, die logischerweise sehr kritisch, aber doch höflich ausfielen, entweder gelöscht oder gar nicht veröffentlicht wurde. Bisher schon drei Mal.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Amazons Werk Tolkiens Namen trägt, ebenso wie die handelnden Figuren. Mit Tolkiens Schaffen oder gar seiner Vision hat diese Serie aber selbst bei viel Fantasie wenig zu tun. Was Tolkien von Disney hielt, wissen wir: Er empfand Abscheu vor diesen Produktionen. Ob er nun tatsächlich mit Amazon und „Rings of Power“ glücklicher ist - das darf fürwahr bezweifelt werden. Oder wie es unlängst Elon Musk in einem Tweet bezeichnete: „Tolkien is turning in his grave“.

Der Autor ist Theologe und Historiker und beschäftig sich seit vielen Jahren privat und akademisch mit dem Werk J.R.R. Tolkiens.

 

FOTO: Pixabay


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