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Ignatius von Antiochien: die ‚katholische Kirche’ und das ‚Christentum’

17. Oktober 2022 in Aktuelles, keine Lesermeinung
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Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: das unwiderstehliche Streben des Ignatius hin zur Vereinigung mit Christus begründet im wahrsten Sinne des Wortes eine ‚Mystik der Einheit’. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) 17. Oktober, Gedenktag des heiligen Märtyrers Ignatius von Antiochien: „Wo Jesus Christus ist, dort ist die katholische Kirche“ (Brief an die Smyrnäer 8,2). Ignatius war der Nachfolger von Petrus als Bischof der Kirche von Antiochien. Während der Reise schrieb er sieben Briefe an verschiedene Gemeinden. In diesen Schriften findet man wichtige Angaben zur Organisation der Kirche und zu den Grundlagen des christlichen Lebens. Sein Andenken wurde in Antiochia seit dem 4. Jahrhundert begangen. Die Ausdrücke „katholische Kirche“ und „Christentum“ sind, wie es scheint, von ihm geschaffene Begriffe.

Dank einer von Eusebius von Cäsarea verfassten Lebensbeschreibung wissen wir, dassIgnatius über drei Jahrzehnte als Bischof vorbildlich für die christliche Gemeinde in der antiken Metropole Antiochien sorgte. Aufgrund seines mutigen Bekenntnisses wurde er dann in Zeiten der Verfolgung zum Tode verurteilt und als Gefangener nach Rom überstellt. Während dieser Reise wandte er sich mit Briefen an Gemeinden und an Mitbrüder im Bischofsamt. Sieben dieser kostbaren Texte, aus denen die Glaubenskraft und die Hirtensorge eines Nachfolgers der Apostel spricht, sind uns erhalten.

Das Hauptaugenmerk der Briefe des Ignatius liegt auf der Einheit mit Christus und auf der Einheit in der Kirche. Wie der Evangelist Johannes und der Apostel Paulus fordert Ignatius die Gläubigen auf, innig mit Jesus vereint zu sein und den menschgewordenen Sohn Gottes in ihrem Leben nachzuahmen. So sieht er auch sein eigenes bevorstehendes Martyrium als abschließende und krönende Etappe seines Weges zu Christus hin, dessen Leiden er teilen möchte. Aber auch die Gläubigen untereinander sollen die Einheit im Glauben und in der Liebe bewahren, in deren Dienst ganz besonders die Bischöfe, die Priester und die Diakone stehen.

Benedikt XVI., Generalaudienz am 14. März 2007

Liebe Brüder und Schwestern!

Wie wir es schon am vergangenen Mittwoch getan haben, sprechen wir über die Persönlichkeiten der entstehenden Kirche. Vorige Woche haben wir über Papst Clemens I., den dritten Nachfolger des hl. Petrus, gesprochen. Heute sprechen wir über den hl. Ignatius, der von 70 bis 107, dem Jahr seines Martyriums, der dritte Bischof von Antiochien war. Zu jener Zeit waren Rom, Alexandrien und Antiochien die drei großen Metropolen des Römischen Reiches. Das Konzil von Nizäa spricht von drei »Primaten«: dem Primat Roms, aber auch Alexandrien und Antiochien haben in einem gewissen Sinn an einem »Primat« teil. Der hl. Ignatius war Bischof von Antiochien, das in der heutigen Türkei liegt. Hier, in Antiochien, entstand, wie wir aus der Apostelgeschichte wissen, eine blühende christliche Gemeinde: Ihr erster Bischof war der Apostel Petrus – so sagt uns die Überlieferung –, und dort »nannte man die Jünger zum erstenmal Christen« (Apg 11,26). Eusebius von Cäsarea, ein Historiker des 4. Jahrhunderts, widmet dem Leben und literarischen Werk des Ignatius ein ganzes Kapitel seiner »Kirchengeschichte« (Historia Ecclesiastica 3,36). Er schreibt: »Aus Syrien wurde Ignatius nach Rom geschickt und wegen seines Zeugnisses für Christus den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen. Während seiner Reise durch Kleinasien, unter strengster Bewachung (die Soldaten, die ihn bewachen, nennt er in seinem Brief an die Römer 5,1 die ›zehn Leoparden‹), stärkte er in den einzelnen Städten, wo er haltmachte, durch Predigten und Mahnungen die Kirchengemeinden; vor allem mahnte er sie inständig, sich vor den Häresien zu hüten, die sich damals zu verbreiten begannen; und er legte ihnen dringend ans Herz, nicht von der Überlieferung der Apostel abzurücken«. Die erste Etappe der Reise des Ignatius hin zum Martyrium war die Stadt Smyrna, wo der hl. Polykarp, ein Jünger des hl. Johannes, Bischof war. Dort schrieb Ignatius vier Briefe an die Kirchen von Ephesus, Magnesia, Tralles und Rom. »Nachdem er von Smyrna abgefahren war«, schreibt Eusebius weiter, »kam Ignatius nach Troas und schickte von dort neue Briefe ab«: zwei an die Kirchen von Philadelphia und Smyrna und einen an Bischof Polykarp. Eusebius vervollständigt so das Verzeichnis der Briefe, die uns von der Kirche des ersten Jahrhunderts als kostbarer Schatz überliefert worden sind. Beim Lesen dieser Texte spürt man die Frische des Glaubens jener Generation, die noch die Apostel gekannt hatte. Man spürt in diesen Briefen auch die glühende Liebe eines Heiligen. Von Troas aus erreichte der Märtyrer schließlich Rom, wo er im Flavischen Amphitheater den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen wurde.


