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Die Rolle der Medien für die Kultur der Freiheit

6. März 2024 in Kommentar, keine Lesermeinung
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„Man kann man eine grundsätzliche Krise vieler Medien – und damit auch der Gesellschaft und ihrer Demokratie – kaum übersehen.“ Vortrag beim Jubiläums-Symposium in Rom der Päpstlichen Universität Johannes Paul II./Krakau. Von Martin Lohmann


Rom-Krakau (kath.net) kath.net dokumentiert den Vortrag von Martin Lohmann auf dem Internationalen Römischen Jubiläums-Symposium XV der Päpstlichen Universität Johannes Paul II./Krakau [Uniwersytet Papieski Jana Pawła II w Krakowie] über "Kirche und Kultur" [Kościól i Kultura] im Collegio Austriaco S. Maria dell’Anima in Rom (siehe Link) am 5. März 2024 in voller Länge und dankt Herrn Lohmann sowie den Veranstaltern für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.

 Wer über Freiheit nachdenkt, spricht oder sie benennt, muss zunächst einmal wissen, was eigentlich Freiheit ist. Das Wort als solches wird heutzutage sicher inflationär gebraucht, doch die noch so häufige Betonung oder auch Beschwörung des Begriffes schafft noch keine gelebte Wirklichkeit dessen, was letztlich mit Freiheit verbunden ist oder gemeint sein könnte. Daher bedarf es einiger grundsätzlicher Überlegungen, erst recht, wenn das Wort „Freiheit“ auch noch mit dem Wort „Medien“ verknüpft werden soll und eine ursächliche oder gar befördernde beziehungsweise minimierende Relation entdeckt und hergestellt werden kann oder soll. Die in der Überschrift vorhandene Formulierung der „Kultur der Freiheit“ vermittelt gleichwohl einen ersten hinweisgebenden Ansatz, worum es gehen kann und muss. Denn es ist wohl hinreichend evident, dass die Medien in einer von Medien und ihrer Vermittlung dessen, was als Wirklichkeit wahrgenommen wird, in einer von medialer Wirklichkeit dominierten Welt einen durchaus prägenden Einfluss auf die Kultur des Lebens haben. In unseren Überlegungen soll diesem Phänomen nachgespürt werden, freilich ohne den Anspruch auf Vollständigkeit oder Unfehlbarkeit. Analysierende Beobachtungen können hier nur sporadisch sein, wollen aber schlaglichtartig Grundsätzliches deutlich werden lassen.

Was ist Freiheit? Ganz sicher ist dies zunächst einmal ein sehr grundsätzlicher Begriff gerade für moderne Demokratien. Zudem wird mit diesem Begriff ein Grundrecht beschrieben, das sich im Laufe der Geschichte entwickelt hat und heute für viele Menschen im Denken zu etwas Selbstverständlichem geworden ist. Aus moderner demokratischer Sicht gilt Freiheit grundsätzlich für jeden. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das war in früheren Zeiten anders, als etwa zwischen Adel und Bürger eine abgestufte Vorstellung von Freiheit und Freiheiten gelebt wurde. Grundsätzlich gilt aber auch, dass es die Freiheit  mit sich bringt, frei von und frei für etwas zu sein. Und es versteht sich von selbst, dass die gegebene und gelebte Freiheit immer eine gelebte und zu berücksichtigende Verantwortung beinhaltet, weil – um es populärwissenschaftlich auszudrücken – die Freiheit des einen an der Freiheit des anderen endet und stets mit Grenzen verbunden ist. Wir sprechen bei der Freiheit von und zu etwas auch von negativer und positiver Freiheit. Es wird auch unterschieden zwischen individueller und kollektiver Freiheit. Letztere ist beispielsweise die Freiheit eines Landes von einer Besatzungsmacht, während zu den individuellen Freiheiten die Meinungs- und Pressefreiheit gehört. Bei der Differenzierung wird auch unterschieden zwischen der persönlichen negativen Freiheit, in seinen Handlungen nicht unter Zwang oder Druck zu stehen oder irgendwie sonst eingeschränkt zu sein. Die sogenannte souveräne und positive Freiheit hingegen beschreibt, dass man nach freiem Willen und aus eigener Macht handeln kann, während die bürgerliche Freiheit besagt, an gesellschaftlich-politischer Macht teilhaben zu können.

Im Christentum entwickelte sich eine umfassende Vorstellung von Freiheit, die nicht zuletzt durch den Apostel Paulus präzisiert wurde, indem er betonte, dass der Christ im religiösen Sinne frei von Gesetz, Sünde und Tod sei (vgl. Römerbrief, Kapitel 6–8). Und im Galaterbrief verband er ebenfalls die Freiheit besonders und ursprünglich mit dem Gottessohn Jesus Christus, der alle Menschen frei gemacht habe: „Für die Freiheit hat uns Christus befreit, darum … lasst euch nicht wieder unter ein Joch der Knechtschaft bringen“. (Gal 5,1) Immer wieder wird im Neuen Testament darauf hingewiesen, dass Christus die (!) Freiheit ist und nur im Glauben an Ihn die wahre Freiheit gefunden werden kann. Zu den Kernsätzen der Heiligen Schrift gehört für Christen sicher das Diktum aus dem Johannesevangelium (8,32): Die Wahrheit wird euch frei machen! – Hier wird, was für unsere Überlegungen hier nicht unwichtig sein wird, Freiheit mit Wahrheit verbunden.

