Oasen in der Wüste. Von der ‚Volkskirche‘ zur ‚Gemeindekirche‘

30. März 2024 in Aktuelles


Wie lange noch wird dieser sich selbst genügende Apparat vor sich hinklappern, der den Auftrag des Herrn ‚Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium‘ stillschweigend überhört? Von Walter Kardinal Brandmüller


Rom (kath.net/wb/as) „Und nun muss der Christ, der Katholik in dieser menschlichen, kulturellen Wüste Oasen finden, schaffen, in denen er noch frei atmen     und überleben kann“.

„Nun stellt sich die Frage, wie die Kirche, wie Katholiken auf diese nicht ohne eigene Schuld entstandene Situation antworten sollten“.

„Je mehr der gott-lose Zeitgeist der Kirche ins Gesicht bläst, desto notwendiger wird der enge Schulterschluss zwischen Gläubigen und Priestern. Vielleicht sagen dann, wie einst so auch „Heiden“ von heute – im Blick auf die Christen – „seht, wie sie einander lieben“. Und diese Erfahrung könnte auch    heute wieder ihre missionarische Wirkung entfalten.

So könnten in der Tat lebendige Gemeinden wie Inseln im Meer den orientierungslos auf den Wogen des Zeitgeistes treibenden Menschen sicheren Hafen bieten“.

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Von Walter Kardinal Brandmüller

Wie zu erwarten war: der „Synodale Weg“ ist längst dabei, sich im Weglosen zu verlieren. Die trotzigen Versuche von berufskatholischen „Funktionär:innen“, vor dieser Wirklichkeit die Augen zu verschließen, werden – gleich ihrem „Synodalen Weg“ – in Frustration enden. Es bleibt die leichtsinnige Verschwendung von Millionen an Kirchensteuergeldern und, was viel schlimmer ist, Zwietracht in zentralen Fragen des Glaubens und der Sittenlehre, selbst innerhalb des Episkopats, und damit schwerwiegender Schaden für die Einheit mit der gesamten Kirche. Schon ist von Häresie und Schisma die Rede.

Hinzu kommt der Massenabfall vom Glauben – von den einmal getauften Katholiken nehmen heute noch etwa 5 Prozent am gottesdienstlichen, sakramentalen Leben der Kirche teil. Die Priesterseminare sind, wenn nicht überhaupt geschlossen, nur schwach besetzt. Doch es muss auch unterstrichen werden: die Orte der Ausbildung einiger Gemeinschaften (zum Beispiel Priesterbruderschaft St. Petrus, Institut Christkönig, Gemeinschaft Sankt Martin, Heiligenkreuz), die sich durch ihre  Liebe zur Liturgie und zur Kirche auszeichnen, erfreuen sich eines regen wachsenden Lebens. Sie stehen im aktiven Dienst der wahren Erneuerung, der Erneuerung in der Wahrheit. Die Kirche lebt also trotz allem in jenen Orten, an denen glaubenstreue eifrige Priester wirken.

Und dennoch „funktioniert“ die kirchliche Bürokratie, bestehend nicht selten aus mehr denn tausend Angestellten, in der Bistumsverwaltung, von denen nicht wenige längst nicht mehr an Gottesdienst und Sakramenten teilnehmen. Und immer noch „klingt das Geld im Kasten“, ungeachtet der millionenfachen „Kirchenaustritte“.

Fragt sich nur: wie lange noch? Wie lange noch wird dieser sich selbst genügende Apparat vor sich hinklappern, der den Auftrag des Herrn „Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium“ stillschweigend überhört…

Dieser Zustand der Kirche bringt aber einen dramatischen Bedeutungsverlust mit sich. War in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die katholische Soziallehre Grundlage für den Wiederaufbau und die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland unter Konrad Adenauer – im Gleichklang mit den bedeutenden Europäern De Gaulle und De Gasperi, zu denen Ludwig Erhard als Vater des deutschen Wirtschaftswunders hinzutrat, so spielt heute seit geraumer Zeit deren christlich-soziales Gesellschaftsideal keine Rolle mehr.

Vielmehr begann mit dem Erfolg des deutschen Wirtschaftswunders die immer dichter werdende Wolkendecke des materialistischen Zeitgeistes, den Blick zum Himmel zu blockieren: Freß-, Wohn- und Sexwelle überfluteten das Land. Das Ergebnis war – ist bis heute – eine postchristliche, atheistische Gesellschaft, in der das Christentum, die Kirche, nur noch ein Nischendasein fristet. Ignoriert, verachtet, bekämpft.

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Und nun stellt sich die Frage, wie die Kirche, wie Katholiken auf diese nicht ohne eigene Schuld entstandene Situation antworten sollten.

Eine nüchterne Bestandsaufnahme lässt da sehr bald erkennen, dass ängstliche, verzweifelte Versuche, die frühere Partnerschaft von Staat, Gesellschaft und Kirche wieder zu beleben, längst aussichtslos geworden sind, mögen auch in Bayern wie da und dort durchaus noch volkskirchliche Elemente bewahrt geblieben sein. In den meisten Gegenden Deutschlands hat die Kirche jedoch ihren einstigen Platz auf der Ehrentribüne mit der Anklagebank vertauschen müssen.

Die jüngste Gesetzgebung hat zudem auf dem Gebiet der Ehe-, Familien-, Gesundheitspolitik Normen gesetzt, die der christlichen Sitten- und Gesellschaftslehre, ja der seit der klassischen Antike entfalteten Anthropologie geradezu Hohn sprechen. Kaum eine in dem Spannungsbogen von der In-vitro-Fertilisation bis zu „Euthanasie“ und assistiertem Selbstmord denkbare Perversion ist da ausgesperrt. Ein geradezu apokalyptischer Kontrast zur Würde des Menschen als Gottes Ebenbild und Krone der Schöpfung. Und nun muss der Christ, der Katholik in dieser menschlichen, kulturellen Wüste Oasen finden, schaffen, in denen er noch frei atmen und überleben kann.