Kein Kirchenvater hat den brennenden Wunsch nach der Vereinigung mit Christus und nach dem Leben in ihm mit der Intensität des Ignatius zum Ausdruck gebracht. Deshalb haben wir den Abschnitt des Evangeliums über den Weinberg gelesen, der nach dem Johannesevangelium Jesus ist. Tatsächlich fließen in Ignatius zwei geistliche »Strömungen« zusammen: jene des Paulus, die ganz auf die Vereinigung mit Christus ausgerichtet ist, und jene des Johannes, die auf das Leben in ihm konzentriert ist. Diese beiden Strömungen münden ihrerseits in die Nachfolge Christi ein, zu dem sich Ignatius mehrmals als »meinem« oder »unserem Gott« bekennt. So fleht Ignatius die Christen von Rom an, sein Martyrium nicht zu verhindern, weil er ungeduldig darauf warte, »sich mit Jesus Christus zu vereinigen«. Und er erklärt: »Es ist schön für mich, durch den Tod zu (eis) Jesus Christus zu gehen, anstatt als König zu herrschen bis an die Grenzen der Erde. Ihn, der für mich gestorben ist, suche ich; ihn, der für uns auferstanden ist, ersehne ich… Laßt mich ein Nachahmer des Leidens meines Gottes sein!« (Brief an die Römer 5–6). In diesen von Liebe brennenden Worten kann man den unverkennbaren christologischen »Realismus« wahrnehmen, wie er für die Kirche von Antiochien typisch ist und mehr denn je auf die Fleischwerdung des Sohnes Gottes und seine wahre und konkrete Menschlichkeit achtet: Jesus Christus, schreibt Ignatius an die Smyrnäer, »ist wahrhaftig aus dem Geschlecht Davids«, »er wurde wahrhaftig von einer Jungfrau geboren«, »er wurde wahrhaftig für uns ans Kreuz genagelt« (1,1).

Das unwiderstehliche Streben des Ignatius hin zur Vereinigung mit Christus begründet im wahrsten Sinne des Wortes eine »Mystik der Einheit«. Er selbst definiert sich als »einen Mann, dem die Aufgabe der Einheit anvertraut ist« (Brief an die Philadelphier 8,1). Für Ignatius ist die Einheit vor allem eine Eigenschaft Gottes, der, während er in drei Personen existiert, in absoluter Einheit einer ist. Er wiederholt oft, daß Gott Einheit ist und daß sie sich nur in Gott im reinen und ursprünglichen Zustand befindet. Die Einheit, die auf dieser Erde seitens der Christen verwirklicht werden soll, ist nichts anderes als eine Nachahmung, die dem göttlichen Archetyp soweit als möglich entspricht. Auf diese Weise gelangt Ignatius zur Ausarbeitung einer Sicht der Kirche, die aus nächster Nähe an manche Formulierungen des Briefes an die Korinther von Clemens von Rom erinnert. »Es ziemt sich für euch«, schreibt er zum Beispiel an die Christen von Ephesus, »entsprechend dem Denken des Bischofs voranzuschreiten, was ihr ja schon tut. Denn euer zu Recht gerühmtes und seines Gottes würdiges Kollegium der Presbyter ist so harmonisch mit dem Bischof verbunden wie die Saiten mit der Zither. Deshalb wird in eurer Eintracht und in eurer symphonischen Liebe Jesus Christus besungen. Und so werdet ihr, jeder einzelne, zu einem Chor, damit ihr, nachdem ihr den Ton Gottes in der Einheit übernommen habt, in der Symphonie der Eintracht mit einer Stimme singt« (4,1–2). Nachdem er den Smyrnäern nahegelegt hatte, »nichts, was die Kirche betrifft, ohne den Bischof zu tun« (8,1), vertraut er dem Polykarp an: »Ich gebe mein Leben hin für die, die dem Bischof, den Presbytern und Diakonen gefügig sind. Möge ich mit ihnen meinen Teil erhalten können bei Gott. Müht euch miteinander, kämpft gemeinsam, lauft gemeinsam, leidet gemeinsam, schlaft und wacht gemeinsam als Verwalter Gottes, seine Hausgenossen und Diener. Versucht, dem zu gefallen, für den ihr kämpft und von dem ihr den Lohn empfangt. Keiner von euch werde fahnenflüchtig. Eure Taufe bleibe als Schild, der Glaube als Helm, die Liebe als Speer, die Geduld als Rüstung« (Brief an Polykarp 6,1–2).