Was Freiheit aus christlicher Sicht bedeutet und wie man sie im Heute verstehen darf und kann, hat 1996 Johannes Paul II. in seiner berühmten Rede am Brandenburger Tor 1 bei seinem letzten Deutschlandbesuch zum Ausdruck gebracht. Einige wichtige Passagen sollen hier zitiert sein:

„Der Mensch ist zur Freiheit berufen. Freiheit bedeutet nicht das Recht zur Beliebigkeit. Freiheit ist kein Freibrief! Wer aus der Freiheit einen Freibrief macht, hat der Freiheit bereits den Todesstoß versetzt. Der freie Mensch ist vielmehr der Wahrheit verpflichtet. Sonst hat seine Freiheit keinen festeren Bestand als ein schöner Traum, der beim Erwachen zerbricht. Der Mensch verdankt sich nicht sich selbst, sondern ist Geschöpf Gottes; er ist nicht Herr über sein Leben und über das der anderen; er ist – will er in Wahrheit Mensch sein – ein Hörender und Horchender: Seine freie Schaffenskraft wird sich nur dann wirksam und dauerhaft entfalten, wenn sie auf der Wahrheit, die dem Menschen vorgegeben ist, als unzerbrechlichem Fundament gründet. Dann wird der Mensch sich verwirklichen, ja über sich hinauswachsen können. Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheit.“ 2

Und weiter: „Der Mensch ist zur Freiheit berufen. Die Idee der Freiheit kann nur da in Lebenswirklichkeit umgesetzt werden, wo Menschen gemeinsam von ihr überzeugt und durchdrungen sind – in dem Wissen um die Einmaligkeit und Würde des Menschen und um seine Verantwortung vor Gott und den Menschen. Da – und nur da –, wo sie zusammen für die Freiheit einstehen und in Solidarität für sie kämpfen, wird sie errungen und bleibt sie erhalten. Die Freiheit des Einzelnen ist nicht zu trennen von der Freiheit der anderen, aller anderen Menschen. Wo die Menschen ihren Blick auf das je eigene Lebensfeld begrenzen und nicht mehr bereit sind, auch ohne Vorteile für sich selbst sich für andere zu engagieren, da ist die Freiheit in Gefahr. In Solidarität gelebte Freiheit demgegenüber wirkt sich aus im Einsatz für Gerechtigkeit im politischen und sozialen Bereich und lenkt den Blick auf die Freiheit. – Es gibt keine Freiheit ohne Solidarität.“ 3

Der Papst aus Polen rief geradezu mahnend den Menschen nicht nur in Berlin, sondern in ganz Europa zu: „Achtet die unantastbare Würde eines jeden Menschen, vom ersten Moment seiner irdischen Existenz bis hin zum letzten Atemzug! Erinnert euch immer wieder an die Erkenntnis, die euer Grundgesetz allen anderen Erklärungen voranstellt: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Befreit euch zur Freiheit in Verantwortung! Öffnet die Tore für Gott! Das neue Haus Europa“ brauche vor allem die Luft zum Atmen, geöffnete Fenster, „durch die der Geist des Friedens und der Freiheit eindringen kann. Europa braucht nicht zuletzt deshalb überzeugte Türöffner, also Menschen, die die Freiheit schützen durch Solidarität und Verantwortung.“ Und schließlich sagte der Pontifex: „Der Mensch ist zur Freiheit berufen. – Ihnen allen, die Sie mich jetzt hören, verkündige ich: Die Fülle und die Vollkommenheit dieser Freiheit hat einen Namen: Jesus Christus. Er ist der, der über sich bezeugt hat: Ich bin die Tür. In ihm ist den Menschen der Zugang geöffnet zur Fülle der Freiheit und des Lebens.“ 4
 
Sein Nachfolger auf der Cathedra Petri, dessen bischöflicher Wahlspruch „Wir sind Mitarbeiter der Wahrheit“ war, hatte im Jahr 2005 auf die Gefahren aufmerksam gemacht, wenn der Bezug zur Wahrheit verloren geht und gleichsam eine entleerte Freiheit zur Freiheit erklärt wird 5. Der damalige Kardinal Ratzinger sprach von der „Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten“ lasse. Die Kritik lautet, dass der heutigen Zeit zunehmend ein fester ethischer Maßstab abhanden komme, so dass Werte nur noch als zeitgebunden und somit wandelbar gesehen würden. Dies unterhöhle die Gesellschaft und führe letztlich dazu, dass alles erlaubt ist. In seinem Buch „Werte in Zeiten des Umbruchs“ 6, welches 2005 erschien, ist sogar das Kapitel IV.1 7 überschrieben mit „Relativismus als Voraussetzung der Demokratie“ 7. Darin wird beschrieben, dass es ohne Meinungsfreiheit keine Demokratie geben kann, dass die demokratische Gesellschaft aber trotzdem einen Kern fester Werte, zum Beispiel Menschenrechte, benötige.

Ratzinger betont hier, dass die Freiheit eines Inhaltes bedürfe: „Wir können ihn definieren als die Sicherung der Menschenrechte. Wir können ihn aber auch weitläufiger beschreiben als die Gewährleistung der Wohlfahrt des Ganzen wie des Gutes der Einzelnen“. Die Herausforderung werde noch deutlicher, wenn wir „den Begriff des Guten durch den Begriff der Wahrheit“ 8 ergänzen oder ersetzen.

Was ist Wahrheit? Die überlieferte Frage des Pilatus an den Gottessohn Jesus Christus hat nichts an Aktualität verloren. Sie scheint an Dynamik gewonnen zu haben und sich vielfach längst in den vom Relativismus infizierten Habitus geflüchtet zu haben, der sich manifestiert in der nur scheinbar eine Antwort suchenden Frage: Brauchen wir noch Wahrheit? Hat nicht jeder seine eigene Wahrheit? Gibt es nicht eine Vielzahl von Wahrheiten? Leben wir nicht längst in einem postfaktischen Zeitalter, das sich die Frage nach der Wahrheit gar nicht mehr leisten kann und sollte?

Dennoch prallt die Wahrheitsfrage abgeschwächt als Fragezeichen nach der Wahrhaftigkeit zunehmend direkt an die Burgmauern moderner Medien und stellt sogar die Existenzfrage an einen Berufsstand, der – anders als Theologen und ihre Suche nach dem, was geoffenbarte Wahrheit ist – eigentlich nicht ganz ohne eine Verpflichtung auf Wahrheit oder zumindest Wahrhaftigkeit auskommen kann. Sogenannte alternative Fakten scheinen keine Parteigrenzen oder Grenzen zwischen politischen Einstellungen zu kennen. Der Auflagenschwund der meisten nachrichtlichen Printprodukte in Deutschland ist wohl mehr als nur die Folge der Digitalisierung. Umfragen und Protestaktionen machen – ob man das nun mag oder nicht – deutlich, dass es einen Vertrauensverlust zu geben scheint. Das in brauner Vergangenheit salonfähig gewordene Wort von der Lügenpresse, die manche eine Lückenpresse nennen, ist zu hören und zu lesen. Es wird instrumentalisiert – und andererseits empört und vorwurfsvoll zurückgewiesen.


