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| Zölibat in der frühen Kirche? Rezension zu „Andreas Wollbold: Zölibat“28. Juni 2024 in Buchtipp, 1 Lesermeinung „Die kommentierte Textsammlung bildet einen Meilenstein für die Zölibatsforschung, ihr ist eine breite Rezeption zu wünschen“. Gastbeitrag von P. Dominikus Kraschl OFM Heiligenkreuz (kath.net) In mehr als zehnjähriger Arbeit hat Andreas Wollbold, Professor für Pastoraltheologie in München, die vorliegende Quellensammlung erstellt. Sie umfasst 459 Schlüsseltexte aus der Frühgeschichte des Zölibats. Mit der Quellenedition möchte Wollbold dazu beitragen, die Zölibatsforschung auf eine solide Grundlage zu stellen. Entsprechend versteht der Autor sein Werk weder als «Apologie» noch als «Lehrbuch», sondern als «Arbeitsinstrument» (S. 45). Den chronologisch geordneten Originaltexten wird zunächst eine gut lesbare deutsche Übersetzung zur Seite gestellt. Darauf folgt jeweils eine kurze Diskussion; sie erörtert mögliche Übersetzungs- und Auslegungsvarianten. Die Quellentexte (S. 100-943) reichen von der Wende des 1. zum 2. Jahrhundert (z. B. Ignatius von Antiochien, gestorben etwa um 107-110) bis ins 5. Jahrhundert. Im Anschluss an die Quellentexte werden ausgewählte Schlüsseldokumente der westlichen Kirche vom Ersten Laterankonzil bis hin zum geltenden Codex vorgestellt und erläutert (S. 945-960). Das Schlusskapitel ist sieben ausgewählten «Themata» (S. 961-994) gewidmet (z. B. «Kultische Reinheit», «Mono-gamieregel», «Eheliche Enthaltsamkeit», «Syneisakten»). Ein ausführliches Literaturverzeichnis (S. 995-1035) schließt das Werk ab und eröffnet zugleich Ausblicke für weiterführende For-schung. Auf ein Autoren- und Stichwortverzeichnis wurde verzichtet; dafür ist das Inhaltsverzeichnis detailliert und informativ (S. 7-44). Die ausführliche Einleitung (S. 45-98) rekapituliert u. a. den status quaestionis. Eine verbreitete Meinung lautet: Aus der nachapostolischen Zeit gäbe es keine zuverlässigen Quellen; zudem spiegle die Enthaltsamkeitspflicht für höhere Kleriker eine spätere Entwicklung wider, die erst unter Papst Gregor VII. (1073-1085) Rechtsverbindlichkeit erhalten habe. Die einschlägigen Quellen zeichnen ein anderes Bild. Die 148 Texte aus dem 2. und 3. Jahrhundert – darunter Clemens von Alexandrien, Origenes, Tertullian, Cyprian von Karthago – belegen zunächst, wie sehr sexuelle Enthaltsamkeit (und mit ihr Selbstbeherrschung, Treue, Einehe und Jungfräulichkeit) schon früh große Hochschätzung unter Christen genoss. Dazu bemerkt der Autor: «Aber genau dieser Zusammenhang mit Frömmigkeit und Lebenspraxis eifriger Christen ist entscheidend, um die Enthaltsamkeitsanforderungen an den Klerus plausibel oder sogar wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Wer wie er die Christen lehrt, wer den Gemeinden vorsteht, wem Jungfrauen und Witwen zur besonderen Fürsorge übergeben sind und wer die Liturgie zelebriert, von dem wird die Erfüllung der allgemeinchristlichen Ideale erwartet» (S. 47). Während die Zeugnisse aus dem 2. Jahrhundert noch spärlich sind und nur vorsichtige Schlüsse zulassen, sind die Monogamie- und Enthaltsamkeitsregel für Kleriker im 3. Jahrhundert bereits klar dokumentiert. Die Monogamieregel empfiehlt Christen, nach dem Tod des Gatten nicht wieder zu heiraten. Was für Gläubige ein Ideal ist, wird für Kleriker zur Norm: Eine Wiederheirat wird ihnen im Anschluss an 1 Tim 3,2 untersagt, da sie als fehlende Bereitschaft oder Befähigung zur Enthaltsamkeit aufgefasst wurde. Was die Regel und Praxis der ehelichen Enthaltsamkeit bei Klerikern (lex continentiae) betrifft, so ist zu sagen, dass sie im 3. Jahrhundert bereits gut belegt ist (S. 976). Mit dem 4. Jahrhundert (Johannes Chrysostomus, Ephräm dem Syrer, Ambrosius, Hieronymus u. a.) kommt