Lemberger Bischof: Krieg ist "Genesung vom Sowjetvirus"

25. September 2022 in Weltkirche


Weihbischof Hrutsa "Die Menschen in der Zentral- und Ostukraine wüssten jetzt, was "Befreiung" im Sinne der russischen Propaganda bedeute: "Genozid, Torturen. Jemand kommt und zerstört mein Haus, die Schulen, Krankenhäuser und Bahnhöfe"


 Lviv (kath.net/KAP) Von einer "Genesung vom Sowjetvirus" spricht der Lemberger griechisch-katholische Weihbischof Volodymyr Hrutsa im Blick auf den Ukrainekrieg. In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Tagespost" verurteilte der Bischof im Interview den russischen Imperialismus: "Gibt es ein Imperium, dann muss es auch Kolonien geben. Und in den Kolonien müssen dann auch Knechte sein." Die einfachen Leute hätten sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst um Essen und Trinken gesorgt. Jetzt erst sei sehr klar geworden, "dass die Ukraine nie mehr irgendeine Kolonie sein wird".

Das sei auch ein Verdienst der Kirche: "In der Sowjetunion war unsere griechisch-katholische Kirche verfolgt, weil sie die Wahrheit gepredigt und gelehrt hat, auch weil sie immer bewusste Bürger der Gesellschaft hervorgebracht hat." Hrutsa weiter: "Für mich ist ganz klar: Wenn ein Mensch moralisch lebt, ist er zugleich auch ein bewusster Staatsbürger und einen solchen kann man nicht manipulieren. Er kann kein Knecht mehr sein, denn er hat ja ein bürgerliches Bewusstsein und ist sich über seine Menschenwürde im Klaren." Der Krieg sei diesbezüglich eine "Genesung vom Sowjetvirus". Es seien noch einige Generationen da, die von der Sowjet-Zeit beeinflusst sind.

Deswegen würde er auch nicht sagen, "dass wir von heute auf morgen ganz andere werden". Aber die Menschen in der Zentral- und Ostukraine würden sich immer mehr dessen bewusst, worum es eigentlich geht. Jetzt wüssten sie, was "Befreiung" im Sinne der russischen Propaganda bedeute: "Genozid, Torturen. Jemand kommt und zerstört mein Haus, die Schulen, Krankenhäuser und Bahnhöfe." Die Ukraine sei dankbar für die Solidarität Europas, so der Bischof weiter: "Die Ukraine versteht sich als Teil Europas, und wenn die Ukraine blutet, blutet früher oder später auch Europa." Er wünsche sich zudem, so Hrutsa, "dass die Wahrheit anerkannt wird". Wenn jemand Zweifel habe, was die Wahrheit über diesen Krieg ist, "kann er jederzeit herkommen und selbst sehen. Es ist ein Unterschied, ob man nur erzählt bekommt, was passiert, oder ob man die bedürftigen Menschen, die Kinder, die jetzt ohne Väter leben müssen und die Verletzten mit eigenen Augen sieht."

In der Begleitung der Menschen, die viel Leid erfahren mussten, versuche er, nicht viel zu sagen. "Es ist wichtig, Zuhörer zu sein, weil diese Menschen viel zu sagen haben." Der Mensch könne auch sehr viel ertragen, "wenn er weiß, wofür", betonte der Weihbischof: "Der Glaube, das Gebet, die Sakramente, die Solidarität, all das gibt den Menschen ein Fundament." Traumatisierungen nicht unterschätzen Man dürfe zudem bei Traumatisierungen auch die psychische Seite nicht unterschätzen. Hrutsa: "Vor drei Tagen haben wir in unserem diözesanen Haus der Barmherzigkeit ein Beratungszentrum eröffnet, in dem glücklicherweise alles zusammenkommt: Beratung, Psychotherapie und Seelsorge. Aber nicht jedes Problem ist ein Fall für die Psychotherapie. Hat der Mensch Schuldgefühle, dann will er Vergebung erlangen - dafür ist die Beichte da." Er predige vor allem das Evangelium, die Frohe Botschaft. Im Evangelium gebe es das Leiden und das Kreuz genauso wie die Auferstehung. "Auch mit den Menschen, die jetzt in der Ukraine sterben und ins Grab gelegt werden, stirbt Christus. Mit ihnen wird er auch auferstehen!"

 

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