Doch übersehen kann man eine grundsätzliche Krise vieler Medien – und damit auch der Gesellschaft und ihrer Demokratie – kaum. Reflexartige Reaktionen in Verbindung mit brüsker Abstempelung oder gar Verleumdung der Kritiker durch mediale Selbstgerechtigkeit verschärft am Ende des Tages den Blick auf das, was offenbar schief läuft in der Medienlandschaft, eher noch. Es gibt offenbar Souveränitätslücken bei manchen Medienmächtigen, wenn diese mit ernsthaften Fragen konfrontiert werden und von ihnen selbstkritische Reflexionen erwartet werden.

Für das notwendige Vertrauensverhältnis, das nicht zuletzt demokratische Gesellschaften konstitutiv im Bereich der Informationsweitergabe benötigen, ist dies keine gute Nachricht. Und so kann an dieser Stelle im Blick auf das Verhältnis von Freiheit, Verantwortung und Wahrheitsverpflichtung ein sorgenvoller und zugleich hoffnungsstarker Zwischenruf geboten sein.

Eigentlich haben Medien die Aufgabe, die Wirklichkeit so abzubilden, wie sie ist. Das, was über Medien transportiert wird, ist ein Abbild der Wirklichkeit. Eigentlich. Wenn alles richtig funktioniert, ist die durch Medien vermittelte Wirklichkeit – als Abbild von der Primärwirklichkeit – eine sekundäre. Doch diese „Wirklichkeit“ sollte korrekt sein, im Idealfall. Dann würde dem Anspruch der Informationsweitergabe entsprochen.

Vielfach stellt sich die Frage, wer letztlich was prägt: die Wirklichkeit die Medien oder die Medien die Wirklichkeit. Nicht wenige, über die berichtet wird, finden sich als Primärwirklichkeit in der Sekundärwirklichkeit nicht wieder, weil tendenziös „berichtet“ wird und offenbar viele Journalisten nicht mehr wissen, dass man streng unterscheiden können muss zwischen möglichst objektiver Nachricht und möglichst subjektiver Meinung. Auch ausdrücklich als Nachrichtensendung präsentierte Medienprodukte haben längst die Trennlinie verwässert, und sei es nur dadurch, dass sie eine Nachricht mit einem subjektiven kommentierenden Hinweis versehen, so als müsse man dem Konsumenten vorgeben, wie dieser die anschließende Nachricht zu lesen, zu hören oder zu sehen habe.

Wer sich grundsätzlich mit den Medien und unserer Demokratie-Wirklichkeit befasst, kommt nicht umhin zu fragen: Was haben Glaubwürdigkeit, Verantwortung, Wahrheitsverpflichtung und vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Verantwortung miteinander zu tun? Und schließlich: Sind die in solcher Weise in den Medien Verantwortlichen ausreichend der aufgeklärten Vernunft verpflichtet? Wie unabhängig sind die Medienmacher heute? Wie unabhängig können sie sein? Und haben Vernunft und Wertorientierung etwas miteinander zu tun?

Es ist möglicherweise gewagt, in diesem Zusammenhang im Blick auf die medialen Verpflichtungen zu fragen, ob auch Journalisten aufgrund ihrer hohen Verantwortung Mitarbeiter der Wahrheit sein können oder gar müssen. Die Identität dieser Mitarbeiterschaft ist freilich nicht dieselbe wie die aus der Theologie kommende Prägung. Es gibt, das soll und kann nicht geleugnet werden, gleichsam einen fundamentalen Unterschied. Und doch darf überlegt werden, inwieweit es Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Fundamentes geben kann und sogar geben muss, wenn Kommunikation und Information dem Menschen und seiner Würde gerecht werden sollen. Welches Handeln braucht es, wenn man der Verantwortung in aller Freiheit gerecht werden will?

Es ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant, was Benedikt XVI. zum 40.Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, also dem Mediensonntag, den Journalisten am 24. Januar 2006 9 schrieb unter dem Titel „Die Medien – ein Netzwerk für Kommunikation, Gemeinschaft und Kooperation“. Er sieht eine Reihe von Herausforderungen für die Medien, die sich heute ergeben. Die „verschiedenen Instrumente sozialer Kommunikation ermöglichen zwar den Austausch von Information, Ideen und gegenseitiges Verstehen“, seien aber „von Doppeldeutigkeiten betroffen“. Gewisse Tendenzen verursachten „in den Medien eine Art Monokultur, die kreatives Talent dämpft, die Subtilität komplexen Denkens reduziert und die Besonderheit kultureller Verhaltensweisen und religiösen Glaubens unterbewertet“. Das sind nach seiner Überzeugung „Verzerrungen, die sich ergeben, wenn die Medien-Industrie zum Selbstzweck wird oder nur gewinnorientiert arbeitet und den Sinn für die Verantwortlichkeit gegenüber dem Gemeinwohl verliert“.

„Um zu einer konstruktiven Rolle und einer positiven Wahrnehmung der Medien in der Gesellschaft zu ermutigen“, nennt Benedikt, was notwendig ist „für den Dienst der Medien am Gemeinwohl: Erziehung, Teilhabe und Dialog“: Vor allem eine „Erziehung zum verantwortungsvollen und kritischen Gebrauch der Medien“. Sie „hilft den Menschen, sie intelligent und angemessen zu nutzen. Die tiefe Wirkung auf den Sinn neuer Worte und Bilder, die besonders die elektronischen Medien so leicht in die Gesellschaft einführen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eben weil zeitgenössische Medien die Kultur der Menschen prägen, müssen sie ihrerseits jeder Versuchung zur Manipulation, vor allem der Jugend, widerstehen und stattdessen dem Anliegen folgen, zu erziehen und zu dienen. Auf diese Weise beschädigen sie nicht, sondern schützen das soziale Gewebe einer zivilen Gesellschaft, die des Menschen als einer Person würdig ist.“ 10