es zur theologischen Vertiefung und disziplinaren Festschreibung dessen, was sowohl im lateinischen Westen als auch im griechisch- und syrischsprachigen Osten bereits fest etabliert ist. Zum Allgemeingut der altkirchlichen Disziplin gehören dabei: «Monogamieregel, Verbot der Eheschließung nach der Weihe, Enthaltsamkeitserwartung und Sanktionsbereitschaft bei Zuwiderhandeln» (S. 48). Fast schon zum Gemeingut gehört in der Zölibatsliteratur die These, dass kultische Reinheitsvorstellungen (etwa im Kontext häufiger, eventuell täglicher Gottesdienste) für die Alte Kirche eine entscheidende Rolle für die Forderung sexueller Enthaltsamkeit spielten. Außerdem wurde behauptet, «das Enthaltsamkeitsgesetz sei eine Erfindung des 4. Jahrhunderts und zudem auf einzelne Regionen beschränkt» (S. 977). Diese Thesen belegen die Quellen nicht. Während zahlreiche Kirchenschriftsteller (gegen sexual- und ehekritische Tendenzen) immer wieder betonen, dass der eheliche Verkehr nicht sündhaft und die Ehe gut sei, halten sie eine dauerhafte sexuelle Enthaltsamkeit bei Klerikern für angezeigt. Dafür sind nicht kultische Reinheitsvorstellungen ausschlaggebend, sondern (meist im Anschluss an 1 Kor 7,5) das Ideal beständiger und ungeteilter Ausrichtung auf das geistliche Leben: Gebet, Fasten, Gottesdienst. Dabei berufen sie sich häufig auf das Vorbild und die Ordnung der Apostel. Nicht fehlen dürfen in einem Quellenband zur Frühgeschichte des Zölibats die spanische Synode von Elvira (um 300), die eine große Bandbreite pastoraler Fragen behandelte, sowie die wahrscheinlich legendäre Episode des Bekenners und Asketen Paphnutius, der in Nizäa (325) gegen eine Enthaltsamkeitsverpflichtung opponierte. Ebenfalls nicht fehlen dürfen die päpstlichen Interventionen von Damasus und Siricius bis hin zu Leo dem Großen; sie schärften die Verpflichtung zur dauerhaften Enthaltsamkeit für Kleriker (Enthaltsamkeitszölibat) ein, wobei sie sich nicht als Reformer, sondern als Bewahrer und Anwälte der apostolischen Tradition verstanden. Der Grundsatz, dass das tradierte Ethos vor dem fixierten Gesetz kommt, ist bezüglich der Verrechtlichung der Klerikerdisziplin im Auge zu behalten. Die Synode von Trullos (691/692) führte zu einer regionalen, partiellen Abkehr von der bisherigen Disziplin. Die spätere Orthodoxie hält zwar an der Monogamieregel bzw. dem Digamieverbot fest, beschränkt den Enthaltsamkeitszölibat aber auf Bischöfe. Diesen wird sogar vorgeschrieben, sich von ihren Ehefrauen zu trennen, was frühere Kirchenversammlungen noch abgelehnt hatten. Die weitere westkirchliche Entwicklung, von der Gregorianischen Reform über das Konzil von Trient bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil und dem geltenden Codex, stellt im Licht des ersten Jahrtausends keine grundsätzliche Abkehr von der altkirchlichen Disziplin dar. Die folgenschwerste Neuerung, der Übergang vom Enthaltsamkeits- zum Ehelosigkeitszölibat, möchte dieselbe nicht aufheben, sondern vielmehr wirksam durchsetzen. Wollbolds kommentierte Textsammlung bildet einen Meilenstein für die Zölibatsforschung. Sie bietet viele faszinierende, bisweilen auch befremdliche Einblicke in das spätantike Christentum und sein kulturelles Umfeld bezüglich der Themen: Sexualität, Ehe, Priestertum, Enthaltsamkeit, Jungfräulichkeit, kirchliche Disziplin etc. Dem Quellenband ist eine breite Rezeption zu wünschen. P. DDr. habil. Dominikus Kraschl OFM (Link) lehrt Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz und am Internationalen Theologischen Institut Trumau Weiterführender Link auf swiss-cath.ch: Prof. Andreas Wollbold im Interview zu seinem neuen Buch kath.net-Buchtipp: Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal! Lesermeinungen
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