Insgesamt kann man in den Briefen des Ignatius eine Art konstante und fruchtbare Dialektik zwischen zwei charakteristischen Aspekten des christlichen Lebens wahrnehmen: einerseits die hierarchische Struktur der kirchlichen Gemeinschaft und andererseits die grundlegende Einheit, die alle Gläubigen untereinander in Christus verbindet. Folglich dürfen die Rollen nicht einander entgegengesetzt werden. Im Gegenteil, das Beharren auf der Gemeinschaft der Gläubigen untereinander und mit ihren Hirten wird durch beredte Bilder und Analogien ständig neu formuliert: die Zither, die Saiten, die Tongebung, das Konzert, die Symphonie. Die besondere Verantwortung der Bischöfe, der Presbyter und der Diakone beim Aufbau der Gemeinde ist offenkundig. Für sie gilt vor allem die Aufforderung zur Liebe und Einheit. »Seid eins«, schreibt Ignatius an die Magnesier und greift damit das Gebet Jesu beim Letzten Abendmahl auf: »Eine Bitte, ein Sinn, eine Hoffnung in der Liebe… Macht euch alle eilends auf den Weg zu Jesus Christus wie zu dem einen Tempel Gottes, wie zu dem einen Altar: Er ist einer und, ausgehend von dem einen Vater, ist er mit ihm vereint geblieben und zu ihm in der Einheit zurückgekehrt« (7,1–2). Ignatius schreibt als erster in der christlichen Literatur der Kirche das Adjektiv »katholisch« zu, das heißt »universal«: »Wo Jesus Christus ist«, sagt er, »dort ist die katholische Kirche« (Brief an die Smyrnäer 8,2). Und gerade im Dienst der Einheit an der katholischen Kirche übt die christliche Gemeinde von Rom eine Art Primat in der Liebe aus: »In Rom führt sie den Vorsitz, Gottes würdig, ehrwürdig, würdig, selig genannt zu werden… Sie führt den Vorsitz in der Liebe, die das Gesetz Christi hat und den Namen des Vaters führt« (Brief an die Römer, Prolog).

Wie man sieht, ist Ignatius wirklich der »Lehrer der Einheit«: Einheit Gottes und Einheit Christi (gegen die verschiedenen Häresien, die in Umlauf zu kommen begannen und in Christus den Menschen und Gott trennten), Einheit der Kirche, Einheit der Gläubigen »im Glauben und in der Liebe, die von nichts übertroffen werden« (Brief an die Smyrnäer 6,1). Schließlich fordert der »Realismus« des Ignatius die Gläubigen von gestern und heute, uns alle zu einer fortschreitenden Synthese zwischen Angleichung an Christus (Vereinigung mit ihm, Leben in ihm) und Hingabe an seine Kirche (Einheit mit dem Bischof, hochherziger Dienst an der Gemeinde und der Welt) auf. Man muß also zu einer Synthese zwischen Gemeinschaft der Kirche in ihrem Inneren und Sendung der Verkündigung des Evangeliums für die anderen gelangen, bis durch die eine Dimension die andere spricht und die Gläubigen immer mehr »im Besitz jenes ungeteilten Geistes sind, der Jesus Christus selbst ist« (Brief an die Magnesier 15). Indem ich diese »Gnade der Einheit« vom Herrn erflehe und in der Überzeugung, den Vorsitz der Liebe der ganzen Kirche zu führen (vgl. Brief an die Römer, Prolog), richte ich an euch denselben Wunsch, mit dem der Brief des Ignatius an die Christen von Tralles schließt: »Liebt einander mit ungeteiltem Herzen. Meine Seele opfert sich für euch nicht nur jetzt, sondern auch, wenn sie zu Gott gelangt sein wird… Mögt ihr in Christus makellos vorgefunden werden können« (13). Und beten wir, damit der Herr uns helfe, diese Einheit zu erreichen und endlich ohne Makel vorgefunden werden zu können, denn es ist die Liebe, die die Seelen läutert.

 


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