Auf gewisse Weise gibt es also eine Verbindungslinie zwischen dem Motto, das sich Joseph Ratzinger als Bischof und Kardinal gab und als Papst in seinem Dienst vielfältig veranschaulichte. Auch wenn der Vergleich gewagt sein mag, so ist der einst gewählte Wahlspruch „Cooperatores veritatis“, Mitarbeiter der Wahrheit (sind wir), eigentlich auch ein in Kurzform gegossenes Großprogramm für Medienschaffende. Sicher: Im Ratzinger-Benedikt-Fall war der Anspruch theologisch und heilsgeschichtlich gemeint. Doch viele Menschen wären froh und dankbar, wenn sich mehr und mehr Journalisten (zu)trauen würden, im ganz konkreten Leben nicht nur zufällig Mitarbeiter der Wahrheit zu sein. Die Notwendigkeit, diesen anspruchsvollen Nachlass eines Papstes Benedikt als Auftrag für Kirche und Welt zu entdecken, erscheint nicht wenigen Beobachtern immer dringender zu werden.

Es ist immer von Bedeutung für die Freiheit, dass sich viele Medienschaffende daran erinnern, was die Aufgabe der Medien tatsächlich ist und wie sehr sie dem Frieden, der Freiheit und der Fairness in einer Demokratie verpflichtet sind, nicht aber ausschließlich dem Wunsch von Mächtigen, die eigentlich angstfrei und scheuklappenlos kritisiert und kontrolliert werden müssten. Eines Tages wird man auch analysieren müssen, wie viel Verantwortung Medienleute durch angepasste Ängstlichkeit und vorauseilendem Gehorsam für fatale und demokratiegefährdende Duckmäuserei tragen. Verantwortungslosigkeit gegenüber der stets fordernden Freiheit kann nämlich auch Verrat an eben dieser Freiheit sein. Das aber ist zumindest fahrlässig, wenn nicht gar schuldhaft.
 
Richten wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Sprache. Wozu dient eigentlich Sprache? Zur Verständigung? Zur Verwirrung? Zur Manipulation? Zur Erkenntnis? Als Instrument der Macht? Ist sie auch ein Mittel des Missbrauchs? Kommt drauf an  möchte man sagen. Auf was? Wohl auf denjenigen, der sie benutzt, der sie einsetzt für das, was er will und beabsichtigt. Ein Liebender sicher für Komplimente, für Zärtlichkeit, für die Mitteilung seiner Gefühle für den Menschen, der ihm mehr bedeutet als andere. Lügen scheinen da selten gewollt oder praktiziert zu werden. Wenn sich zwei Menschen von Herz zu Herz begegnen, dann will man echt sein. Authentisch nennt das die moderne Welt. Und niemand würde wohl bestreiten, dass derartige Sprache nicht auch etwas mit Einflussnahme, vielleicht sogar mit Macht zu tun hat. Und mit Vertrauen. Wer Vertrauen haben will und selber gibt, will auch eine ehrliche Sprache. Sie muss passen, also dem entsprechen, was vermittelt werden soll. Sprache hat Wirkung. Sprache ist kostbar. Sprache ist auch ein Instrument der Macht. Und daher geht es immer auch um Verantwortung im Umgang mit Sprache.

Es wird inzwischen immer wieder diskutiert, inwieweit manche Medien statt der Informationsvermittlung Propaganda betreiben und sich zu willigen und unkritischen Vermittlern von Politikern degradieren, die sie eigentlich in möglichst großer Unabhängigkeit kontrollieren sollten. Bei der Bundeszentrale für Politische Bildung findet man in einem namentlich nicht gekennzeichneten Artikel 11 folgende Formulierungen: „Charakteristisch für Propaganda ist, dass sie die verschiedenen Seiten einer Thematik nicht darlegt und Meinung und Information vermischt. Wer Propaganda betreibt, möchte nicht diskutieren und mit Argumenten überzeugen, sondern mit allen Tricks die Emotionen und das Verhalten der Menschen beeinflussen, beispielsweise indem sie diese ängstigt, wütend macht oder ihnen Verheißungen ausspricht. Propaganda nimmt dem Menschen das Denken ab und gibt ihm stattdessen das Gefühl, mit der übernommenen Meinung richtig zu liegen. Hier zeigt sich der große Unterschied etwa zur journalistischen Information: Journalisten betreiben Aufklärung, indem sie alle verfügbaren Fakten und Hintergründe darlegen und die Menschen selbst entscheiden lassen, was richtig und was falsch ist.“ 12

Noch einmal, gehen wir etwas genauer ins Zitat: „.... nicht diskutieren und mit Argumenten überzeugen, sondern mit allen Tricks die Emotionen und das Verhalten der Menschen zu beeinflussen, beispielsweise indem man sie ängstigt, wütend macht oder ihnen Verheißungen ausspricht“ – heißt es da. Wem fallen jetzt nicht einige Stichwörter gleichsam automatisch ein: Corona, Impfungen, Klimawandel, Klimakleber, Enteignungen, Ukraine-Krieg, Energieversorgung, Atomkraftwerke usw. Nicht zu vergessen die grundsätzlich – soll man jetzt sagen: propagierte? – Medien-, Presse- und Meinungsfreiheit. Stimmt eigentlich noch das in dem soeben zitierten Beitrag der Bundeszentrale für Politische Bildung getätigte Diktum, „Journalisten betreiben Aufklärung, indem sie alle verfügbaren Fakten und Hintergründe darlegen und die Menschen selbst entscheiden lassen, was richtig und was falsch ist“? Ist es auch noch korrekt, wenn dort wenig später behauptet wird, der Begriff Propaganda werde heute „vor allem im Zusammenhang mit Beeinflussungsstrategien in autoritären und totalitären Staaten verwendet“? Oder im nächsten Satz: „In demokratischen Staaten unterliegen die Medien keiner direkten staatlichen Kontrolle“ 13? Hielte das bei einer Überprüfung mitten im Leben einem echten Faktencheck und bei unvoreingenommener und der Freiheit verpflichteter Beschreibung des Begriffs Kontrolle stand?