Das wird nach Land und Leuten in unterschiedlicher Weise, in unterschiedlichem Maße geschehen müssen, ist aber ein immer mehr aktuelles Modell für kirchliches Überleben in einer feindlichen Umwelt. Dass diese immer aggressiver wird, zeigen die sich mehrenden Brandanschläge, Zerstörungen, Schändungen in, von Kirchen etc.

Nun also ist – je nach den gegebenen Verhältnissen -, der Übergang von der Volkskirche zur Gemeindekirche möglichst ohne schmerzliche Brüche einzuleiten. Davon hatte schon der junge Josef Ratzinger gesprochen. Natürlich sind dabei Reibungen, Konflikte geradezu unumgänglich, namentlich in ländlichen Gebieten. Doch wird die Zeit auch  solche Wunden heilen. Dazu wird es unumgänglich sein, je nach örtlichen Umständen die Gemeinde auf eine solche unausweichliche Entwicklung vorzubereiten, um Enttäuschung, gar Protesten vorzubeugen.

Hand in Hand damit sollte aber auch eine entschiedenere Akzentsetzung im Selbstverständnis der Priester gehen. Im alten Ritus der Weihe wurden die Pflichten des Priesters aufgezählt: er sei geweiht, um das (heilige) Opfer darzubringen, zu segnen, die Gemeinde zu leiten, zu predigen und zu taufen. Bezeichnenderweise ist da nichts von Pfarramtsführung, Gremien oder Vermögensverwaltung und Leitung von Sozialeinrichtungen oder anderen „Werken“ die Rede. Zugegeben – dieser Pflichtenkatalog stammt aus dem Mittelalter, aber er enthält doch gerade jenes Tun, zu dem der Priester heute wie eh und je geweiht wird. Es wird darum gut zu unterscheiden sein, welche Tätigkeitsbereiche auch heute noch und in Zukunft nur vom Priester, und welche auch von Laien, Gemeindemitgliedern oder Kirchenangestellten übernommen werden können.

Jedenfalls ist der bevorzugte Platz des Priesters nicht so sehr die Pfarrkanzlei, seine Aufgabe nicht so sehr Verwaltung, Kontoführung etc. Auch Betrieb von Kindergärten und dergleichen.

Im Übrigen ist der seit dem II. Vaticanum üppig ins Kraut geschossene Gremien- und Sitzungskatholizismus ohnehin zum Auslaufmodell geworden, dem kaum jemand – außer den „Funktionär:innen“ des Zentralkomitees eine Träne nachweinen wird.

Diese Unterscheidung also, die dem Priester nur das „praeesse“ – das Vorstehen -, die Leitung der Gemeinde vorbehält, gälte es zu treffen, um dem Priester die Freiheit zu ermöglichen, seinem eigentlichen Auftrag zu genügen: Verkündigung, Liturgie, Sakramentenspendung und Seelsorge.

Das ist nun wirklich die Stunde der „Laien“. So wie die Priester folgen auchh sie einer eigenen Berufung. Ihr Verantwortungsbereich ist nicht Kanzel und Altar, sondern, wie das II. Vaticanum betont, „die Welt“, in der die Kirche  ihre Sendung zu erfüllen hat.

Bei dieser Arbeitsteilung – kluge Auswahl der Mitarbeiter und gegenseitiges Vertrauen vorausgesetzt – könnte dem Priester auch jene Zeit gewonnen werden, die für die gewissenhafte Vorbereitung für Predigt, Katechese, Seelsorgegespräch etc. notwendig ist – und für das eigene geistliche Leben des Priesters.

Eben dafür müssten auch die Gläubigen Verständnis haben. In wievielen Formen sie selbst zum Leben ihrer Gemeinde beitragen können, sollten, ergibt sich alsdann aus den konkreten Verhältnissen.

Freilich: für Priester wie Laien müsste klar sein, dass die Kirche niemals zu einer Bühne für „Selbstdarsteller:innen“ dienen darf.

Ebenso, lehrt die Erfahrung, sollten Laien wie Priester die Grenzen ihrer Zuständigkeit nicht überschreiten. Letztere sollten der Versuchung widerstehen, sich als Bauherren, Vermögensverwalter oder auf anderen „weltlichen“ Gebieten zu profilieren, während die Laien   nicht Kanzel und Altar als ihren „Arbeitsplatz“ betrachten sollten.

Damit diese „Arbeitsteilung“ gelingt und ein harmonisches Mit- und Füreinander das Leben der Gemeinden auszeichnet, bedarf es auf beiden Seiten menschlicher, christlicher Reife. Doch das Problem ist nicht neu. Schon der Apostel Paulus hat dies erfahren: So schrieb er etwa an die Gemeinde in Philippi (4,2): „Ich ermahne Evodia und ich ermahne Syntyche, einmütig zu sein im Herrn.“ Die Mahnung sollte auch heute in manchen Pfarrgemeinde- oder Diözesanräten gehört werden.

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Je mehr der gott-lose Zeitgeist der Kirche ins Gesicht bläst, desto notwendiger wird der enge Schulterschluss zwischen Gläubigen und Priestern. Vielleicht sagen dann wie einst so auch „Heiden“ von heute im Blick auf die Christen: „seht, wie sie einander lieben“. Und diese Erfahrung könnte auch heute wieder ihre missionarische Wirkung entfalten.

So könnten in der Tat lebendige Gemeinden wie Inseln im Meer den orientierungslos auf den Wogen des Zeitgeistes treibenden Menschen sicheren Hafen bieten.

 


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