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„Wir sind erlöst“ – Heilstheologische Wurzeln des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis Mariens

8. Dezember 2024 in Spirituelles, 1 Lesermeinung
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„Josef Ratzinger/Papst Benedikt XVI., hob regelmäßig die alttestamentliche Tiefendimension und damit die erstaunliche Kraft dieses christlichen Glaubensgeheimnisses durch Raum und Zeit hervor.“ Gastbeitrag von Pfarrer Dr. Johannes Laichner


Innsbruck (kath.net/Ökumenischen Quartalzeitschrift für Predigt, Liturgie und Theologie) Als am 8. Dezember 1854 der selige Papst Pius IX. in der Bulle „Ineffabilis Deus“ feierlich das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens verkündete, habe in diesem Moment ein Sonnenstrahl den wolkenverhangenen Himmel Roms aufgebrochen und sei durch ein Fenster des Petersdoms genau auf den Pontifex gefallen. Nicht wenige Anwesende verstanden es als Zeichen himmlischer Bestätigung angesichts dieser Dogmenverkündigung: „Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben.“

Die Kirche knüpfte mit der Einführung des „Hochfestes der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“ am 8. Dezember an eine bereits jahrhundertelange Verehrungstradition an. Schon um 700 n. Chr. hatte die Christenheit im Osten den Festtag der „Empfängnis der hl. Anna“ gefeiert und ihm spätestens ab dem 12. Jahrhundert die Verkündigung der Unbefleckten Empfängnis Mariens beigestellt. Ihre Heiligkeit war von Beginn an immer unbestritten, mehr hatte sich die christliche Überzeugung gefestigt, dass die Gottesgebärerin immer schon einem „goldenen Gefäß“ der Reinheit, bewahrt vor jeder Erbschuld, geglichen habe. Dementsprechend galt auch das Bekenntnis, dass Mariens Heiligung früher als die aller anderen „Adamskinder“ geschehen sein musste. Im 15. Jahrhundert von den Päpsten als marianischer Festtag gebilligt, führte Klemens XI. 1708 das marianische Hochfest für die ganze Kirche ein. Wohl begünstigte diesen päpstlichen Entscheid auch der Umstand, dass schon 1647 der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand III. nach dem Schwedenkrieg und der Befreiung Wiens und 1704 die Tiroler Landstände nach der Befreiung von den Bayern unisono gelobt hatten, alljährlich das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens festlich zu begehen.