Wenn sich die demokratische Meinungsbildung an der Grundwerte-Trias Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu orientieren hat, dann stellt sich die Frage nach der Kultur der Meinungsbildung heute sehr dringlich. Elmar Nass hat in der „Neuen Ordnung“ 2021 darauf hingewiesen, dass sich all das inzwischen weit von den drei Prinzipien entfernt hat. Seine Formulierung mag hart erscheinen, ist aber eine zutreffende Beschreibung: „Öffentliche Meinungsbildung befindet sich unter der Glocke eines pädagogischen Paternalismus, der durch die überwiegend links orientierte Journalistenzunft maßgeblich geprägt ist.“ Und weiter: „Ein Meinungsdiktat im Namen des demokratischen Humanismus macht eben diesen zunichte. Solche unmoralische Dialektik wiederum ist gefährlicher Nährboden für antihumanistische Kampfideologien gleich welcher Art.“ 14

Auch die Philosophin Marie-Luisa Frick, worauf hier nur kursorisch hingewiesen sein kann, macht in ihrem Werk „Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft“ 15 deutlich, wie sehr Moral und freiheitliche Streitkultur sich in einem schleichenden Prozess ihrer Dekonstruktion befinden. Dabei sei es wichtig, das Verhältnis von Demokratie und Menschenrechte zueinander zu beleuchten, um das Gefahrenpotential diesbezüglich zu erkennen angesichts moderner (Fehl)Entwicklungen im Diskursverhalten. Angesichts der Tatsache, dass die vielbeschworene Dialogkultur ebenso abhanden gekommen und vernichtet wurde wie die viel beschworene Toleranz, was nicht selten von jenen betrieben wurde, die sich zuvor als Protagonisten beider Begriffe gaben, erscheint das grundsätzliche Nachdenken aus philosophischer Sicht und Kenntnis unumgänglich. Frick geht den Fragen nach: Was könne es bedeuten, den Streit und nicht den Konsens als Wesensmerkmal demokratischer Politik ernst zu nehmen? Was würde es bedeuten, Möglichkeiten und Formen des gerechten Umgangs mit politisch Andersdenkenden besonders aus philosophischer Perspektive zu durchleuchten? Was schulden wir dabei dem Gegenüber, was uns selbst? Was muss eine auf Grundrechte hin orientierte demokratische Odnung aushalten, und was nicht?

Gerade auch im Blick auf unser Thema gilt es, sich vielen Fragen zu stellen und sie nach Möglichkeit zu beantworten zu suchen: Wie darf man mit Fakten umgehen? Wie darf man mit einem politischen Gegner – und hier ist auch die Kirche in Deutschland nicht dispensiert – umgehen? Wie definieren wir Hass im Netz? Was ist politische Korrektheit? Bedroht sie die Freiheit und damit den Kern der Demokratie? Was schulden demokratische Mehrheiten demokratischen Minderheiten? Und, eher aus medienethischer und wissenschaftlicher Perspektive, gleichwohl aber notwendigerweise gefragt: Was verbirgt sich hinter der neuen „Entdeckung“ eines sogenannten konstruktiven Journalismus, der für sich in Anspruch nehmen will, bei allem Berichteten zugleich eine Lösung anzubieten beziehungsweise alles Berichtete in eine eigene Lösungskompetenz einzubetten? Es stellt sich die Frage, inwieweit es sich hier um eine Form der „Berichterstattung“ handelt. Denn hier leuchtet die leider nach wie vor aktuelle und kritische Frage auf: Wie gefährlich ist das journalistische Nicht-Trennen von Nachricht und Kommentar? Wann wird der Journalist zum Propagandisten? Und wo ist der Übergang vom sogenannten konstruktiven Journalismus zum radikalen Konstruktivismus?

Eberhard Schockenhoff hatte schon in seinem 2000 erschienenen Buch „Zur Lüge verdammt?“ 16 erklärt, dass der Konstruktivismus keinen Wirklichkeitsbegriff anerkenne, „der auf eine dem journalistischen Handeln vorgegebene Realität verweist. Sollte eine solche objektive Realität tatsächlich existieren, so könnten wir sie jedenfalls nicht abbilden oder erkennen“ 17. Im Klartext: Der Konstruktivist leugnet die Wirklichkeit, auch die mentale, - und konstruiert jene Wirklichkeit, die dann sein Maßstab für alle werden soll.  

Ein altes Ratgeber-Werk zur Propaganda stammt von Niccolo Machiavelli (1469-1527). „Der Fürst“ – so der Titel des 1513 erschienen Werkes –  müsse sich drehen und wenden können nach dem Winde. Es heißt beim Meister der Machtbeherrschung und Machtmanipulation, der Mächtige müsse den Anschein machen, die überlieferte Moral zu wahren, dürfe aber vor Gewalt und Terror nicht zurückschrecken. Heute könnten wir „Gewalt“ vielleicht durch moralinsauren Zwang ersetzen und „Terror“ durch das vorgesetzte Wort „Psycho“ ergänzen.

Der französische Arzt, Anthropologe und Psychologe Gustave Le Bon (1841-1931), der als einer der Begründer der Massenpsychologie gilt, hat das gleichsam weiterentwickelt, was in seinem 1895 erschienen Buch „Psychologie der Massen“ nachzulesen ist. Die Masse wird zum Mittel der Propaganda. Le Bon schreibt: „Allein durch die Tatsache, Glied einer Masse zu sein, steigt der Mensch also mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab. Als Einzelner war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Triebwesen, also ein Barbar. Er hat die Unberechenbarkeit, die Heftigkeit, die Wildheit, aber auch die Begeisterung und den Heldenmut ursprünglicher Wesen, denen er auch durch die Leichtigkeit ähnelt, mit der er sich von Worten und Vorstellungen beeinflussen und zu Handlungen verführen lässt, die seine augenscheinlichen Interessen verletzen.“ 18

Es kann beobachtet werden: Tatsächlich ist der entwurzelte Mensch in einer komplexen, schnellen, reizüberfluteten und bildungsfernen Gesellschaft weithin überfordert und sucht Schutzräume einer mentalen Beheimatung. Bewusst oder unbewusst. Und deshalb darf man fragen: Sind das schleichende und faktisch offensichtlich vielfach betriebene Verbot von Bildung durch Gender-Wahn, Sprachzerstörung, gewollter Indentität-Verunsicherungen bereits im Kindesalter, Sexualitätsvernichtung durch Respektlosigkeit, Geschlechter- und SchöpfungsLeugnung, Utilitarismus und Ehrfurchtsverboten sowie die Vergiftung der Familie – übrigens in Gesellschaft und auch bis hinein in die Kirche – nicht gewollte und unglaublich diabolische Formen einer subkutanen Propaganda?

Und alles scheint zu geschehen unter der Regieanweisung: Die Konsumenten der Massenmedien, durch die sich eine grün-rote Diktatur in allen möglichen farblichen Außenschattierungen von gelb bis schwarz in die Denk- und Fühlstrukturen des einzelnen schleicht, also: die Konsumenten der Massenmedien dürfen nicht merken, dass sie Opfer einer medialen Kampagne sind. Wo fängt Propaganda an, wo hört sie auf? Wann ist sie legitim, wann ist sie gut, wann ist sie böse, wann ist sie gefährlich und zerstörerisch? Wie von selbst kommen wir abschließend zum Menschenbild und zu dem, was man Wahrheit nennen kann. Was ist der Mensch? Ist er nur ein Kollektivteilchen in einer manipulativen Masse oder beseeltes Individuum? Was macht den Menschen aus? Woher bekommt er seine Koordinaten für Gut und Böse?

Mit Boethius (römischer Staatsmann und Philosoph, um 480 bis etwa 524, eigentlich Anicius Manlius Severinus Boethius, von Theoderich hingerichtet) können wir fragen: Wenn es Gott gibt, woher dann das Böse? Und wenn es Gott nicht gibt, woher dann das Gute? 19 Es ist sicher kein Zufall, dass die Frage nach Gott und seiner Beziehung zu jedem einzelnen Menschen heute geradezu systematisch verdrängt und vernebelt wird. Denn diese Frage ist offenbar gefährlich. Sie kann im Ergebnis vernichtend sein – jedenfalls für alles, was sich nicht der Frage nach der Wahrheit stellt beziehungsweise diese verbieten will oder schlichtweg panisch fürchtet.

Eine demokratische Kommunikationsmoral muss sich auch dem Anspruch einer – wie Elmar Nass es nennt – Handlungsoption stellen: Demokratie in Wahrheit wagen! Und wenn diese – um das große und nicht verschweigungspflichtige Wort, das ja für Christen einen ganz konkreten und personalen Inhalt hat – Wahrheit etwas mit Gott selbst zu tun hat, dann liegen hier auch die Koordinaten für Gut und Böse offenbar erkennbar.

So gesehen sind tatsächlich alle berufen zu Mitarbeitern der Wahrheit. Diese Bereitschaft ist auch der beste mentale Impf-Schutz gegen ein Virus der falschen und verführerischen Propaganda, die die Personwürde des einzelnen und die daraus wachsenden Menschenrechte ignoriert und seiner Freiheitsberufung leugnet und dieser – sagen wir es so – Realität widerspricht. Denn: „Der Mensch ist zur Freiheit berufen“– wie Johannes Paul II. 1996 am Brandenburger Tor mehrfach ausrief. Der heilige Pontifex rief das nicht nur den Deutschen zu, sondern allen Menschen. Und diese Freiheit, zu der jeder Mensch berufen ist, hat „einen Namen: Jesus Christus.“ Das klingt oberflächlich betrachtet vielleicht fromm, bleibt aber wahr. Und sehr konkret. Was in der Heiligen Schrift bei Johannes 8,32 steht, ist also auch ein Kompass für unsere verwirrte Gesellschaft und Kirche in Zeiten der Irritation und Haltlosigkeit: Veritas Liberabit Vos – Die Wahrheit wird euch frei machen. Trotz aller freiheitsphoben Propaganda: So ist es nun mal.

Fairness? Diffenrenzierung? Genau das scheint für viele ein Problem zu sein. Oder anders: Wer manipulieren möchte, wer das Bewusstsein des Gegenüber steuern will, nutzt diese Tatsache. Gut oder böse. Der Münsteraner Philosoph Josef Pieper (1904-1997) sprach in seiner Schrift „Mißbrauch der Sprache, Mißbrauch der Macht“ 20 (1985) sogar von der „Entwürdigung des Menschen durch den Menschen“, die bereits beginne „in jenem kaum wahrzunehmenden Augenblick, da das Wort seine Würde verliert. Die Würde des Wortes besteht aber darin, daß in ihm, im Worte, das geschieht, was auf keine Weise sonst geschehen kann, nämlich Kommunikation in bezug auf Wirklichkeit.“ Wort und Sprache seien das Medium, „in welchem die gemeinsame geistige Existenz insgesamt sich abspielt. Im Wort vor allem trägt mitmenschliches Dasein sich zu und demnach kann, wenn das Wort verdirbt“, so Pieper, „das Menschsein selber nicht unberührt und unversehrt bleiben. Im Wort wird Realität deutlich“ 21, man redet, um in der Benennung etwas Wirkliches kenntlich zu machen, kenntlich für jemanden natürlich und darin liegt der Mitteilungscharakter der Sprache.

Das Wort hat Macht, die Sprache ist ein mächtiges Instrument. Falsche und falsch eingesetzte Begriffe schaffen falsches Bewusstsein, richtige und verantwortungsvoll genaue Formulierungen ermöglichen eher ein wahrhaftiges Bewusstsein. In der Abtreibungsdebatte der 90er Jahre konnte man das ebenso beobachten wie heute. Beinahe jede Anmoderation in den Tagesthemen damals enthielt wie selbstverständlich die Rede vom „Abtreibungsrecht“, von „Schwangerschaftsabbruch“ oder gar von „Schwangerschaftsunterbrechung“. Maßstabsgetreu war das – gewollt? – sicher nicht. Verantwortungsbewusst auch nicht.