Letztlich gründete die Dogmenverkündigung durch Papst Pius IX. aber nicht auf einen möglichst weit zurückreichenden geschichtlichen Nachweis dieses Hochfestes. Das kirchliche Lehramt war 1854 fest davon überzeugt, dass das erste Geheimnis Mariens vor allem in den Texten der Heiligen Schrift grundgelegt sei. Dabei konnte man besonders auf zwei Verse des biblischen Kanons verweisen (Gen 3,15 und Lk 1,28), die nicht rein zufällig als Schriftlesungen vorgesehen sind. Beide Bibelstellen sprechen die Wahrheit der Unbefleckten Empfängnis Mariens zwar nicht explizit aus, schließen sie aber doch mystisch ein. Wer könnte bei besagtem Vers im sogenannten Protoevangelium nicht an die Gottesmutter denken? Die Verheißung Gottes an die Schlange „Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau“ (Gen 3,15) wird sich unzweifelhaft in Maria erfüllen. Keine Frau, möge sie noch so edel und reich gewesen sein, steht in einem so klaren und unbedingten Gegensatz zum Bösen wie die Gottesmutter. Mariens Unbefleckte Empfängnis im Leib ihrer Mutter Anna ist der Beginn dieses finalen Sieges über die alte Schlange. Die spätere Ganzhingabe Mariens, die der Menschwerdung Gottes vorausgeht und in ihrer aktiven Bereitschaft und passiven Verfügbarkeit vollends zum Ausdruck kommt („Da sagte Maria: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ – Lk 1,38), besiegelt schließlich den Triumpf des Reiches Gottes über das Reich der Finsternis. Indem Maria vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die absolute Gnade Gottes „von jedem Fehl der Erbsünde“ rein und makellos geblieben war, bewirkte der Allmächtige etwas, dessen Ursprung in besagter Verheißung an die Schlange damals im Garten Eden zu suchen ist. Der große Marienverehrer Bonaventura schrieb dazu: „Maria ist gleichsam im Falle selbst aufgehalten worden, so dass sie nicht stürzte.“ (Bonaventura, Sent. III. dist. 3, pars 1, art. 1, qu. 2) Implizit betonte der bedeutende Theologe der Scholastik hier den Unterschied zwischen Christus und seiner Mutter Maria und darin auch die Tatsache der Erbschuld. Der Sohn Gottes ist dank seiner Natur von jeder Sünde frei, Maria aber erst dank der göttlichen Gnade. Christus ist „unsündlich“, Maria ist sündenlos. Folglich ist sie eine Erlöste ihres Sohnes und damit von der Sünde „praevisa morte“ bewahrt geblieben – in der Voraussicht und in der Voraussetzung des sühnenden Todes ihres geliebten Sohnes am Kreuz. Ihre Worte „Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig“ (Lk 1,49) bekommen in diesem Licht einen ganz neuen heilsgeschichtlichen Klang. Mariens Danklied der Erlösung birgt diese Botschaft: Die Gottesmutter wurde von der Erbschuld nicht nur wie wir alle anderen im Sakrament der Taufe befreit, sondern von Anfang ihres Seins unter dem Herzen ihrer Mutter bewahrt  – wie es auch in Gen 3,15 Jahrhunderte zuvor schon geheimnisvoll anklang. In diesem Zusammenhang wird verständlich, warum das kirchliche Lehramt besagte Stelle im Protoevangelium tatsächlich als ersten biblischen Beweis für Mariens unbefleckter Empfängnis versteht.


Das Evangelium des Festes (Lk 1,26-38) berichtet vom Gruß des Engels an Maria und damit ebenfalls von diesem ersten Geheimnis der Gottesmutter: „Sei gegrüßt, du Begnadete.“ Maria ist die „Begnadete“ – im griechischen Original „kecharitoméne“. Papst Benedikt XVI. entdeckte darin den schönsten Namen, „den Gott selbst ihr gegeben hat, um zu zeigen, dass sie seit jeher und für immer die Geliebte und Erwählte ist, dazu auserwählt, das kostbarste Geschenk aufzunehmen, Jesus, die fleischgewordenen Liebe Gottes.“ Die Vergangenheitsform dieser Grußworte zeigt deutlich an, dass Maria in den Augen des Engels schon Heil erfahren hat. Ihr ist eine ganz große Gnade vorab zuteilgeworden, um nun die Offenbarung Gottes empfangen und diese mit ganzer Hingabe beantworten zu können. „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1, 38) Der Engel offenbart damit jenen Gnadenakt, den Gott Maria von Anfang an zuteilwerden hat lassen. Der Gruß des Engels macht deutlich, dass Gott sich die Mutter seines Sohnes selbst „bereitet“ hat. In anderen Worten: Gott hat Maria gnadenvoll von Beginn ihres Seins an vor jeder Erbschuld bewahrt.

Beide Bibelstellen (Gen 3,15 und Lk 1,26-38) deutete das Lehramt 1854 aus gutem Grund als klaren Hinweis auf das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Josef Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hob regelmäßig die alttestamentliche Tiefendimension und damit die erstaunliche Kraft dieses christlichen Glaubensgeheimnisses durch Raum und Zeit hervor: „Der Glaube der Kirche (sc. sieht) in den Aussagen des Anfangs etwas Lebendiges, das sein Baugesetz gerade dadurch einhält, dass es sich entfaltet.“ Das marianische Dogma, das der Festtag freudvoll in Erinnerung ruft, weiß natürlich um seine heilstheologischen Wurzeln im Alten Testament und findet in Maria als der großen Glaubenden seine leuchtende Vollendung.