Denn es suggerierte die fakten-widrige Vorstellung, als gebe es ein Recht auf Tötung noch nicht geborener Menschen, als gehe es lediglich um die Beendigung des Zustands einer Frau oder gar nur um dessen temporäre „Unterbrechung“. So harmlos also wie das Unterbrechen einer Zugfahrt von München nach Berlin in Erfurt, wo man dann einfach einen Folgezug nehmen kann. Ähnlichen Machtmissbrauch der Sprache kann man gerade auf diesem Gebiet bis heute beobachten, etwa, wenn das Geschäft mit dem vorgeburtlichen Kindstöten beworben werden soll und dies als „Information“ oder gar Aufklärung getarnt wird. Wer sich an solchen Aktionen unkritisch oder willentlich beteiligt, übt nicht nur den Missbrauch der Sprache, sondern missbraucht auch Macht.

Wenn dann mitten in Europa nicht nur ernsthaft über das vermeintliche Recht auf Tötung noch nicht geborener Menschen nachgedacht und dieses gar fälschlicherweise als “Menschenrecht” deklariert wird, wenn dann im Land der Aufklärung und der Französischen Revolution dieses sogenannte Recht als “Menschenrecht” in die Verfassung aufgenommen wird, dann zeigt sich in erschreckender Weise: Wo der Begriff der Freiheit unter dem Deckmantel einer so genannten Selbstbestimmung entleert und dekonstruiert wird und dem wehrlosen und schutzbedürftigen ungeborenen Menschenleben nicht einmal ansatzweise ein Selbstbestimmungsrecht zuerkannt und das Lebensrecht genommen wird, da wird aus dem entleerten und von der Verantwortung abgekoppelten Begriff der Freiheit eine tödliche Dekonstruktion des Lebensrechtes, ja, ein grundsätzlicher Missbrauch wirklicher Freiheit. Aus dem Missbrauch des Begriffs erwächst eine Gefahr für das Leben. Auch wenn man es “Menschenrecht” nennt und in eine Verfassung aufnimmt: Es gibt kein Recht auf Töten (wehrloser Kinder), aber es gibt ein Recht auf Leben. Das (!) ist ein Menschenrecht.

Natürlich gilt generell, wenn Sprache und Wörter Macht haben: Wer wie Politiker, Medienleute, Funktionäre und andere Macht hat, muss besonders sorgfältig mit der Sprache umgehen, sie besonders achtsam und wirklichkeitsgetreu nutzen. Denn das Wort dessen, der Macht hat, hat besonderes Gewicht und erfährt besondere Beachtung. Aber das wissen die Betroffenen ja auch genau, weshalb sie sich entsprechend zu Wort melden, oder? Ob sie dabei ihrer Verantwortung immer gerecht werden? Bewusste Manipulation, böse Pauschalierung, vermiedene Differenzierung und gezielte Diskriminierung ganzer Gruppen ist jedenfalls Missbrauch von Sprache und Macht..

Übersehen wird von manchen Verantwortungsträgern in Politik, Kirche und Medien bisweilen, wie gefährlich und letztlich brandstiftend dumpfe Pauschalurteile sein können. Wer zum Beispiel alles, was nicht links ist, als rechtsradikal bezeichnet oder gar in die Nähe der Nazis rücken möchte, betreibt letztlich das böse Geschäft genau dieser Menschen- und Freiheitsfeinde. Denn durch den ständigen und ständig wiederholten undifferenzierten Vorwurf, rechtsradikal und braun zu sein, erfährt diese Beschimpfung eine „Normalität“, die es niemals geben darf. Denn es darf nie wieder „normal“ sein, so zu denken und so zu sein. Auch Kirchenleute beteiligen sich an üblen linken Kampagnen, wenn sie etwa kritisch Mitdenkende pauschal als „Rechtskatholiken“ diffamieren. Der so rasch gemachte Vorwurf gegen alles und alle, die nicht dem linken Mainstreamdiktat gehorchen, ist also brandgefährlich verantwortungslos und ein fataler Missbrauch von machtvoll eingesetzter Sprache.

Missbrauch der Sprache ist also ein Skandal. Der Kultur unter- und miteinander schadet so ein schräges Verhalten allemal. Es beschädigt die Freiheit – auch die des Geistes. Der polnische Priester, der selige Jerzy Popieluszko, den die Kommunisten wegen seiner klaren und mutigen Sprache und dem der Wahrheit verpflichteten Einsatz des Wortes als Gefahr für ihre Lügen erkannten und brutal ermordeten, wusste im September 1983: „Kultur bedeutet einen ehrlichen Dialog und Gedankenaustausch, ehrlichen Meinungsstreit und kein Gezänk beruflicher Querulanten, die sich einseitig der Massenmedien bedienen, um andere anzuspucken.“

Schon Platon wusste, dass die Entartung der politischen Herrschaft untergründig zusammen hänge mit dem sophistischen Missbrauch des Wortes. Die „latente Virulenz des totalitären Giftstoffes“ könne geradezu abgelesen werden am Symptom des publizistischen Missbrauchs der Sprache. Wer Begriffe missbraucht, missbraucht auch deren Bedeutung und Inhalt – und daher auch den Empfänger. Wer Wörter in (s)einen Fleischwolf stopft, um die entstehende und häufig blutrote Masse betäubend und verwirrend in die Köpfe anderer zu pumpen, handelt höchst unverantwortlich. Wer jedoch wirklich Freiheit, Frieden und Toleranz will, muss sich heute intensiver denn je dafür einsetzen, dass der Gebrauch der Sprache der Wirklichkeit und der Befähigung zum fairen und achtsamen wie streitbaren Dialog dient. Ohne Keule. Ohne Verleumdung. Ohne Perfidie. Ohne Verunglimpfung. Ohne Falschheit. Und ohne einen impliziten Vernichtungswillen gegenüber Andersdenkenden. Wohl aber im Einsatz für Respekt und Meinungsfreiheit.

Wozu dient Sprache? Wozu muss sie dienen (können)? Ganz einfach: der Wahrheit. Und damit dem Menschen. Noch einmal Joseph Ratzinger: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt. Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus.“

Vielleicht wird von manchen Medienleuten allzu rasch übersehen oder gar vergessen: Die Würde des Menschen hat auch etwas mit der Würde des Wortes - und längst auch mit der Würde des Bildes - zu tun. Und schon Platon wusste, dass die Entartung der politischen Herrschaft untergründig zusammen hänge mit dem sophistischen Missbrauch des Wortes. Die „latente Virulenz des totalitären Giftstoffes“ könne geradezu abgelesen werden am Symptom des publizistischen Missbrauchs der Sprache. Erstaunlich, was da aus alten Zeiten an Erkenntnis zu uns ins 21. Jahrhundert so herüberschwappt!

Missbrauch findet auch statt, wenn Zitate erfunden, zusammengeschnitten oder zerstückelt werden – und selbst in Qualitätsmedien als Zitate gekennzeichnet werden. Das hat dann den Wahrheitsgehalt wie es jenes zusammengestellte Zitat aus der Heiligen Schrift hätte, wobei beide Teile aus der Schrift stammen, bloß nicht an der selben Stelle: „Judas ging hin und erhängte sich. Und Jesus sprach: Geh hin und tu desgleichen.“ Sauberer Journalismus, so genannter Qualitätsjournalismus sieht anders aus – und kann nur der Kultur der Freiheit dienen, wenn er seiner Verantwortung gegenüber der Person und ihrer Freiheit in der Pflicht der fairen, unparteiischen, unabhängigen und argumentationsbasierten Vermittlung von Informationen nachkommt.

Und deshalb sei als Fazit hier verwiesen darauf, dass für die Kultur der Freiheit es von entscheidender Bedeutung ist, wie offen und informiert die das Denken vielfach beeinflussenden Medienmacher für das universalste Bild vom Menschen sind, nämlich das Christliche Menschenbild, das in seinem Respekt vor der Berufung zur Freiheit die Einheit von Personalität, Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl vermittelt und zur propagierten, vermittelten und gelebten Freiheit nicht nur aufruft, sondern den Weg konkret zu weisen in der Lage ist. Die Rolle der Medien, deren Aufgabe die Information, die dadurch mögliche Meinungsbildung und die kritische und kontrollierende Distanz zu den Mächtigen ist, ist hierbei eine ebenso wichtige, unersetzliche wie anspruchsvolle. Die Kultur der Freiheit ist eine Kultur des Lebens. Das Leben will Freiheit, weil der Mensch ein Ebenbild Gottes als dem Urquell der Freiheit geschaffen ist. Darum gilt: Der Mensch ist zur Freiheit berufen.

Zusammenfassung:
Wer über die Rolle der Medien für die Kultur der Freiheit nachdenkt, muss sich mit dem Freiheitsbegriff ebenso auseinandersetzen wie mit der Aufgabe der Medien. Hierbei spielen Unabhängigkeit und Verantwortung eine zentrale Rolle. Die Medien haben die Aufgabe zur möglichst unabhängigen und korrekten Informationsübermittlung sowie die dadurch ermöglichte Meinungsbildung. Dialogfähigkeit, Respekt, Toleranz und Kritikoffenheit sind hierbei eine wesentliche Grundlage für eine gelebte Kultur der Freiheit. Dabei ist es für das Gelingen von entscheidender Bedeutung, sich dem Christlichen Menschenbild mit seiner es begründenden umfassenden und konkreten Freiheitsvorstellung zu öffnen und es zu berücksichtigen.  

Martin Lohmann, Dr. h.c. (siehe Link), ist Theologe, Historiker, Journalist und Buchautor. Er leitet in Bonn die Akademie für das Leben (www.akademiefuerdasleben.de) und das Studio:Godesberg. Er ist Päpstlicher Ritter vom Heiligen Grabe zu Jerusalem, Marienritter von Tschenstochau und war mehr als 57 Jahre vertraut mit Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.

Fußnoten:
1 https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/speeches/1996/june/documents/hf_jp-ii_spe_19960623_berlino.html
2 ebenda.
3 ebenda.
4 Abschluss der Rede, ebenda.
5 Joseph Kardinal Ratzinger sprach in der Predigt der „Missa Pro Eligendo Romano Pontifice“ im Petersdom am 18. April 2005 über die „Diktatur des Relativismus“ und das Maß des wahren Humanismus.  vgl. https://www.benedictusxvi.org/predigten/die-diktatur-des-relativismus-und-das-mass-des-wahren-humanismus.
6 Joseph Kardinal Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs, Freiburg im Breisgau 2005.
7 ebenda, Seite 49.
8 ebenda, Seite 50.
9 https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/messages/communications/documents/hf_ben-xvi_mes_20060124_40th-world-communications-day.html
10 ebenda.
11 https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/krieg-in-den-medien/130697/was-ist-propaganda/
12 ebenda, Was ist Propaganda?
13 ebenda.
14 Elmar Nass, Meinungsbildung jenseits von Demokratie und Ethos, in: Die Neue Ordnung, Jahrgang 75/2021, Heft 3/Juni 2021, S. 188-196.
15 Reclams Universal-Bibliothek Nr. 19454, Stuttgart, 3. Auflage 2017.
16 Eberhard Schockenhoff, Zur Lüge verdammt? Politik, Justiz, Kunst, Medien, Medizin, Wissenschaft und die Ethik der Wahrheit. Freiburg im Breisgau 2000, 2., erweiterte Auflage 2005.
17 ebenda, S. 298.
18 Originaltitel: Psychologie des foules. Das Buch erschien in deutscher Über-setzung 2020 neu im Kopp-Verlag, zu-vor 1961 im Alfred Kröner Verlag. Das Zitat ist entnommen aus: Gabriele Kuby, Propaganda oder der Mythos der De-mokratie, Bad Schussenried 2022, S. 21-22.
19 vgl. Boethii Philosophiae Consolatio, hg. von Ludwig Bieler, Corpus Christia-norum Series Latina XCIV, Turnholt 1957, 1. Buch, 4. Prosa; Die Übersetzung des Originaltextes Si quidem deus est, unde malia? Bona vero unde, si non est? ist unterschiedlich. Etwa: Woher kommt das Schlechte, wenn es einen Gott gibt? Gibt es keinen, woher das Gute? Oder: Wenn es einen Gott gibt, woher dann das Böse (unde malum)? Woher aber das Gute, wenn es keinen Gott gibt?
20 Josef Pieper, Missbrauch der Sprache, Missbrauch der Macht, Ostfildern, ohne Jahresangabe. Der Text erschien erst-mals 1974 im Kösel-Verlag München.
21 vgl. ebenda, Seiten 11 und 12.


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