Nicht wenige Theologen haben hingegen in einem einseitigen historischen Denkansatz das marianische Dogma strikt mit dem Argument abgelehnt, die Lehre von der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria sei doch in der Urkirche gänzlich unbekannt gewesen. Sie verstanden Überlieferung rein als Weitergabe fixierter Inhalte und Texte.

„Wenn man aber Überlieferung des Glaubens als lebendigen Prozess begreift, in dem der hl. Geist uns behutsam einführt in die ganze Wahrheit und uns zu verstehen lehrt, was wir zuvor noch nicht zu fassen vermochten, dann kann das spätere Erinnern erkennen, was vorher nicht offenkundig und doch schon im ursprünglichen Worten übergeben war“, betonte Ratzinger überzeugt. Dementsprechend birgt der Bibelvers des Protoevangeliums („Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau“ – Gen 3,15) das erste Geheimnis Mariens („Sei gegrüßt, du Begnadete“ – Lk 1,28) - wie der Schatz im Acker, der erst zu einem späteren Zeitpunkt entdeckt und als grandiose Heilsbotschaft für uns alle hochgehalten werden sollte. Die Auswahl beider Bibelstellen liegt in dieser heilstheologischen Erkenntnis begründet.

Um die entscheidende Freudenbotschaft des Marienfestes mit den Worten des großen deutschen Theologen Ratzinger auf dem Stuhl Petri auszudrücken: „Schon vor der Erschaffung der Welt hat Gott uns alle in seinem Sohn Jesus Christus erwählt. Jeden von uns kennt und liebt er von Ewigkeit her! Und wozu hat er uns erwählt? Um in der Liebe heilig und untadelig vor ihm zu leben. Und das ist keine unerfüllbare Aufgabe: In Christus hat er uns die Verwirklichung schon geschenkt. Wir sind erlöst!“ Maria ist diese göttliche Gnade schon im Vorhinein unter dem Herzen ihrer Mutter Anna zuteilgeworden. Grund genug, das Geheimnis von Mariä Empfängnis groß zu feiern! „Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen gib!“

Verwendete Literatur:
-     Johann Koller, Frohbotschaft Gottes am Sonntag, Lesejahr C, Lukas, I. Festzeiten, Wien 1997, 4f.
-     Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., Aus meinem Leben. Erinnerungen. Mit Originalton. Gelesen von Christinan Hoening, Der Hörverlag 2005.
-     Predigt von Papst Benedikt XVI. am 30. November 2006 in der Patriarchalkirche St. Georg in Istanbul
-    Predigt von Papst Benedikt XVI. am 7. September 2007 vor der Mariensäule in Wien.
-    Joseph Ratzinger, Die Tochter Zion – Betrachtungen zum Marienglauben der Kirche, Einsiedeln 1977, S. 36.
-    Otto Hophan, Maria – Unsere hohe liebe Frau, Luzern 1961, S. 51ff.

Der Autor, Pfarrer DDr. Johannes Laichner, ist Diözesandirektor der päpstlichen Missionswerke, Roppen, Österreich und Pfarrer in Roppen, Karres, Karrösten und Mils – Diözese Innsbruck. Der aktuelle Beitrag erschien zuerst in: Ökumenischen Quartalzeitschrift für Predigt, Liturgie und Theologie (4. Jahrgang 2024/2025. Heft 1, 2024)


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Lesermeinungen

 Schillerlocke 9. Dezember 2024 
 

Es spricht sehr für die Kirche,

dass sie enorme Anstrengungen darauf verwandt hat, um begreiflich zu machen, was den Gläubigen ja evident war: die Grundgüte der Gottesmutter Maria.
Als Laie erklärt sich mir dieses Dogma also durch die Inspiration des Heiligen Geistes. So wie der Allmächtige jedes Menschenkind mit einer spezifischen Ausstattung ins Leben schickt, um im Leben zu ihm zu gelangen, so hatte er eben für Maria aufgrund ihrer Erwählung gemäß dem Dogma eine ganz individuelle Anlage vorgesehen. Und diesen Weg ist sie auf Erden aus freien Stücken so gegangen, wie in der Heiligen Schrift berichtet. Dass sie von diesem Weg nie abgekommen ist, das macht sie so einzigartig und verehrungswürdig.


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